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Bomben auf den LibanonVerzweifelt auf der Flucht

Israel greift am Mittwoch auch christlich geprägte Gegenden im Libanon an. Erstmals fliegt eine Rakete der radikal-islamischen Hisbollah auf Tel Aviv.

Löscharbeiten nach dem Einschlag einer libanesischen Rakete nahe Stadt Safed im Norden Israels Foto: Leo Correa/AP/dpa

Frankfurt taz/afp | Seit Montag sind im Libanon insgesamt 569 Menschen durch israelische Angriffe getötet worden. Die Mehrheit davon sind Zivilist*innen, mindestens 50 von ihnen Kinder, außerdem 94 Frauen, so der libanesische Gesundheitsminister Firass Abiad.

Seit Montag greift das israelische Militär den Libanon massiv an. Die schweren israelischen Angriffe trieben Tausende Menschen zur Flucht. Eine halbe Million Menschen soll aus dem Süden des Landes geflohen sein; Tausende versuchen, Richtung Syrien zu fliehen. Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR gibt an, Li­ba­ne­s*in­nen sowie Sy­re­r*in­nen würden verzweifelt in Autos an der Grenze stehen. Viele kämen auch zu Fuß an, darunter auch Frauen und kleine Kinder. Einige seien bei den Angriffen verletzt worden.

Wie am Mittwochabend bekannt wurde, hat Israels Armeechef Herzi Halevi seine Soldaten aufgefordert, sich auf ein „mögliches Eindringen“ in den Libanon vorzubereiten. „Wir greifen den ganzen Tag an. Zum einen, um den Boden für einen möglichen Einmarsch vorzubereiten, zum anderen aber auch, um die Hisbollah weiter anzugreifen“, sagte er laut einer Erklärung am Mittwoch bei einer Panzerbrigade.

Kommunen, Organisationen und Privatleute organisieren derweil Hilfsunterkünfte, kochen Essen und sammeln Spenden für Geflüchtete. Medienberichten zufolge würden Sy­re­r*in­nen in den Behelfsunterkünften abgewiesen. Mehr als 1,5 Millionen Sy­re­r*in­nen leben im Libanon, die meisten von ihnen sind einst vor dem Krieg in ihrem Heimatland in den Libanon geflüchtet.

„Meine Tante musste aus ihrem Haus fliehen, weil Israel ein Nachbarhaus bombardiert hat, in dem geflohene Familien Zuflucht gefunden hatten“, sagt Farah Hijazi übers Telefon. Die Familie der 27-jährigen Libanesin lebt im Dorf Joun, rund 50 Kilometer von der Grenze mit Israel entfernt. Die Frau wohnt in Mainz, der Kontakt mit ihrer Familie ist durch die Angriffe abgebrochen. „Meine Eltern leben in einem Gebiet mit christlicher Mehrheit. Mein Cousin, der schwul ist und zur LGBTQ-Community gehört, musste aus seinem Haus fliehen, weil es von Israel angegriffen wurde. Wie kann man all diese Menschen als Terroristen bezeichnen?“

Auch christlich geprägte Gebiete betroffen

Israels Militär erklärt, es ziele bei Angriffen auf die Infrastruktur des militärischen Arms der Hisbollah, etwa auf Waffenlager. Die Miliz verfügte vor Beginn des jüngsten Gazakrieges über schätzungsweise 150.000 Raketen.

Israel beschuldigt die Hisbollah, Waffen in Wohngebieten zu verstecken und dort Raketen herzustellen. Der libanesische ehemalige Armeebrigadier Wehbe Katischa bestätigte gegenüber der dpa, dass die wichtigsten Waffendepots der Miliz „zwischen Häusern und in gebirgigen Gebieten in der Nähe von Wohnhäusern“ seien.

Am Mittwoch trafen israelische Raketenangriffe auch christlich geprägte Gegenden im Chouf-Gebirge und im Dorf Maaysa nördlich von Beirut. Der Ort wird mehrheitlich von Schiiten bewohnt, liegt aber in einer hauptsächlich von Christen bewohnten Berggegend. Der Libanon ist stark konfessionell geprägt. In mehrheitlich christlich geprägten Gegenden haben dementsprechend christliche Parteien die Macht – und nicht die Hisbollah. Auch der Südlibanon wurde weiter bombardiert.

Zuvor hatte die Hisbollah am Mittwochmorgen Dutzende Raketen auf Israel abgefeuert. Eine davon zielte nach Darstellung der Hisbollah auf das Hauptquartier des israelischen Geheimdienstes Mossad nördlich von Tel Aviv. Das Geschoss wurde laut israelischem Militär abgefangen, die Abschussrampe im Libanon zerstört. In Tel Aviv und anderen Städten im Zentrum Israels heulten Sirenen. Bei Angriffen der Hisbollah auf den Norden Israels wurden zwei Personen verletzt, eine davon schwer.

Die Außenminister von Ägypten, Jordanien und Irak forderten am Mittwoch das Eingreifen des UN-Sicherheitsrats. Sie warfen der israelischen Regierung vor, die gesamte Region in einen Krieg zu drängen. Um das zu verhindern, müsse auch die „israelische Aggression“ im Gazastreifen ein Ende finden.

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3 Kommentare

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  • Israel greift die Hisbollah an.

    Nicht den Libanon.

    Die Hisbollah ist neben der Hamas, den Huthis, dem Islamischen Jihad etc. eine der Terrororganisationen des Iran, der auf diese Weise Stellvertreterkriege gegen Israel führt.

    Die Hisbollah verwendet von jeher die gleiche Strategie wie die Hamas: Frauen und Kinder als Schutzschilde zu missbrauchen.

    Je mehr zivile Opfer, desto höher der politische Gewinn für Hamas, Hizbollah und Iran.

    Seit zig Jahren das gleiche Spiel.

  • Das UNHCR hat gemeldet, dass unter den toten zwei ihrer Angestellten sind. Dina Darwiche starb zusammen mit ihrem jüngsten Sohn als eine Bombe in das Wohnhaus in dem sie sich aufhielt einschlug, ihr Mann und anderer Sohn sind schwer verletzt im Krankenhaus. Zudem wurde auch Ali Basma getötet.



    www.unhcr.org/lb/1...ff-in-lebanon.html



    Und was man bis jetzt hört, so haben scheinbar eine Vielzahl von Bomben Wohnhäuser getroffen, was eben auch die hohe Zahl an toten Zivilisten erklärt. Ähnliche Geschichten wie die von Farah Hijazi gibt es unzählige in den Medien. Und es ist schon zu fragen ob ein Waffendepot in der Nähe von oder zwischen Wohnhäusern wie es Armeebrigadier Wehbe Katischa sagt, diese Wohnhäuser nach humanitären Völkerrecht zu militärischen Zielen macht. Ich wage das zu bezweifeln, Waffendepot in den Wohnhäusern ok aber nicht daneben und schon gar nicht in der Nähe. In der Nähe kann für jeden was anderes bedeuten. Zumal die Israelis doch über genügend "Präzisionsmunition" verfügen um neben oder in der Nähe von Wohnhäusern zu treffen, statt die Häuser direkt.

    • @Momo Bar:

      In einem anderen Post hast du argumentiert, dass Israel damit rechnen müsse, dass Menschen sterben, wenn es mit der Präzisionsmunition 150-200m entfernt ein Ziel trifft.

      Zwar war das bei dem o.g. Ziel ein Waffendepot und die Sekundärexplosionen waren stärker als die ursprüngliche Bombe, aber sagst du jetzt, dass es doch okay ist, wenn Israel Ziele in Beschuss nimmt, welche näher als 150m an Häusern sind?

      Wie schätzt du den Angriff ein der 16 Hisbollah Kommandeure getötet hat und mehrere dutzend ihrer Kämpfer verwundet hat, aber - da er sie in einem Treffen in einer Tiefgarage in der nähe eines Hauses war jedoch auch Zivilist*innen erwischt hat? Da ging es ja nicht um ein einfaches Munitionsdepot, sondern die Führungsköpfe, das sollte dann für dich vom Ziel her jedenfalls okay sein?

      Ich würde mir wünschen, dass die libanesische oder UN Polizei die Hisbollah auflöst und verhaftet, dann sollte diese ohne unschuldige Opfer zu verursachen nicht mehr in der Lage sein Raketen auf jedes zweite Gebäude in Reichweite zu schießen. Warum ist das noch nicht passiert? Das ist Aufgabe des libanesischen Staats & eigentlich der UN Schutztruppen. Sicherheitsrat und die arabische Liga schwiegen.