piwik no script img

Das soziale RennenKOMMENTAR VON ULRIKE HERRMANN

Man merkt es kaum, aber auch die Grünen haben eine Variante der Kapitalismuskritik. Obwohl sie sich bisher zurückhalten, erinnern die Grünen jetzt daran, dass sie niemals dafür waren, die Großkonzerne bei den Steuern weiter zu entlasten.

Sozialthemen dürften auch bei den anderen Parteien zum Trend werden. Gestern äußerten sich CDU und SPD erstmals zu möglichen Wahlprogrammen. Es war überraschend: Die Union kündigte eilig an, dass sie Hartz IV für ältere Arbeitslose wieder komfortabler ausgestalten will. Die SPD reagierte prompt. Auch sie hat nun mehr Geld für ältere Erwerbslose im Angebot. Dabei hatte Kanzler Schröder noch am Sonntag gedroht, er stehe uneingeschränkt zu seinen Reformen. Der Wahlkampf entwickelt eine eigenartige Dynamik: Er wird zu einem Ringen um das Etikett „gerecht“. Gleichzeitig achten beide Volksparteien darauf, sich bloß nicht zu unterscheiden. Ein Lagerwahlkampf sieht anders aus.

Die Wiederentdeckung der Unterprivilegierten zeigt, dass die Volksparteien nicht so dumm sind, die Wahlanalysen aus Nordrhein-Westfalen zu ignorieren. Dort stellte sich heraus, dass die SPD vor allem bei Arbeitern und Arbeitslosen verloren hatte – und dass alle Wähler das Thema Arbeit für zentral halten. Den Volksparteien dürften also noch weitere Sozialversprechen einfallen.

Das ist unangenehm für die Grünen, die bisher nicht durch soziale Konzepte auffallen. Es erweist sich nun als fatal, dass sie Hartz IV als den „Einstieg in die Grundsicherung“ angepriesen haben. Damit wurde das einst gute Konzept der einkommensunabhängigen Absicherung diskreditiert.

Doch eine Chance haben die Grünen noch: eben die Unternehmensteuer, die CDU und SPD gemeinsam senken wollen. Dieses Finanzgeschenk ist ein Skandal. Schließlich erwarten selbst konservative Forschungsinstitute nicht, dass solche Steuersenkungen Jobs schaffen. Es dürfte daher nicht lange dauern, bis die Volksparteien selbst entdecken, dass Zugeständnisse an Großkonzerne nicht wahlkampftauglich sind. Die Grünen sollten sich mit ihrer Kapitalismuskritik beeilen, sonst findet der Wahlkampf zum Thema soziale Gerechtigkeit ohne sie statt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen