Bündnis Sahra Wagenknecht: Oh diese Lücke, diese entsetzliche​

Die Kritik an der neuen populistischen Partei ist berechtigt. Aber für den Erfolg des BSW tragen Linke und Ampel eine Mitverantwortung.

Sahra Wagenknecht bei der Wahlparty in Erfurt Foto: Christoph Soeder/dpa

Es klafft eine Lücke im deutschen Parteiensystem, sie ist groß. Und es gibt eine neue Partei, die es offenbar schafft, diese zu füllen. Wählerinnen, die frustriert sind von der Ampel-Koalition, aber in der CDU und der Linkspartei keine Alternative sehen und auch nicht die extrem rechte AfD wollen, können nun das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) wählen.

Zwar sind die Ergebnisse für das BSW bei den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen nicht so astronomisch hoch, wie es zwischenzeitlich prognostiziert worden war. Aber von null auf zweistellig, das ist ein erklärungsbedürftiges Ergebnis für eine Partei, die sich erst vor acht Monaten gründete.

Was ist das für eine Lücke und wo klafft sie?

Angetreten war das BSW, um die AfD zu schwächen. Nachwahlbetrachtungen zur Wählerwanderung zeigen: Das BSW ist tatsächlich die einzige Partei, an die die AfD insgesamt Stimmen verloren hat. Noch mehr wurde die neue Partei aber von Menschen gewählt, die vorher die Linke oder Ampel-Parteien gewählt haben. Viele haben die Wahl laut Umfragen außerdem genutzt, um ihren Protest auszudrücken: nicht nur in der Friedensfrage, sondern auch in der Sozialpolitik.

Inhaltlich stellt sich die Partei breit – man könnte auch sagen widersprüchlich – auf. Man will sozialpolitisch links sein und nostalgisch, aber auch kleine Selbstständige vertreten. Man ist restriktiv in der Migrationspolitik, will aber auch linke Wählerinnen einbinden. Wenn man neu ist und nicht vorbelastet durch schmutzige Realpolitik, kann man sich diese Widersprüchlichkeit erlauben. Das Rezept ist für deutsche Verhältnisse ungewohnt, im europäischen Vergleich ist das BSW aufreizend normal.

Partei neuen Typs

Es ist aber nicht nur die inhaltliche Ausrichtung und die Zuspitzung auf eine Vorsitzende, die das BSW erfolgreich macht, sondern auch seine Organisationsweise.

Viele hatten Sahra Wagenknecht einen solchen Erfolg niemals zugetraut. Als sie und ihre Getreuen die Linkspartei verließen, eilte ihr der Ruf voraus, dass sie zwar in Talkshows reden, aber keine Partei führen und organisieren kann. Das mag stimmen. Aber sie hat das erkannt und Menschen gefunden, die das für sie übernehmen.

Dann glaubten viele, dass die neue Kaderpartei wegen ihrer restriktiven Art, Mitglieder aufzunehmen, im Wahlkampf große Nachteile haben würde. Wer würde die vielen Plakate kleben, Veranstaltungen organisieren und Marktstände betreuen?

Auch diese Prognose hat sich als falsch erwiesen. Das BSW ist nicht trotz, sondern wegen ihrer wenigen Mitglieder erfolgreich. Das demokratisch bewährte Modell der Mitgliederpartei aus der alten Bundesrepublik ist nicht mehr attraktiv, gerade in Ostdeutschland mit seiner geringen Parteieinbindung kommt eine Partei gut an, die vorgibt, anders als die anderen zu sein.

Zwei Dinge machen die Partei gefährlich

In der Migrationspolitik ist das BSW mittlerweile auf einer traurigen Linie mit AfD, CDU und Teilen der Ampel. Gefährlich machen das BSW aber zwei andere inhaltliche Festlegungen: Ihr Umgang mit der AfD und ihre Ukraine-Politik. Thüringens Landeschefin Katja Wolf hat angekündigt, vernünftigen Anträgen der AfD im Landtag zuzustimmen. Das ist ein weiterer Tritt gegen die Brandmauer, die ohnehin nur noch aus ein paar wackeligen Pfeilern besteht. Dem Wahlgewinner, der AfD, eröffnet das neue Möglichkeiten, die anderen Parteien im neuen Landtag vor sich herzutreiben.

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Genauso gefährlich ist die Ukraine-Politik des BSW. Bei fast jedem ihrer Auftritte relativiert Wagenknecht russische Kriegsverbrechen. Von möglichen Koalitionspartnern verlangt sie eine Ablehnung der Stationierung von US-Raketen. Selbst wenn man sich in den Ländern bei den anstehenden Verhandlungen auf Formelkompromisse einigen sollte, birgt der Erfolg des BSW die Gefahr, dass auch die Parteien, die an der Seite der Ukraine stehen, irgendwann einknicken.

Doch bei aller Kritik am BSW darf eines nicht untergehen: Es sind die bürgerlichen Parteien von Grünen bis zur CDU, aber auch die Linke, die mit ihrer Politik die Lücke gerissen haben, die das BSW füllt. Der Erfolg des BSW hat viele Mütter: Zuallererst die Politik der Ampel, das Gefühl, in ökonomisch und politisch unsicheren Zeiten von einer Koalition regiert zu werden, die handlungsunfähig ist und sich trotzdem für alternativlos hält.

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Besonders in der Friedensfrage hat die Ampel das Unbehagen in der Bevölkerung unterschätzt. Viele Menschen verstehen nicht, dass die Ampel Milliarden für einen Krieg bereitstellt, der oft aussichtslos scheint, und zeitgleich bei der Sozialpolitik spart. Auch der Kanzler hat offenbar nicht verstanden, wie groß die Kriegsangst ist, als er die Stationierung der US-Raketen ohne größere Debatte oder ein gemeinsames europäisches Abkommen beschloss. Der Kanzler und die Ampel schaffen es nicht, ihre Ukraine-Politik zu erklären. So sind viele Menschen bereit, einfache populistische Antworten auf geopolitische Fragen zu glauben.

Man mag den Ruf nach Frieden und Dialog mit Putin für naiv und gefährlich halten. Man muss aber anerkennen, dass diese Wahlen auch Protestwahlen für eine andere Ukraine-Politik waren.

Die Widersprüche werden wachsen

Aber auch die Linke ist für einen Teil der Lücke verantwortlich: Auf Bundesebene hat man sich von der Spaltung schlechter erholt als Wagenknechts Truppe, dabei hatte man sie immer für den mangelnden Erfolg verantwortlich gemacht. Eine eindeutige Haltung zum Ukraine-Krieg, die Pazifismus und Solidarität mit dem überfallenen Staat überzeugend miteinander verbindet, hat die Partei immer noch nicht, vielleicht ist es auch nicht möglich. Das BSW will das gar nicht erst und hat es deshalb leichter.

In Thüringen kommt dazu, dass die Linke als Partei des Ministerpräsidenten als Protestpartei nicht mehr infrage kam. Sie wird mitverantwortlich gemacht für die instabilen politischen Verhältnisse der vergangenen Jahre. Für die Linke ist das ein Dilemma: Sie ist nun als Regierungspartei und als Oppositionspartei gescheitert und hat in beiden Feldern eine linkskonservative Konkurrenz bekommen.

So viel zu den Lücken, die das BSW erkannt hat. Aber kann die neue Partei sie ausfüllen?

Das inhaltlich Diffuse, die geringen Mitgliederzahlen – viele Faktoren, die im Wahlkampf von Vorteil waren, werden nach den Wahlen zur Herausforderung. Eine Partei mit Fraktion und möglicherweise sogar Ministerien braucht Personal, die vielen UnterstützerInnen drängen darauf, einzutreten. Sollte die Partei Teil einer Koalition mit einer knappen Mehrheit im Erfurter oder Dresdner Landtag werden, muss das heterogene Bündnis aus Politikneulingen, Ex-Grünen und Ex-Linken, Unternehmern und Fernsehmoderatoren zusammengehalten werden und disziplinierte Fraktionen bilden. Da wird es schwieriger, von Berlin oder aus dem Saarland die Kontrolle zu behalten.

Die Widersprüche innerhalb des BSW werden zunehmen. Die Landesverbände werden Verantwortung übernehmen wollen, und Koalitionen mit jenen Parteien schmieden, die Wagenknecht im Wahlkampf noch als „Sumpf“ beschimpft hat. Die Vorsitzende dagegen wird sich mit Realpolitik nicht schmutzig machen und vor allem als neue Oppositionspartei in den Bundestagswahlkampf ziehen wollen.

Ob das zusammengeht? Wenn die Ampel-Regierung so weitermacht, vermutlich schon.

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Kersten Augustin leitet das innenpolitische Ressort der taz. Geboren 1988 in Hamburg. Er studierte in Berlin, Jerusalem und Ramallah und wurde an der Deutschen Journalistenschule (DJS) in München ausgebildet. 2015 wurde er Redakteur der taz.am wochenende. 2022 wurde er stellvertretender Ressortleiter der neu gegründeten wochentaz und leitete das Politikteam der Wochenzeitung. In der wochentaz schreibt er die Kolumne „Materie“. Seine Recherchen wurden mit dem Otto-Brenner-Preis, dem Langem Atem und dem Wächterpreis der Tagespresse ausgezeichnet.

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