Carolabrücke in Dresden als Symbolbild: Brüche überall

Die Carolabrücke ist ein Symbol für ein marodes Deutschland. Statt sich um zentrale Probleme zu kümmern, diskutiert die Politik nur über Migration.

Zwei Männer in Warnwesten stehen auf einer eingestürzten brücke

9 Minuten vor dem Teileinsturz fuhr noch eine Straßenbahn über die Carolabrücke Foto: Sylvio Dittrich/imago

Manchmal schafft die Realität bessere Bilder, als jeder Film es tun könnte. Die eingestürzte Carolabrücke in Dresden, bei der in der Nacht zum Mittwoch ein 100 Meter langes Stück herunterbrach und nun in der Elbe liegt, ist so ein Bild. Denn ein besseres Symbol als eine eingebrochene Brücke könnte man sich für den Zustand dieses Landes und ihrer Politik kaum ausdenken.

Gerade einmal neun Minuten liegen zwischen dem Einsturz (2.59 Uhr) und der letzten Straßenbahnfahrt (2.50 Uhr). Dank dieser neun Minuten hat der Einsturz keine Menschenleben gefordert. Glück im Unglück könnte man sagen. Doch für die Dresdner_innen ist die Situation trotz allem schlecht. Eine wichtige Verkehrsader fehlt, die Elbe ist für die Schifffahrt gesperrt, der Elberadweg und die Terrassen­ufer sind nicht nutzbar.

Die Ursachen für den Einsturz werden noch untersucht, bislang gehen Expert_innen von einer Korrosion bei den Stahlteilen aus. Fest steht aber: Die Brücke war sanierungsbedürftig – und das war seit Jahren bekannt. Und damit ist die Carolabrücke kein Einzelfall, viele Brücken, Straßen und Gleise in Deutschland sind im schlechten Zustand. Der Städte- und Gemeindebund fordert nun von Bund und Ländern eine „Investitionsoffensive für die Infrastruktur“.

Es bröckelt

Doch es ist nicht nur die Infrastruktur. Wer versucht, in diesem Land ein gutes Leben zu führen, merkt schnell, dass es an allen Enden und Ecken bröckelt.

Die Bildungssituation beschreiben viele als Desaster: Die Schüler_innen werden immer schlechter, es mangelt an Lehrer_innen und die Schulgebäude sind im maroden Zustand. Und obwohl alle predigen, dass Bildung ihnen am Herzen liege, verbessert sich nichts.

Die Mieten steigen Jahr für Jahr. Doch obwohl Deutschland das Mieterland Nummer 1 in der EU ist und über die Hälfte der Deutschen zur Miete wohnt, ist bezahlbares Wohnen kein Großthema in der Politik.

Die Gewalt gegen Frauen nimmt immer weiter zu, mittlerweile wird fast jeden zweiten Tag eine Frau von ihrem (Ex-)Partner getötet. Doch selbst auf diese schwerste Gewaltform reagiert die Politik mit Schulterzucken.

Und wer ist schuld?

Die Wirtschaft steckt in einer Dauerkrise, die sich aktuell bei Autobauer VW zeigt. Der will sein finanzielles Problem auf dem Rücken der Beschäftigten lösen und machte diese Woche den Weg für betriebsbedingte Kündigungen frei.

Doch egal, wie viele Menschen betroffen sind, egal, wie drängend die Situation, in letzter Zeit scheint kein einziges politisches Problem mehr in der Politik durchzudringen, da ein Thema dominiert: Asyl und Migration.

Denn für viele Politiker_innen und leider auch für einen Teil der Bevölkerung lassen sich damit eh die meisten Probleme erklären.

Du bekommst keine Wohnung? Die Ausländer sind schuld. Du bekommst keinen Zahnarzttermin? Die Ausländer sind schuld. Dein Kind sitzt in überfüllten Klassen und lernt nicht mehr richtig? Die Ausländer sind schuld.

Dieses vereinfachte und falsche Erklärungsmuster führte in den letzten Wochen seit dem mutmaßlich islamistischen Anschlag in Solingen zu einem Überbietungswettkampf zwischen den Regierungs- und Oppositionsparteien, wie man die Asyl- und Migrationspolitik weiter verschärfen könne. Je härter, desto besser scheint bei diesem Wettkampf die Devise. Mit der Folge, dass teilweise nicht mehr auszumachen ist, wer da gerade etwas fordert: die AfD, die Union oder eine der Regierungsparteien.

Zeit für eine Überraschung

Die Verlierer_innen des Ganzen sind in erster Linie Geflüchtete und Migrant_innen. In zweiter Linie die gesamte Bevölkerung, denn neben Asyl- und Migrationsfragen bleiben alle politisch brisanten Themen links liegen.

In Dresden liegt ein Teil der Brücke weiter in der Elbe. Ein Hochwasser droht die Situation zu verschlimmern. Denn laut Wetterdienst werden im Südosten Europas lang anhaltende Niederschläge erwartet, die auch bei der Elbe zu steigenden Pegeln führen können. Die Betonteile der Brücke wirken in der Elbe wie ein Staudamm, die zu einer Überflutung in Dresden führen könnten.

Aus der Politik kommen nun zwar erste Warnungen und Versprechungen, dass nun wirklich etwas passieren müsse. Doch glaubhaft wird das erst dann, wenn die Ampelregierung sich von ihrer Schwarzen Null verabschiedet und beginnt, die Brücken in diesem Land zu reparieren, bevor alles auseinanderbricht. Das allerdings wäre eine Überraschung – und bislang bleibt die einzige Überraschung, dass noch niemanden den Ausländern Schuld an dem Einsturz in Dresden gegeben hat.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Ressortleiterin bei taz zwei - dem Ressort für Gesellschaft und Medien. Schreibt hauptsächlich über intersektionalen Feminismus, (digitale) Gewalt gegen Frauen und Popphänomene. Studium der Literatur- und Kulturwisseschaften in Dresden und Berlin. Seit 2017 bei der taz.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.