Die Wahrheit: Flachlandwunder
Ein Besuch in Holland offenbart historische Verwicklungen, deren schaler Nachgeschmack nur mit überraschend gutem Bier heruntergespült werden kann.
K ürzlich weilte ich nach Jahren wieder einmal in Holland. Quartier nahm ich in einem der ältesten Seebäder jenes kleinen Flachlandes, das in früheren Zeiten viele alternative Sehnsüchte beflügelt hatte. Vom Rechtsruck, den auch die vormals liberalen Nachbarn in den vergangenen Jahren mustergültig vollzogen hatten, war wenig zu spüren – Kunststück, da im Ort ausschließlich begüterte deutsche Senioren umherwanderten. Beseelt lächelnd ließen sie sich in den hübschen Gassen und Strandbars nieder und tranken den wenigen Einheimischen für viel Geld ihren Koffie und ihren Hopjesvla weg.
Berühmt war der Ort für schöne Strände und seinen ansehnlichen Leuchtturm. Das ragende Prachtstück schien wie geschaffen für Postkarten und Selfies; mit ihm wurde jedoch eines holländischen Kriegshelden gedacht, der dem Turm den Namen gab. Ich ergoogelte: Leutnant Jan van Speyk sprengte 1831 sich, seine Besatzung und sein Kanonenboot im Hafen von Antwerpen in die Luft, um nicht in die Hände der Belgier zu fallen. Das ist nur zu verständlich, wirft aber die Frage auf, was denn ein niederländisches Kriegsschiff im Hafen von Antwerpen zu suchen hat.
Weitere Lektüre machte mir klar, dass ich über die Geschichte der Niederlande praktisch nichts wusste. Bislang hatte ich die vage Vorstellung, dass das kleine protestantische Bauern- und Fischervolk im Widerstand gegen die imperiale Übermacht der katholischen spanischen Besatzer seine Unabhängigkeit erkämpft hatte. Nun erfuhr ich, dass wiederum ein paar Jahrhunderte später die niederländischen Besatzer recht unverhohlen die katholische Bevölkerung Belgiens ausgebeutet und unterdrückt hatten. Diese erhoben sich und gründeten 1830 ein eigenes Königreich.
Da ich mich in den Zwist zwischen den flämischen Geschwisterländern nicht voreilig einmischen wollte, beschloss ich, zu Hause alles noch mal gründlich nachzulesen und mir dann gegebenenfalls eine gerechte oder originelle Meinung zu bilden.
Bis dahin galt es, den Liebreiz der heranschwappenden Nordsee zu genießen, Appelpannenkoeken mit Speck und Sirup zu spachteln und über zweierlei im meerumspülten Handels- und Serviceparadies zu staunen: Die Holländer waren mittlerweile tatsächlich in der Lage, taugliche Brötchen zu backen, selbst Vollkorn kriegte man hin.
Auch die Biobiere der Klosterbrauerei Sancti Adalberti, welche nach dem Mönch benannt ist, der die Friesen missionierte, brauchten sich hinter deutschen Bieren nicht verstecken und wurden zu Recht als „das letzte Wunder von Adalbert“ beworben. Vielleicht typisch für das Land, wie hier hundertprozentige Kunden-orientierung und religiöse Andacht zusammenfanden.
Eine im Dienstleistungssektor tätige Belgierin bemerkte jedenfalls: „Was ist, wenn ein Holländer sich nicht beschwert? Er hat es bisher bloß vergessen.“
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