piwik no script img

Versäumnisse grüner VerkehrspolitikNicht mal das Minimum

Katharina Schipkowski
Kommentar von Katharina Schipkowski

Die Grünen bauen in Hamburg viel weniger Fahrradwege als versprochen. Dabei war es das einzige Thema, bei dem man ihnen noch etwas zutraute.

Stellen sich die Grünen so Verkehrspolitik für das Fahrrad vor? Foto: Daniel Bockwoldt/dpa

E s wäre das Mindeste gewesen: Nach neun Jahren in der Regierung hätte sich zumindest an der Fahrradinfrastruktur zeigen müssen, dass die konservative Hamburger SPD nicht allein schaltet und waltet. Gut, es hat sich schon einiges verbessert in den letzten Jahren. Hier und dort findet man neue Fahrradwege, auch Schnellwege, die man eine Weile fahren kann, bis man sich zwischen parkenden und rasenden Autos wiederfindet.

Aber die Grünen bleiben beim Fahrradwegausbau auch dieses Jahr weit hinter ihren Zielen zurück. In der aktuellen Bilanz meldete die Verkehrsbehörde, bisher nur 22 von den im Koalitionsvertrag versprochenen 60 bis 80 Kilometern pro Jahr ausgebaut zu haben.

Dabei ist der Ausbau von Fahrradwegen die Low Hanging Fruit schlechthin. Man muss nichts verbieten, niemanden enteignen, nichts Menschenunwürdigem „mit Bauchschmerzen“ zustimmen. Man könnte es einfach machen.

Leider haben die Grünen in ihren neun Jahren Regierungszeit das Primat des Autos nicht angetastet. Weder haben sie Parkplätze im großen Stil rückgebaut noch Umweltzonen oder autofreie Stadtteile eingeführt. Dabei ist das Thema Auto oder eben Fahrrad dieses eine Thema, bei dem man noch eine klare Haltung von der sogenannten Ökopartei erwarten könnte.

Der Ausbau von Fahrradwegen ist die Low Hanging Fruit schlechthin

Auf fast allen anderen Feldern scheint der Zug abgefahren: Migration, Soziales, Wohnen. Oder haben Sie von den Hamburger Grünen mal einen Vorstoß zur Lösung der Wohnungskrise gehört? Stattdessen immer nur: Straftäter abschieben! Auch nach Syrien und Afghanistan!

Wer versucht hat, sich damit zu trösten, dass die Grünen wenigstens Fahrradwege bauen, während sie bei allem anderen sofort umfallen, wenn sie Gegenwind bekommen, wird wieder enttäuscht. Hach, es bräuchte mal wieder eine schöne Verbots­partei. Nicht diese Enttäuschungstruppe.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Katharina Schipkowski
Redakteurin | taz Nord
Jahrgang 1986, hat Kulturwissenschaften in Lüneburg und Buenos Aires studiert und wohnt auf St. Pauli. Schreibt meistens über Innenpolitik, soziale Bewegungen und Klimaproteste, Geflüchtete und Asylpolitik, Gender und Gentrification.
Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • Da die Grünen auf absehbare Zeit keine Chance uf der erste Reihe haben, sollten sie sich auf ihre Wurzeln zurückziehen. Es war ein Fehler, die Verkehrspolitik der FDP zu überlassen. Man hätte es wie in Österreich machen müssen: Verkehr, Umwelt, Klimaschutz und Energie in einem Ressort bündeln.

  • "Enttäuschungstruppe" trifft den Nagel auf den Kopf!

    Statt wenigstens beim Thema Verkehr etwas auf die Beine zu stellen, wird das Ziel im Radwegeausbau nicht erreicht. Der Verkehr brandet wie nichts Gutes auf allen Ausfallstraßen in Hamburg aggressiv dahin. Wenn Anwohnerparken geschaffen wird, läuft das auf eine Freiparkzone für Autos heraus, weil Kontrollen fehlen.

    Braucht es eine grüne Außenpolitik im Bund? Besser die Grünen hätten das Verkehrsressort im Bund übernommen.



    Volt hat nicht umsonst viel Erfolg mit konkreten Forderungen in der Umwelt- und Verkehrspolitik.



    Wie wäre es mit Null Verkehrstoten als Ziel der Grünen in Hamburg, was flächendeckend Tempo 30 erfordern würde? Doch das Minmalziel Tempo 30 setzen die Grünen in Hamburg politisch nicht um. Stattdessen ein Flickenteppich mit Tempolimits gegen Lärm, der ein Hohn für eine engagierte Verkehrspolitik ist.

    Folge der Politik der Grünen: Die Zulassungszahlen privater PKW sind auch in zweiten Quartal 2023 in Hamburg wieder gestiegen und zwar um etwa 3.400 PKW.



    Insgesamt sind im vergangenen Jahr 28 Menschen (9 Radfahrer) im Hamburger Straßenverkehr gestorben. Darunter zwei Kinder. Dazu kommen 9 getötete Fußgänger.

  • taz: *Wer versucht hat, sich damit zu trösten, dass die Grünen wenigstens Fahrradwege bauen, während sie bei allem anderen sofort umfallen, wenn sie Gegenwind bekommen, wird wieder enttäuscht.*

    Die Grünen bekommen nichts hin; keinen Umwelt- und Klimaschutz, und jetzt noch nicht einmal mehr Fahrradwege. Glauben die Grünen tatsächlich, dass sie mit so einer Politik eine Zukunft haben werden?

  • Nun ja, ganz fair ist dieser massive Vorwurf gegen die Grünen nicht:

    - Zum einen regieren die Grünen nicht alleine - alle Fahrradwegprojekte müssen erst gegen die nach wie vor autofixierte SPD durchgesetzt werden.

    - Dann dauert die Planung solcher Projekte gefühlt ewig, nicht zuletzt, weil das Ordungsamt, das der SPD-geführten Innenbehörde untersteht, im Verkehrsbereich immer das letzte Wort hat.

    - Und schließlich werden die meisten Fahrradwege von den Bezirken geplant und umgesetzt, nicht vom Senat. Und hier stellen die Grünen gerade mal in 2 der 7 Bezirken die Bezirksamtsleitungen, die die Straßenverkehrsprojekte maßgeblich anstoßen oder auch ausbremsen können.

    Wenn man sich die Grünen-geführten Bezirke (Altona und Nord) ansieht, hat sich schon eine ganze Menge getan. Könnte natürlich immer auch gerne mehr sein. Aber die Anzahl an Planungsbüros und ausführenden Unternehmen ist begrenzt, und man kann ja nicht jede Straße gleichzeitig aufreißen.