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Gemeinsam Brot teilen gegen den Schmerz

In Eberswalde wird einer Türkin und ihres Sohns gedacht, die bei einem Brand ums Leben kamen. Die Hintergründe sind unklar, aber Erinnerungen an die Baseballschlägerjahre nach der Wende werden wach

Blumen und Kuscheltiere zum Gedenken. Emine Coban und ihr vierjähriger Sohn Umut Can haben das Feuer nicht überlebt. Beerdigt wurden sie in der Türkei am Tag der Trauerfeier in Eberswalde Fotos: Plutonia Plarre

Von Plutonia Plarre

Glockenläuten zeigt an, dass die Gedenkveranstaltung beginnt. An die 200 Menschen haben sich am Freitagabend auf dem Marktplatz von Eberswalde versammelt. Immer noch liegt leichter Brandgeruch in der Luft. Eine Woche ist es jetzt her, dass eine 45-jährige Frau türkischer Herkunft und ihr vierjähriger Sohn in dem Wohnhaus gegenüber dem Marktplatz ums Leben gekommen sind. Das Dach und die oberen Etagen sind ausgebrannt. Sechs Menschen wurden zum Teil schwer verletzt.

Nach wie vor ist unklar, wie das Feuer zustande gekommen ist. Die Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) ermittelt wegen vorsätzlicher Brandstiftung mit Todesfolge gegen unbekannt. Das stuckverzierte Gebäude, Teil der historischen Altstadt, gehört türkischstämmigen Eberswaldern. Bewohnt war es von Menschen mit Migrationsgeschichte, im Erdgeschoss befand sich ein Dönerladen, ein Barbershop stand kurz vor der Eröffnung.

Zusammenhalten, sich nicht spalten lassen, das ist die Botschaft dieser konfessionsübergreifenden Andacht, bei der die Pfarrerin der evangelischen Gemeinde, Petra Schenk, und der Islamwissenschaftler Marwan Hassan ein paar Worte sagen. Keiner der Versammelten will es laut aussprechen, aber ein Gedanke drängt sich auf.

Die 40.000 Einwohner zählende Kreisstadt des Landkreises Barnim im Nordosten Brandenburgs war früher eine Hochburg der Neonazis. In einem Atemzug wurden Eberswalde und Rechtsextremismus genannt. Es war der 25. November 1990, als der 27-jährige Amadeu Antonio nach einer Hetzjagd von Skinheads ins Koma getreten wurde. Der ehemalige Vertragsarbeiter aus Angola war das erste rassistische Todesopfer in den sogenannten Baseballschlägerjahren nach der Wende.

Erinnerungen an Solingen

Und da ist noch ein Gedanke: an den 29. Mai 1993 in Solingen Nordrhein-Westfalen, als vier Neonazis das Haus der türkeistämmigen Familie Genç in Brand setzten und damit fünf Angehörige einer Einwandererfamilie töteten.

Bisher hat die Staatsanwaltschaft keinerlei Signale ausgesendet, dass Rechtsextremisten als Brandstifter infrage kommen könnten. Ermittelt werde in alle Richtungen, heißt es. Denkbar sei alles, sagt eine Frau, die bei der Trauerfeier mit den Hauseigentümern und deren Freunden zusammensteht. Über mögliche Täter gemunkelt werde in Eberswalde viel, bis zu den Hells Angels und Clankriminalität gingen die Spekulationen. Sie finde das Gerede schlimm. Egal was behauptet wird, sagt ein Mann, das befeuere doch alles nur wieder die AfD. Am Sonntag, bei den Landtagswahlen in Brandenburg, werde sich das zeigen, so seine Befürchtung.

Vor 15 Jahren hätten sie das Haus gekauft und saniert, erzählt einer der Eigentümer. Der Mann wirkt sehr bedrückt. So schnell wie möglich wollten sie es wiederaufbauen.

Von schlimmen Szenen in der Brandnacht vom 15. auf den 16. September wird erzählt. Dass sich Menschen aus den oberen Stockwerken nur durch einen Sprung in das aufgespannte Tuch der Feuerwehr retten konnten.

Emine Coban und ihr vierjähriger Sohn Umut Can haben es nicht mehr geschafft. Unter einer Platane auf dem Markplatz stehen inmitten von Blumen, Kerzen und Kuscheltieren Fotos von den beiden. Erst seit einem Jahr waren Mutter und Kind in Deutschland, seit sechs Monaten lebte die Familie in Eberswalde. Der Ehemann und Vater hat die Leichname zur Beerdigung in die Türkei begleitet.

Mit einem sogenannten Brotbrechen endet die Andacht. Björn Wiese, Eigentümer der Bäckerei Wiese, geht mit einem großen Korb mit frischem Brot durch die Reihen. Auch nach einem Streit werden in vielen Kulturen Brot und Salz gereicht, sagt der Islamwissenschaftler Marwan Hassan. „Man ist eine Gemeinschaft, bedeutet das.“

Einen Laden und ein Café betreibt Björn Wiese in Eberswalde zusammen mit seiner Schwester. Bekannt ist die Firma nicht nur für gute Qualität, sondern auch für ihr Engagement für geflüchtete Menschen.

Der 52-jährige Wiese ist gebürtiger Eberswalder. Auch die Spendenaktion für die Brandopfer hat Wiese mitinitiiert. 60 Angestellte arbeiten in seinem Betrieb, Auslieferung, Produktion, Verkauf, Schaubäckerei, alles inbegriffen. 15 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sind Geflüchtete oder haben eine Migrationsgeschichte. Nicht allen in Eberswalde habe es anfangs gefallen, auch mal von einer Frau mit Kopftuch bedient zu werden, erzählt Wiese nach der Trauerfeier.

Schlimme Szenen spielten sich in der Brandnacht ab

Eberswalde hat sich in den letzten Jahrzehnten sehr stark verändert. Eine große Vielfalt prägt das Stadtbild. Filmfestivals, Konzert- und Kunstveranstaltungen, Shoppingnacht oder „Essen ist fertig“ – häufig wird Kultur angeboten, gibt es Events. Die Hochschule für nachhaltige Entwicklung zieht Studentinnen und Studenten aus aller Welt an, auch das spiegelt sich in den Straßen wider. Der Wohnungsmarkt ist angespannt. Mit dem Regio ist es nur eine halbe Stunde in die Hauptstadt.

„Wir haben sehr viel Zuzug“, sagt Bürgermeister Götz Herrmann (parteilos, aber unter anderen von der SPD unterstützt). Auch er ist am Freitag bei der Feier. Alle Brandopfer seien von der Stadt provisorisch mit Unterkünften versorgt worden. Auch längerfristig werde man etwas für sie finden, ist Herrmann optimistisch. Die Solidarität in Eberswalde sei groß. Aber der Bürgermeister sagt auch: Rechtsextremistische Schläger seien in Eberswalde schon lange kein Thema mehr. Das Erstarken der Rechtsextremen bereite ihm jedoch Sorge. Aus der Kommunalwahl am 9. Juni 2024 war die AfD mit 24,1 Prozent als klarer Sieger hervorgegangen.

Zu Veranstaltungen in die Innenstadt traue sich die AfD zwar nicht, aber an den Stadträndern sei sie präsent, erzählt einer. Wie zum Beweis findet zeitnah zur Trauerfeier am Bahnhof eine Wahlveranstaltung der AfD statt. Eine kleine Gruppe von Gegendemonstranten mit Fahnen der Antifa und VVN wird von der Polizei auf Abstand gehalten.

Und auch das erfährt man am Freitag bei Gesprächen auf dem Markplatz: Außerhalb von Eberswalde, Richtung Kloster Chorin, gebe es einen Imbiss. Einmal in der Woche halte die AfD da einen Stammtisch ab, der sich auch an Zulauf aus der rechtsextremen Szene erfreue. Ein Künstler fasste die Situation gegenüber der taz vor ein paar Jahren so zusammen: „Springerstiefel und Glatzen, das war gestern. Meine rechten Schulkameraden von damals sind in die Jahre gekommen. Man findet sie jetzt in der AfD.“

2015, das Jahr der sogenannten Flüchtlingswelle, habe ihn zu seinem Engagement bewogen, erzählt Bäcker Wiese. Die Ausländerhetze von Pegida in Leipzig und Dresden, die Belagerung und Angriffe einer Flüchtlingsunterkunft im sächsischen Heidenau. „Nie wieder“, so Wiese, „soll Eberswalde so in Verruf geraten wie Anfang der 90er Jahre, habe ich mir gesagt.“ Mit Unterstützung der „Willkommensinitiative Eberswalde“ habe er Kontakt zu Flüchtlingsunterkünften im Raum Eberswalde aufgenommen. Ein Pakistaner sei der erste Praktikant in der Bäckerei gewesen, ein Syrer der erste Azubi. Auch wegen des Arbeitskräftemangels sei er heilfroh über diese Lösung, sagt Wiese.

Das Wohnhaus nach dem Brand

Unter den Trauergästen ist Mustafa Coban, der Bruder des 50-jährigen Mannes, der bei dem Brand Frau und Sohn verlor und diese gerade in der Türkei beerdigt hat. Von der Andacht auf dem Markplatz habe er dem Bruder ein Video geschickt. „Die Anteilnahme hilft ihm in seinem Schmerz.“

Sein Bruder sei ein versierter Handwerker, erzählt Coban. Sie beide würden seit 35 Jahren in Deutschland leben. Seine Frau Emine habe der Bruder in der Türkei kennengelernt, Umut Can sei in der Türkei geboren. „Sie sind nach Eberswalde gezogen, weil es nicht so chaotisch ist wie Berlin.“ Dort, Coban zeigt auf einen Durchgang am Marktplatz, habe der Bruder mit dem Kleinen immer Fangen gespielt. Sein Bruder glaube übrigens nicht an Brandstiftung und er selbst auch nicht, sagt Coban überzeugt. „Und mein Bruder will auch nach Eberswalde zurückkommen. Er war glücklich hier.“

Nach der Gedenkveranstaltung findet auf dem Markplatz und in den Seitenstraßen die Veranstaltung „Essen ist fertig“ und eine Shoppingnacht statt. An den Getränkeständen und Imbissen bilden sich Schlangen, Bands spielen auf.

Björn Wiese ist auch Vorsitzender im Stadtverein Eberswalde. Der Zusammenschluss von Geschäftsinhabern und Privatpersonen hat die Trauerfeier organisiert und ist auch Mitveranstalter von „Essen ist fertig“ und der Shoppingnacht. Nach einer intensiven Diskussion im Stadtverein habe man entschieden, die lange geplanten Abendveranstaltungen nicht abzusagen, sagt Wiese und blickt auf das Getümmel auf dem Platz. „Theoretisch müsste hier ja jeder Vierte ein AfD-Wähler sein.“ Im besten Fall würden solche Veranstaltungen helfen, das Eis zwischen den Menschen zu brechen, ins Gespräch zu kommen. „Brot“, ist Wiese überzeugt, „schweißt zusammen.“

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