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Pedro Almodóvar gewinnt Goldenen LöwenIm Zweifel für Bewährtes

Solide Wahl in einem Jahrgang mit wenigen Höhepunkten: Die 81. Filmfestspiele von Venedig enden mit dem Goldenen Löwen für Altmeister Pedro Almodóvar.

Regisseur Pedro Almodóvar gewann den Goldenen Löwen für „The Room Next Door“

„Ich habe gute Nachrichten für Sie: Das Kino ist in großartiger Verfassung.“ Mit diesen Worten kündigte Isabelle Huppert, die Präsidentin der Wettbewerbsjury der 81. Ausgabe der Filmfestspiele von Venedig, am Sonnabend auf dem Lido die Ehrung der Preisträger an. Und man kann ihr darin zustimmen, dass unter den Ausgezeichneten niemand wirklich Schlechtes war. Selbst wenn dies nicht für alle Filme gelten mag, die damit in der einen oder anderen Weise berücksichtigt wurden.

Der Goldene Löwe für Pedro Almodóvars Film „The Room Next Door“ ist der erste Hauptpreis für den Regisseur bei einem der drei großen Filmfestivals von Cannes, Venedig und Berlin. Vorausgesetzt, man zählt den Goldenen Löwen für sein Lebenswerk als Ehrenpreis aus dem Jahr 2019 nicht mit. Sein Goldener Löwe jetzt dient zugleich als eine Art Geburtstagsgeschenk im Voraus, da Almodóvar am 26. September 75 Jahre alt wird. Gemessen an seiner Bedeutung ist der Preis allemal richtig.

Mit „The Room Next Door“ hat Almodóvar zum ersten Mal einen abendfüllenden Spielfilm auf Englisch gedreht, seinen artifiziellen Stil hat er dabei auf elegante Weise zugespitzt. Die Interieurs noch perfekter geordnet, die bunten Farben noch präziser aufeinander abgestimmt, bewegt einen diese Geschichte einer Todkranken, die sich im finalen Stadium einer unheilbaren Krebsart die Gesellschaft einer Freundin wünscht. Und das, obwohl Almodóvar seinen Bildern das Leben geradezu austreiben zu wollen scheint. Seine Hauptdarstellerinnen Tilda Swinton und Julianne Moore wissen dies jedoch virtuos zu verhindern.

Man könnte gleichwohl dagegenhalten, dass es nicht der beste Film Almodóvars geworden ist und es überraschendere Kandidaten für den Hauptpreis der Filmfestspiele gegeben hätte. In diesem Fall einigte sich die Jury auf Bewährtes, man könnte fast geneigt sein, so etwas wie Verteilungsgerechtigkeit dahinter am Werk zu vermuten, im Sinne von: Er hat sich das endlich mal verdient. Was im Grunde stimmt.

Sparsame, große Gesten bei Maura Delpero

Eine Überraschung war da schon eher der Große Regiepreis für „Vermiglio“ von Maura Delpero, der mit Abstand stärkste italienische Film im Wettbewerb. Die Regisseurin erzählt von einer Familie im ländlichen Trentino während des Zweiten Weltkriegs, bei der die Töchter die tragenden Figuren sind. Sie sehen sich zum Teil mehr, zum Teil weniger mit der weltpolitischen Lage konfrontiert, ihre Nöte schildert Delpero mit sparsamen Gesten dabei als stets gleich groß.

Da ist die älteste Tochter, Lucia, die sich in einen desertierten Soldaten aus Sizilien verliebt, mit ungeahnten Folgen. Das Kind, das er ihr „schenkt“, ist darunter die erwartbarste. Die etwas jüngere Ada sehnt sich nach Liebe, steckt aber vor allem in katholischen Zwangsvorstellungen fest, die sie dazu bringen, sich selbst immer absurdere Strafen für ihre „Sünden“ aufzuerlegen. Allein die jüngste, Flavia, scheint wenige Sorgen zu kennen. Sie soll als klügstes Kind zur höheren Schule wechseln, leidet dafür aber an den Rückschlägen, die ihre Schwestern erleiden. Delpero erzählt eindringlich, nimmt sich des Dramas dieser Familie mit empathischer Trockenheit an. Ein guter Film mit hervorragendem Ensemblespiel.

Mehr Mut und allemal mehr Risiko ging hingegen Brady Corbet mit seinem gut dreistündigen fiktiven Biopic „The Brutalist“ ein. Sein Epos mit Adrien Brody in der Rolle des Architekten László Tóth, der als Holocaustüberlebender nach dem Zweiten Weltkrieg in die USA emigriert, beschreibt auf fast altmodische Weise den Aufstieg Tóths, nachdem dieser zu Beginn des Films alles verloren hat. Zugleich sprengt Corbet den Rahmen traditionellen Erzählens immer wieder mit unvorhersehbaren Wendungen auf, wobei er den Fortgang der Handlung als solchen intakt lässt. Ein spektakelwilliger Film, von dem man sich gern mitreißen lässt. Immerhin erhielt Corbet dafür den Regiepreis.

Eine angemessene Entscheidung ist der Spezialpreis für Dea Kulumbegaschwilis „April“, der künstlerisch ambitionierteste Beitrag des Wettbewerbs. Die Geschichte einer Gynäkologin in Georgien, die gegen überkommene Rollenvorstellungen und ungerechte Gesetzgebung heimlich Abtreibungen für bedürftige Frauen auf dem Land anbietet, sollte der Film mit der eigenwilligsten Form des Wettbewerbs bleiben. Selbst wenn ihr Film mitunter etwas Angestrengtes hat, ist ihre Nina eine der wenigen Hauptfiguren, die Eindruck hinterlassen.

Man möchte Isabelle Huppert widersprechen

Die Mehrheit des Wettbewerbs bestand allerdings aus konventioneller erzählten Stoffen, viele mäßig bis weniger geglückt. In dieser Hinsicht möchte man Isabelle Huppert widersprechen. Das Kino steht als Kunstform nicht unbedingt schlechter da als vergangenes Jahr, bloß belegt dies der Wettbewerb lediglich in Teilen. Herausragend war zumindest Walter Salles „Ainda estou aqui“ über das Schicksal der Familie von Eunice Paiva, deren Mann Rubens während der brasilianischen Militärdiktatur zu Beginn der siebziger Jahre verschwand. Sein Tod wurde erst in den neunziger Jahren bestätigt. Einen Preis gab es für die Drehbuchautoren Murilo Hauser und Heitor Lorega.

An den Preisen gemessen mithin ein guter Jahrgang. Schade nur, dass es am Ende keine Würdigung für Wang Bings einzigen Dokumentarfilm im Wettbewerb gab. „Youth: Homecoming“ begleitet wie der vergangenes Jahr in Cannes gezeigte „Youth: Spring“ junge chinesische Textilarbeiter bei der Arbeit. Für seinen mittlerweile dritten Film zum Thema geht Wang Bing variationsreicher vor, konzentriert sich stärker auf einzelne Personen, begleitet diese zu ihren Familien oder zu Hochzeitsfeiern. Daraus entsteht eine Geschichte, die den harten Bedingungen, unter denen die Protagonisten arbeiten, die nicht minder harten Lebensbedingungen der Elterngeneration zur Seite stellt. Ein Lichtblick des beobachtenden Dokumentarkinos unter zu viel fiktivem Mittelmaß.

In der Nebenreihe „Orizzonti“ wurden zwei ebenfalls starke Filme ausgezeichnet. Der rumänische Regisseur Bogdan Mureșanu erhielt für „The New Year That Never Came“ verdient den Preis für den besten Film. Mit viel schwarzem Humor skizziert er, ohne seine Figuren vorzuführen, sechs sehr unterschiedliche Personen, deren Leben er mit der unmittelbar bevorstehenden rumänischen Revolution verbindet. Eine davon lässt er sogar spontan aktiv daran teilhaben.

Aus dem aktiven Leben verabschiedet sich dafür die Protagonistin von „Familiar Touch“, dem Regiedebüt der Filmemacherin Sarah Friedland. Die ehemalige Köchin Ruth kommt darin in ein Pflegeheim, wo sie zwischen Klarheit und Verwirrung schwankt. Sie glaubt im einen Moment, ihr Leben wie bisher fortsetzen zu können, erkennt aber im nächsten ihren eigenen Sohn nicht mehr. Friedland gibt ihrer Hauptdarstellerin Kathleen Chalfant viel Raum, um diese Wechsel in ihrer Mimik genau abzubilden. Der Umzug Ruths in ein neues Zuhause bietet Friedland zudem Gelegenheit, um scheinbar beiläufig eine Verbindung zum Holocaust herzustellen.

Wenig Reaktion auf Äußerungen zum Gaza-Konflikt

Für Friedlands Film gab es gleich drei Auszeichnungen: den Regiepreis der Sektion, den Preis für die beste Darstellerin und den „Luigi De Laurentiis“-Preis für den besten Debütfilm. Dass Friedland in ihrer Dankesrede sich dann unter Hinweis darauf, dass sie eine jüdische amerikanische Filmemacherin sei, gegen den „Genozid in Gaza“ aussprach und sich solidarisch mit „den Palästinensern in ihrem Freiheitskampf“ zeigte, weckte Erinnerungen an die Gala der Berlinale im Februar, auf der ähnliche Bekundungen abgegeben wurden. Wie in Berlin reagierte das Galapublikum in Venedig mit Applaus. Dass es diesmal erneut eine öffentliche Debatte darum geben wird wie bei der Berlinale, erscheint hingegen unwahrscheinlich.

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