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Verurteilung von früherer KZ-SekretärinBGH erklärt Urteil für rechtskräftig

Kann eine ehemalige Schreibkraft im Konzentrationslager Stutthof wegen Beihilfe zum NS-Massenmord verurteilt wegen? Der Bundesgerichtshof sagt ja.

Irmgard F. vor Gericht in Itzehoe, 20. Dezember 2022 Foto: Christian Charisius/ap

Leipzig dpa | Der Bundesgerichtshof (BGH) hat die Verurteilung einer früheren KZ-Sekretärin wegen Beihilfe zum Massenmord bestätigt. Der 5. Strafsenat des BGH in Leipzig verwarf die Revision gegen ein Urteil des Landgerichts Itzehoe. Das Gericht hatte die inzwischen 99-jährige Irmgard F. wegen Beihilfe zum Mord in 10.505 Fällen sowie zum versuchten Mord in 5 Fällen zu zwei Jahren Jugendstrafe auf Bewährung verurteilt. Diese Entscheidung ist jetzt rechtskräftig.

Der Fall gilt als das womöglich letzte Strafverfahren zur Aufarbeitung der nationalsozialistischen Massenmorde. Irmgard F. war zwischen Juni 1943 bis April 1945 als Schreibkraft in der Kommandantur des Konzentrationslagers Stutthof bei Danzig beschäftigt. Damals war sie 18 beziehungsweise 19 Jahre alt. Durch ihre Arbeit habe die junge Frau den Verantwortlichen des Konzentrationslagers bei der systematischen Tötung von Inhaftierten Hilfe geleistet, hatte das Landgericht geurteilt. Auch unterstützende Tätigkeiten könnten rechtlich als Beihilfe zum Mord angesehen werden.

Verteidigung hatte Revision eingelegt

Die Verteidigung von Irmgard F. hatte Revision eingelegt. Der BGH hatte darüber Ende Juli mündlich verhandelt. Die Anwälte stellten unter anderem infrage, ob der Frau ein Vorsatz nachgewiesen werden kann. Es sei nicht erwiesen, dass sie wirklich wusste, was in dem Lager vor sich ging. Zudem habe sich ihre Arbeit als Schreibkraft nicht wesentlich von ihrem vorherigen Job in einer Bank unterschieden. Sie habe aus ihrer Sicht „neutrale Handlungen“ ausgeführt. Dieser Argumentation folgten die Bundesrichter nicht.

Der BGH bestätigte die Einschätzung des Landgerichts Itzehoe, dass Irmgard F. durch ihre Dienstbereitschaft psychische Beihilfe zu den Mordtaten geleistet hat. Über den Schreibtisch der Stenotypistin war fast die gesamte Korrespondenz des Lagers gegangen.

Mehr als 60.000 Menschen in Stutthof gestorben

Im KZ Stutthof und seinen 39 Außenlagern waren nach Angaben des Dokumentationszentrums Arolsen Archives zwischen 1939 und 1945 etwa 110.000 Menschen aus 28 Ländern inhaftiert. Fast 65.000 überlebten nicht.

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9 Kommentare

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  • Was aber gar nicht geht - steht gleich drunter! Dazu mal dess!

    “ Schon fürsorglich auf Halde - wenn ihr die Kommentarfunkktion ja eh wieder öffnet -

    “Historisches Urteil gegen NS Verbrecher: Die Geschichte irregeleiteter Justiz“ - mach Bosse!



    Mit Verlaub Herr Gereon Asmuth - “irregeleitet“ - also passiv - war da nichts & niemand!



    Sorry - Im Gegenteil - Aktiver ging‘s nun wirklich nicht •

  • Es bleibt ein unangenehmer Nachgeschmach - nicht zuletzt in punkto Verhältnismäßigkeit - wenn man an die dutzende Mitglieder der SS-Einsatzgruppen denkt (also Menschen, die aktiv und mit Vorsatz Juden ermordet haben), die von der deutschen Justiz ebenfalls nur wegen Beihilfe verurteilt und dann oft nach wenigen Jahren vorzeitig entlassen worden sind.

  • Damit ist das Kapitel Aufarbeitung der NS Zeit erfolgreich abgeschlossen. Ausnahmslos jeder Täter wurde überführt und gerecht bestraft. Von ganz oben bis ganz unten. Es ist mir schleierhaft wie diese Frau solch eine beispiellose Karriere hinlegen konnte. Gott sei Dank waren wir da bei Richtern, Lehrern und Offizieren nach dem Krieg so achtsam! *Ironie Off

    • @Narrenfell:

      Politiker, (Groß-)Industrielle, Professoren und andere für die Siegermächte interessante Wissenschaftler und Ingenieure (z.B. W. v. Braun), die ja alle komplett unbeteiligt und natürlich die ganze Zeit im inneren Widerstand waren, haben sie vergessen.

      Es kann nur diese eine SEkretärin gewesen sein, die alle die Verbrechen begangen hat.

      Und damit muss man glücklicherweise ja bei all den anderen nicht mehr nachforschen, da die unschuldig sein müssen (und das notfalls auch durch ihre Armada von Anwälten beweissen könnten).

  • Ein symbolisches Urteil:



    "Sehr her, Nationalsozialisten konnten ihr gesamtes Leben unbehelligt verbringen und die deutsche Justiz wird einen Teufel tun, sie auch nur einen einzigen Tag ins Gefängnis zu stecken!"

  • Die heldenhafte deutsche Justiz....das wird die heutigen Jugendlichen beeindrucken....die müssen ja damit rechnen, 2103 noch wegen irgendwas von heute 20 Sozialstunden aufgedrückt zu bekommen.



    Will sagen, man könnte die knappe Ressource Gericht auch sinnvoller einsetzen.

  • Kein gutes Wort über diese Frau, aber wenn höchste Deutsche Richter ein Urteil über eines der kleinsten Räder im Deutschen Völkermordsystem bestätigen, bleibt ein Unbehagen zurück.



    Hatte sie denn nicht genug Geld, um Anwälte (Plural) der obersten Kategorie zu bezahlen? Keine Chefärzte unten den Freunden, die ihr die schönsten Krankheiten attestiert hätten. Die Antwort ist offensichtlich. Auch nach dem Krieg Schreibkraft. Das ist ja wohl diese nahtlose Kontinuität, wie bei Juristen, Politikern, Industriellen, die ebenfalls ausnahmslos alle zur Rechenschaft gezogen wurden!



    Kurz und gut, hier wurde meines Erachtens keine Tat gesühnt, sondern geschichtslos korrekte Gesinnung gezeigt. Mit einer Messlatte, die im Zweifel kaum einer unserer Vorväter hätte überwinden können.

    • @naichweissnicht:

      Ja, und die Formulierung "psychische Beihilfe zu den Mordtaten" klingt eher nach einer Relativierung der direkt verantwortlichen Mörder. Den Fall an sich stelle ich nicht in Frage, aber auch ich wundere mich, wenn ich lese, welche Personen nach der NS-Zeit weiter arbeiten durfte und sich dabei in wesentlich verantwortlicheren Positionen befanden als eine Schreibkraft.

      Ein gutes: Müssten nach solcher Rechtssicht nicht auch Angestellte von Druckereien und Kiosk-Betreiber auf ziemlicher Kippe stehen, sollte Campact denn doch noch verboten werden? Das Drucken, Verteilen, Verkaufen stellt dann ja auch "psychische Beihilfe" dar, oder?

      Ein interessanter Ansatz jedenfalls.

  • Um solche Karrieren zu verhindern hätte man vielleicht, eventuell, unter Umständenden das Compact-Verbot nicht gerichtlich aufheben sollen? Absurdität hoch unendlich.