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Intendant über das Musikfest Bremen„Wichtig ist der Spirit“

Zwischen Jever und Petersburg, zwischen Mittelalter und heute: Festivalchef Thomas Albert über musikalische Querverbindungen beim Bremer Musikfest.

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Interview von Petra Schellen

taz: Herr Albert, nach dem Vorabkonzert mit Daniel Barenboims West-Eastern Divan Orchestra erklingen demnächst „mediterrane Klangzaubereien“. Eine weitere Ost-West-Verbindung?

Thomas Albert: In der Tat verbinden der israelische Mandolinist und der mazedonisch-amerikanische Klarinettist Ismail Lumanowski – Spezialist für Musik des Balkans, der Türkei und des Mittleren Ostens sowie Leiter der New York Gipsy All Stars – multip­le kulturelle Einflüsse. Aber der politische Aspekt ist hier nicht entscheidend. Beim nun schon 35. Musikfest Bremen geht es um das Verbindende, das Überraschende, den Spirit. Nicht um das Label.

taz: Aber die Mittelmeer-Anrainer bilden per se einen musikalisch und politisch vielstimmigen Raum.

Albert: Ja, es war immer ein Melting Pot von Einflüssen, von Handelsverbindungen, in deren Gefolge Kulturen aufeinanderprallten und sich austauschten. Nordafrika und Europa zum Beispiel oder die spanisch-italienisch-türkisch-griechische Handelsroute. Ich halte das südliche Mittelmeer für eine der spannendsten Regionen, deren jahrhundertealte musikalische Verbindungen der Gambist und Alte-Musik-Spezialist Jordi Savall, in der Vergangenheit mehrfach bei uns zu Gast, eindrücklich vor Augen führt. In diesem Jahr wird unter anderem das belgische Vokalensemble Vox Luminis diese Wechselbeziehung aufzeigen.

taz: Inwiefern?

Albert: Die MusikerInnen präsentieren Werke des zu Lebzeiten berühmtesten spanischen Komponisten Cristóbal de Morales (1500–1553). Zehn Jahre seines Lebens verbrachte er in Rom – als Sänger in der päpstlichen Kapelle und als Komponist etlicher geistlicher Werke, die gekonnt römische und spanische Elemente verbinden.

taz: Und welche Querverbindungen wird das armenische ­Naghash-Ensemble enthüllen?

Albert: Diese Ensemble, das mit Stimmen, dem Oud, diversen Trommeln und dem Flügel arbeitet, ist nach dem mittelalterlichen Dichter und Priester Mkrtich Naghash (1394–1470) benannt. Weil er in Amida – dem türkischen Diyarbakır – eine Kirche gebaut haben soll, deren Turm höher war als die Moscheen, musste ­Naghash ins Exil gehen, wo er 15 Gedichte über Einsamkeit und Glauben schrieb. Das Naghash Ensemble präsentiert sie als „Songs of Exile“, vertont von John Hodian, nach eigenem Bekunden armenischstämmiger Enkel von Überlebenden des Völkermords. Er hat eine ergreifende Synthese aus christlich-mittelalterlichen Klängen, Neuer Musik, Rock und Pop geschaffen.

taz: Was verbirgt sich hinter dem „Atelier Katharinas Hof­musik“?

Albert: Wie schon im vorigen Jahr erarbeiten internationale KünstlerInnen in einwöchigen Ateliers anhand alter Editionen in der Schlossbibliothek Jever ein Konzert mit barocker Vokalmusik, diesmal eine frühe Kantate von Händel.

taz: Was verbindet Katharina die Große mit Jever?

Albert: Die russische Zarin war eine Prinzessin des Hauses Anhalt-Zerbst und erbte 1792 das Jeverland, über das sie bis 1795 herrschte. Sie hatte zwar vermutlich keine eigene Hofkapelle, war aber eine große Förderin von Musik – weshalb ihre Bibliothek viele Kammermusik-Editionen von Barockkomponisten birgt. Diesen Schatz möchten wir Stück für Stück heben, indem die MusikerInnen diese Quellen studieren und die Werke aufführen.

taz: Und wer war Hermann Allmers, in dessen Haus Sie ein Kammerkonzert anbieten?

Albert: Allmers (1821–1902) war der damals populärste Marschendichter, der sein Haus in Rechenfleth in einem interessanten Stilmix gestaltete: Der Antikensaal etwa ist im Stil des italienischen 18. Jahrhunderts gehalten, mit Statuen wichtiger Persönlichkeiten. Der Marschensaal wiederum huldigt den Marschendichtern inklusive einiger Gemälde von Allmers. Allmers selbst stammte aus einer betuchten bäuerlichen Familie, war gut gebildet, reiste durch Europa und pflegte Kontakt zu Persönlichkeiten der europäischen Elite – etwa mit Johann Joachim Winckelmann (1717–1768), dem Archäologen und Kunsthistoriker der Aufklärung. In seinem Haus, der zugehörigen Kunstscheune und dem Garten planen wir ein Wandelkonzert mit Werken von Liszt, Brahms und Ives, angelegt wie ein musikalisches Sommerfest, wie es vielleicht Allmers gegeben hätte.

taz: Kommen wir zum Organisatorischen: Sind Auslastung und Gagen wieder auf Vor-Corona-Niveau?

Albert: Die Hoffnung, dass sich die Gagen der MusikerInnen etwas nach unten relativieren würden, ist bei einigen der vernünftigeren Partner festzustellen, um es diplomatisch zu formulieren. Die Furcht, das Publikum zu verlieren, war dagegen unbegründet: Die Menschen kommen zurück mit einem großen Hunger, interessante Dinge zu erleben. Leider stehen den Einnahmen große Kostensteigerungen bei allen Dienstleistungen entgegen. Das Bewusstsein dafür ist allerdings gewachsen: Bevor die Lampen ausgehen oder etwas gar nicht stattfindet, bemühen sich alle, Dinge möglich zu machen – durch Umschichtungen, neue Partnerschaften oder Sponsoren. Damit die MusikerInnen wieder Geld verdienen können, seit die Coronaförderungen aus Berlin ausgelaufen sind.

taz: Und wie entwickelt sich der ökologische Fußabdruck des Musikfestes?

Albert: Wir können und wollen niemandem verbieten zu fliegen. Und wir werden weiterhin MusikerInnen etwa aus den USA einladen, das gehört zum Kulturaustausch einfach dazu. Aber ein Orchester aus Frankreich reist heute eher per Bus als mit dem Flugzeug, und MusikerInnen bilden vermehrt Fahrgemeinschaften. Ich glaube, die Notwendigkeit, klimafreundlich zu reisen, ist bei allen angekommen, vor allem bei der jüngeren Generation.

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