Infografik: Lalon Sander

Rechte Wahlergebnisse seit 1994:Wie Deutschland nach rechts rückte

Ganz Deutschland ist in den letzten drei Jahrzehnten nach rechts gerückt, zeigt eine taz-Datenanalyse. Im Osten besonders drastisch.

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1.9.2024, 12:10  Uhr

Im Juni feierte die rechsradikale AfD in Mecklenburg-Vorpommern einen erneuten Erfolg: In Wilhelmsburg, einer beschaulichen Gemeinde am Rande der Ueckermünder Heide, gewann ihr Kandidat die Bürgermeisterwahl. In dem 720-Menschen-Ort gaben bei der Stichwahl 54 Prozent der Wäh­le­r*in­nen Peter Volker Weimer ihre Stimme. Landesweit erhielt die AfD bei den Kommunalwahlen mit 25,6 Prozent die meisten Stimmen – mehr sogar als die CDU. „Die Zeit der Brandmauern ist vorbei“, feierte Landeschef Leif Erik Holm.

Mit den zu befürchtenden Wahlerfolgen der Rechts­ex­tre­mis­t*in­nen in Thüringen und Sachsen dürfte diese Vorstellung nun noch mehr in der Partei verankert werden. Es ist ein starker und schneller Aufstieg: Schon zehn Jahre nach ihrer Gründung kann die AfD regional größte Kraft werden und hat lokal vielerorts bereits die Mehrheit der Wäh­le­r*in­nen hinter sich.

Am Beispiel Wilhelmsburg wird exemplarisch sichtbar, was sich fast überall in der Bundesrepublik vollzogen hat, aber nicht gerne wahrgenommen wird: ein deutlicher Rechtsruck. Sichtbar wird auch, dass die AfD von der Vorarbeit anderer rechtsextremer Parteien profitiert: In Wilhelmsburg hatten 1998 noch knapp 10 Prozent der Wäh­le­r*in­nen für die Rechts­ex­tre­mis­t*in­nen von DVU, Republikaner oder NPD gestimmt. Bei der Bundestagswahl 2021 machten 40 Prozent ihr Kreuz bei der AfD und 5,6 Prozent weitere bei der rechtsextremen Kleinpartei Die Basis und weitere 2 Prozent wählten die NPD. Insgesamt 47,5 Prozent.

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In den vergangenen Monaten haben wir die Wahlergebnisse der Bundestagswahlen seit 1994 analysiert und berechnet, wie sich in den Gemeinden Deutschlands der Zweitstimmen-Anteil rechter Parteien über die Jahre verändert hat. Das Ergebnis: In fast allen der mehr als 10.000 Gemeinden ist der Stimmanteil rechter Parteien gestiegen, teilweise um über 50 Prozentpunkte – wo in den 1990er Jahren rechtsradikale Politik nur einen einstelligen Stimmenanteil bekam, war er bei den vergangenen zwei Wahlen oft schon mehrheitsfähig.

So erhielten rechte Parteien in Karlsdorf, Thüringen, 1998 noch 3 Prozent der Stimmen – inzwischen sind es 54 Prozent. In Groß Luckow, Mecklenburg-Vorpommern, stieg der Anteil von 7 auf fast 60 Prozent. Auch im Westen gibt es neue Hochburgen dort, wo rechte Wäh­le­r*in­nen früher rar waren: In Molbergen, Niedersachsen, und Augustdorf, Nordrhein-Westfalen, erhielten rechte Parteien 2021 etwa 20 Prozent der Stimmen. 1998 gab es in den Orten jeweils noch weniger als 1 und 3 Prozent rechte Wähler*innen.

In Deutschland wird bei der Bundestagswahl in 300 Wahlkreisen gewählt, dennoch konnten wir für diese Analyse die Wahlergebnisse für mehr als 10.000 Gemeinden in Deutschland darstellen.

Die Bundeswahlleiterin stellt auf ihrer Website die Ergebnisse der Wahlbezirke von allen Bundestagswahlen zur Verfügung. Da bekannt ist, in welcher Gemeinde sich die Wahlbezirke befinden, können Ergebnissummen für die Gemeinden in Deutschland erstellt werden.

Dafür gibt es zwei Einschränkungen. Erstens sind manche Gemeinden so klein, dass sie mit einer benachbarten Gemeinde in einem Wahlbezirk zusammengefasst werden. In diesem Fall taucht das Ergebnis nicht bei der kleineren Gemeinde auf, sondern nur bei der größeren. Zweitens werden in manchen Regionen die Briefwahl-Stimmen für mehrere Wahlbezirke zusammen gesammelt, so dass eine Zuordnung der Briefwahlstimmen zu einer Gemeinde nicht mehr möglich ist. In diesen Fällen haben wir die Briefwahlstimmen dieser Gemeinden nicht gezählt. In der Regel wird damit das rechte Wahlergebnis leicht überschätzt, da die Wäh­le­r*in­nen dieser Parteien seltener per Briefwahl abstimmen.

Da sich die Gemeindegrenzen in Deutschland von Jahr zu Jahr verändern, haben wir die Wahlergebnisse jeweils für die Gemeinden im Jahr 2021 umgerechnet. Die grauen Flecken in der Karte sind vor allem Gebiete, die unbewohnt sind. Zudem gibt es auch Gemeinden, in denen das Ergebnis nicht sauber umgerechnet werden konnte, beispielsweise, weil eine frühere größere Gemeinde in mehrere kleineren aufgeteilt wurde. Für dieses Projekt nutzen wir Daten für 10.457 Gemeinden, insgesamt gab es im Jahr 2021 10.994 Gemeinden.

Um das rechte Wahlergebnis zu errechnen haben wir die Zweitstimmen in den Gemeinden für folgende Parteien zusammengezählt: AfD, NPD/Die Heimat, Republikaner, DVU, III. Weg, Die Basis, Die Rechte, Pro Deutschland, Bund freier Bürger/Offensive Deutschland, Bürgerbewegung pro Deutschland, 50Plus, Partei Rechtsstaatlicher Offensive (‚Schill-Partei‘), „Ab jetzt…Demokratie durch Volksabstimmung“, Freie Wähler Deutschland (nicht zu verwechseln mit der Bundesvereinigung Freie Wähler, die beispielsweise in Bayern mitregiert) und Deutsche Mitte. Die Stimm-Anteile werden gezählt, auch wenn die Partei an der 5-Prozent-Hürde bei der Wahl scheiterte und nicht in den Bundestag einzog.

Das Datenprojekt bietet einen zeitlich und regional differenzierten Überblick. Der Rechtsruck ist in Ostdeutschland viel ausgeprägter als in Westdeutschland. Im Westen gibt es zwar mehr rechte Wähler*innen, aber die Akzeptanz ist in der Gesellschaft etwas geringer. AfD-Bürgermeister sind in den tausenden Gemeinden Deutschlands noch Einzelfälle, dürften aber in den kommenden Jahren häufiger werden – wenn der Trend sich nicht umkehrt.

Die Daten legen für den Osten nahe, dass das rechtsradikale Wäh­le­r*in­nenpoten­zi­al dort erst erschlossen werden musste: mit den Baseballschlägerjahren in den 1990er Jahren, dem Aufstieg der NPD in den 2000er Jahren und schließlich der Neuerfindung im neurechten Gewand in den 2010er Jahren. Im Westen wurden länger bestehende rechte Milieus reaktiviert.

Frühe Erfolge im Westen

Schon vor der Wiedervereinigung gewannen extrem rechte Politiker im Westen immer wieder Wähler*innenstimmen. In den 1960er Jahren war die NPD bereits in sieben Landtagen präsent, die Republikaner zogen 1989 ins Berliner Abgeordnetenhaus und ins Europaparlament ein und saßen schließlich von 1992 bis 2001 im Landtag von Baden-Württemberg. Die DVU zog kurz nach der Wende in die Bremer Bür­ge­r*in­nen­schaft als auch in den Landtag von Schleswig-Holstein ein. In Hamburg konnte hingegen die extrem rechte Schill-Partei im Jahr 2000 gleich die Regierung mitbilden – dank einer CDU, die unbedingt die Macht der SPD brechen wollte.

Damals zeigte sich in Hamburg, wohin eine mangelnde Abgrenzung nach rechts führen konnte und offenbarte die Gefahr, wenn Politik und Medien die Themen der Rechten aufgreifen – gegen eine multikulturelle Gesellschaft und für eine scheinbar harte Law-and-Order-Politik. Dass rechte Bewegungen verharmlost werden und ihren Forderungen politisch sogar entgegengekommen wird, zieht sich als bundesweiter Trend durch die Jahrzehnte. Während – beispielsweise – Kli­ma­ak­ti­vis­t*innen schnell zu „Terroristen“ abgestempelt werden, diskutieren Politik und Medien oft über Jahre hinweg, ob rechte Parteien wirklich „rechtsextrem“ sind und ob ihre Wäh­le­r*in­nen nicht einfach nur „Wutbürger“ oder „Protestwähler“.

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