Urteil im G20-Rondenbarg-Prozess: Tiefschlag der Hamburger Justiz

Im Rondenbarg-Prozess wurden zwei G20-Gegner*innen zu Unrecht verurteilt. Grundprinzipien des Rechtsstaats galten für sie nicht.

Alle kriminell? Wenn ei­ne*r eine Straftat begeht, könnte es so sein Foto: Florian Schuh/dpa

Angst ist kein rationales Gefühl. Das räumte die Richterin im G20-Rondenbarg-Prozess bei der Verkündung des Urteils ein. Trotzdem sei die Angst der Passanten ausschlaggebend für das Urteil gewesen: 90 Tagessätze verhängte sie für das martialische Auftreten am Rondenbarg. Was war geschehen?

Nicht viel, auch das räumte die Richterin ein. Die Gruppe von 200 überwiegend dunkel gekleideten De­mons­tran­t*in­nen war während des G20-Gipfels 2017 in Hamburg festgenommen worden, wobei sie zum Teil krankenhausreif geprügelt wurde. Alle, derer die Polizei habhaft werden konnte, wurden angeklagt – 85 Personen. Zwei von ihnen wurden am Dienstag für Landfriedensbruch und Beihilfe zu versuchter gefährlicher Körperverletzung, tätlichem Angriff, Widerstand und Sachbeschädigung verurteilt.

Auf dem kurzen Weg vom Protestcamp zum Ort der Festnahme in der Straße Rondenbarg hatten De­mo­teil­neh­me­r*in­nen zwei Müllcontainer und drei Bauzaunelemente auf die Straße gezerrt. Im hinteren Bereich der Demo zertrümmerten Teil­neh­me­r*in­nen Gehwegplatten, jemand sprayte „No G20“ an die Wand.

Als zwei Polizeieinheiten die Demo von vorne und hinten angriffen, schmissen Teil­neh­me­r*in­nen 14 Steine und vier Böller Richtung Polizei, trafen jedoch nicht. Das Gericht rechnet all diese Taten den beiden Verurteilten nicht direkt zu. Bestrafen tat es sie dafür trotzdem. Durch ihre dunkle Kleidung und das geschlossene Auftreten hätten sie Ge­walt­tä­te­r*in­nen ermöglicht, in der Gruppe unterzutauchen. „Diese nach außen getragene Militanz und die Förderung von Gewalttaten, das ist es, was wir hier bestrafen“, sagte die Richterin.

Eventuell war die Angst übertrieben

Drei Lkw-Fahrer und Mitarbeiter einer Autofirma hatten ausgesagt, ihnen sei beim Anblick des schwarzen Blocks angst und bange geworden. „Hier ist gleich Krieg“, schilderte ein Zeuge seine Gedanken. „Mag sein, dass die Angst etwas übertrieben war“, räumte die Richterin ein. Aber es sei eben kein rationales Gefühl.

Eine Verurteilung auf ein irrationales Gefühl einiger Passanten zu gründen ist verantwortungslos. Die Richterin hat damit nicht nur dem Brokdorf-Beschluss von 1985 widersprochen, der besagt, dass die Versammlungsfreiheit derjenigen zu schützen ist, die nicht eigenhändig Steine schmeißen. Das Urteil hat auch Folgen für alle weiteren Rondenbarg-Angeklagten. Gegen 17 weitere Beklagte wurden kürzlich die Verfahren eröffnet. Über ihnen schwebt jetzt eine Drohkulisse, die es wahrscheinlicher machen wird, dass sie sich auf Deals mit der Staatsanwaltschaft einlassen, anstatt Gerechtigkeit zu erwarten.

In diesem Prozess wurde Unrecht gesprochen. Der Grundsatz, dass Tathandlungen den Schuldigen direkt und zweifelsfrei nachgewiesen werden müssen, galt nicht. Alles was zweifelsfrei nachgewiesen wurde, ist, dass die Verurteilten vor Ort waren und schwarze Kleidung trugen. Sie dafür zu bestrafen, dass das Passanten ängstigte, die wahrscheinlich nie Berührungspunkte mit autonomen Demos hatten, ist nicht haltbar.

„Der G20-Gipfel und die Proteste haben tiefe Wunden in der Stadt hinterlassen“, sagte die Richterin. Die Geschehnisse am Rondenbarg zählte sie nicht dazu. Doch das stimmt so nicht: Die juristische Aufarbeitung von G20 reißt sehr wohl Wunden in die Gesellschaft. Olaf Scholz hatte harte Strafen für die G20-Gegner*innen gefordert. Die Justiz lieferte. Aus über 100 Anklagen wegen Polizeigewalt folgte kein einziger Prozess gegen Polizist*innen. Stattdessen werden die verurteilt, die von der Polizei verprügelt wurden. Rondenbarg und viele andere G20-Prozesse gehen als Tiefschlag der Justiz in die Geschichte der Stadt ein.

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Jahrgang 1986, hat Kulturwissenschaften in Lüneburg und Buenos Aires studiert und wohnt auf St. Pauli. Schreibt meistens über Innenpolitik, soziale Bewegungen und Klimaproteste, Geflüchtete und Asylpolitik, Gender und Gentrification.

Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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