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Vor den LandtagswahlenZusammen für den Osten

Viele zivilgesellschaftlich Engagierte in Ostdeutschland fühlen sich alleingelassen. Die Plattform „Wir sind der Osten“ soll ihre Vernetzung fördern.

Demo in Erfurt im August: Was folgt aus zivilgesellschaftlichen Protesten und Engagement? Foto: Hannes P. Albert/dpa

Berlin taz | Als Anfang des Jahres in ganz Deutschland Millionen Menschen gegen eine rassistische Politik und gegen die AfD auf die Straße gingen, erlebte die Zivilgesellschaft so viel Zuspruch, wie lange nicht mehr. Gut ein halbes Jahr später ist die Stimmung unter Vereinen und Organisationen gerade in Ostdeutschland schlechter. Das ist das Ergebnis einer Umfrage der Organisation „Wir sind der Osten“.

„Wir sind der Osten“ hat 112 zivilgesellschaftliche Akteure in Ostdeutschland befragt. 39 Prozent von ihnen sorgen sich um ihre Sicherheit, wenn sie für ihre Organisation im Einsatz sind. 71 Prozent haben den Eindruck, dass ihre Organisation finanziell nicht ausreichend ausgestattet ist. 81 Prozent fühlen sich von der Politik nicht ausreichend unterstützt.

Die Ergebnisse seien erschreckend, sagt Melanie Stein, die Gründerin von „Wir sind der Osten“ am Dienstagnachmittag bei der Vorstellung der Umfrage. Gerade im Vorfeld der Landtagswahlen in drei ostdeutschen Bundesländern zeigten sie, dass die Zivilgesellschaft mehr Aufmerksamkeit brauche.

Genau dafür will ihre Organisation nun sorgen. Zusammen mit dem Team um die Plattform holi.social hat die Organisation ein digitales Verzeichnis für zivilgesellschaftliche Akteure in Ostdeutschland gegründet. Die Plattform richtet sich an zivilgesellschaftliche Organisationen, Engagierte und Geldgeber. Organisationen können sich auf der Webseite ein Profil anlegen und so leichter Mitwirkende und Spendengeber finden. Engagierte und Geldgeber können über eine interaktive Karte Initiativen in ihrer Nähe finden.

Mehr als 200 Organisationen

„Es gibt so viele verschiedene Verzeichnisse, die Vereine und Organisationen bündeln. Unser Ziel ist es, den einen großen Überblick zu schaffen und zur Anlaufstelle für die Zivilgesellschaft zu werden“, sagt Melanie Stein. Unter dem Hashtag #wirsindaktiv läuft dazu außerdem in den kommenden Wochen eine digitale Werbekampagne mit Kinoclips und Anzeigenwerbung.

Zum Start der Plattform sind 222 Organisationen aus ganz Ostdeutschland dort verzeichnet dabei. Darunter sind Demokratieförderprojekte, aber auch Projekte für Klimaschutz, zur die Arbeit mit Geflüchteten oder zum Kinderschutz. Inhaltlich wollen die Macher die Plattform nicht begrenzen, auch die Freiwilligen Feuerwehren sind eingeladen, sich dort anzumelden.

Einer der Aktiven, die bereits auf der Webseite vertreten ist, ist Jakob Springfeld. Er stammt aus Zwickau, hat dort Fridays for Future aufgebaut und ist derzeit einer der prominentesten Aktivisten gegen Rechtsextremismus in Sachsen.

Nach der Euphorie Anfang dieses Jahres hätten viele Engagierte in Ostdeutschland mittlerweile resigniert. „Wir hatten häufig den Eindruck, dass wir für unser Engagement zwar viel Applaus bekommen, politische Konsequenzen, die uns die Arbeit vor Ort erleichtern würden, gab es aber nicht“, sagt Springfeld am Dienstag bei der Pressekonferenz zur Vorstellung der neuen Plattform.

Diesen Eindruck teilt auch Romy Arnold von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus in Thüringen. Dass das Demokratiefördergesetz, das Demokratieprojekte langfristig absichern sollte, auf Bundesebene nicht vorankommt, ist für sie eine große Enttäuschung.

Für Katrin Göring-Eckhardt (Grüne), Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags, sind diese Forderungen nicht neu. In der Pressekonferenz am Dienstag betonte sie die Bedeutung der Zivilgesellschaft für die Demokratie. Sie könne verstehen, dass es unter zivilgesellschaftlich Engagierten eine große Verunsicherung gebe. „Aber wir werden im Bund alles dafür tun, dass diejenigen, die sich für Demokratie einsetzen, eine ausreichende Finanzierung haben“, sagte Göring-Eckhardt. Das sei das Anliegen der meisten Demokraten im Bundestag.

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4 Kommentare

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  • Die blöden Ossis sehen es einfach nicht ein.



    Ich denke, wir sollten sie von den Wahlen einfach ausschließen,



    dann haben wir das Problem nicht mehr.



    Und jetzt ohne Ironie:



    Die Sorgen der Menschen einfach mal ernst nehmen.



    Und die Demokratie akzeptieren. Wenn die Mehrheit gegen Zuwanderung ist, dann kann das falsch sein. Aber demokratische Entscheidungen sind zu akzeptieren.

    • @Colonius:

      Wir wären einen großen Schritt weiter, wenn wir endlich aufhörten, auf rechtsradikale Umtriebe - wie Sie - mit Verständnis zu reagieren. Seit 35 Jahren tun wir das, was erst zu Rekordergebnissen für die NPD, und anschließend die AfD geführt hat. Noch ein paar weitere Jahre Verständnis, und die Rechtsradikalen haben absolute Mehrheiten in Neubraunland.

      • @Kaboom:

        Genau diese immer wiederkehrende Diffamierung der Menschen im Osten als "Neubraunländer" macht diese wütend, und Wut führt sowohl zu verzerrten Wahrnehmungen als auch zu Trotzreaktionen. Und das hat mit Verständnis so gar nichts zu tun, lediglich mit Verstehen.

        • @Trabantus:

          Ist mir völlig egal, ob die wütend sind, trotzig oder sonst was.

          Im Übrigen: Wählt eine Region zu großen Teilen die Sozen (so wie früher in NRW), denn man die Region "rot". Wählt eine Region mehrheitlich die CSU, nennt man die Region "schwarz".

          Warum man eine Region, die mehrheitlich oder zu großen Teilen, eine rechtsextremistische Partei wählt, nicht braun nennen darf, leuchtet mir absolut nicht ein.



          Und das ist - beiläufig gesagt nicht "diffamierend", das ist FAKT.



          Und es führt Traditionen fort, die dort seit 100 Jahren üblich sind. Denn in Thüringen war es das erste Mal, dass die NSDAP dank der Wähler an die Macht kam.