Äthiopien gegen Ägypten: Showdown in Somalia

Ägypten schickt Soldaten nach Somalia und umzingelt damit Äthiopien. Die Regionalmächte streiten seit Jahren um den äthiopischen Staudamm am Nil.

Der Staudammbau am Nil in Äthiopien, hier im Jahr 2020. Inzwischen ist er fast fertig Foto: Yirga Mengistu/adwa pictures/dpa

BERLIN taz | Der Kampf zwischen Ägypten und Äthiopien um die Vorherrschaft im nordöstlichen Afrika wird jetzt in Somalia ausgetragen. Nach Medienberichten hat Ägypten mit der Stationierung einer Eingreiftruppe von bis zu 10.000 Mann in Somalia begonnen, auf Einladung der dortigen Regierung. Parallel dazu will Somalias Regierung die im Land aktiven Eingreiftruppen aus Äthiopien loswerden.

Was formal als eher undurchsichtiger Streit um die Nachfolge der Somalia-Eingreiftruppe der Afrikanischen Union (AU) ausgetragen wird, gestaltet sich in der Realität als Wettstreit zwischen den beiden rivalisierenden Großmächten der Region. Ägypten und Äthiopien mit jeweils über 100 Millionen Einwohnern streiten sich seit Jahrzehnten um die Kontrolle des Nils.

Der äthiopische Bau des Großstaudamms GERD (Great Ethiopian Renaissance Dam) am Blauen Nil hat in den vergangenen Jahren mehrmals zu Kriegsdrohungen seitens Ägyptens geführt. Ägypten sieht die mit dem 2011 begonnenen Bau einhergehende zeitweise Verringerung des Nildurchflusses als existenzielle Bedrohung, Äthiopien braucht den Strom aus Wasserkraft zur Überwindung seiner extremen Armut.

Das vergleichsweise kleine und seit über 30 Jahren in mehrere Staaten zerfallene Somalia, das historisch die von ethnischen Somalis besiedelten östlichen Wüstenregionen Äthiopiens für sich beansprucht, erscheint da wie ein natürlicher Verbündeter Ägyptens gegen Äthiopien. Erst jetzt aber traut sich Somalias Präsident Hassan Sheikh Mohamud, diese explosive Karte tatsächlich zu ziehen und ägyptische Truppen ins Land zu holen.

Äthiopiens Sicherheitsinteressen

Seit einer gescheiterten somalischen Invasion in den 1970er Jahren sieht Äthiopien die Kontrolle Somalias als essenziell für seine Sicherheit an. Äthiopische Soldaten stürzten 2006 eine islamistische Regierung in Mogadischu und bekämpfen seitdem im Süden Somalias islamistische Rebellen, sowohl im Rahmen der AU-Eingreiftruppe als auch auf eigene Faust.

Als bevölkerungsreichstes Land der Welt ohne eigenen Meereszugang ist Äthiopien außerdem auf Häfen der kleinen Nachbarn für seinen Außenhandel angewiesen – neben Dschibuti, das mit der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba durch eine Eisenbahnlinie verbunden ist, richtet sich das äthiopische Augenmerk auch auf Berbera, den potentiell größten Hafen am Horn von Afrika, der an Somalias Nordküste gegenüber von Jemen liegt.

Der Norden Somalias spaltete sich 1991, als der Süden Somalias um Mogadischu im Bürgerkrieg versank, unter dem Namen Somaliland von Somalia ab. Somalias wechselnde Regierungen in Mogadischu haben das nie anerkannt. Seit die Regierungen von Äthiopien und Somaliland am 1. Januar 2024 eine Absichtserklärung unterzeichneten, die Äthiopien die Pacht des Hafens Berbera auch für militärische Zwecke ermöglicht, ist aus diesem Streit ein offener Konflikt geworden.

Somalia wirft Äthiopien vor, Somalia zerschlagen zu wollen – Äthiopien wirft den Machthabern in Somalia vor, äthiopische Rebellen zu unterstützen und Waffenschmuggel zu tolerieren, und präsentiert sich als einzige Ordnungsmacht am Horn von Afrika gegen das somalische Chaos. Ein Vermittlungsversuch der Türkei, die in Mogadischu ihre größte ausländische Militärbasis unterhält, scheiterte Mitte August.

Zunehmende Spannungen

Im Rahmen der zunehmenden Spannungen mit Äthiopien ist auch Somalias Misstrauen gegenüber der AU, die ihren Sitz in Addis Abeba hat, immer weiter gewachsen. 2007, nach Äthiopiens Einmarsch in Somalia, hatte die AU eine Eingreiftruppe Amisom (Mission der Afrikanischen Union in Somalia) zum Kampf gegen die verbleibenden islamistischen Shabaab-Rebellen in Somalia aufgestellt. Damit sollte die Zeit zu überbrückt werden, bis in Mogadischu wieder eine Regierung sitzt, die ihr Staatsgebiet kon­trollieren kann.

Diese Überbrückung ist bis heute nicht abgeschlossen. Um daran zu erinnern, dass die AU eigentlich nur vorübergehend bleiben soll, wurde Amisom 2022 auf Drängen Somalias in Atmis (Übergangsmission der Afrikanischen Union in Somalia) umbenannt, mit einem festen Abzugstermin Ende 2024. Je näher dieser Termin rückt, desto offensichtlicher wird, dass er unrealistisch ist.

So ist nun eine Folgemission AUSSOM (Unterstützungs- und Stabilisierungsmission der Afrikanischen Union in Somalia) für die Zeit ab 2025 beabsichtigt. „Die Souveränität und territoriale Integrität Somalias wird zu allen Zeiten respektiert“, lautet das erste Grundprinzip“ dieser Mission in ihrem Operationskonzept, das der AU-Sicherheitsrat am 1. August billigte – explosiv im Kontext der Spaltung Somalias. Das Operationskonzept liegt nun beim UN-Sicherheitsrat, der dazu das letzte Wort hat.

An AUSSOM, findet Somalias Regierung, soll Äthiopien nicht mehr beteiligt sein – sondern stattdessen Ägypten, und zwar als Führungsnation. Alle äthio­pischen Truppen sollen bis Ende 2024 Somalia verlassen, sagte die Regierung in Mogadischu bereits im Mai. Ägypten hingegen bot 5.000 Soldaten für AUSSOM an und weitere 5.000 außerhalb der Mission. Auch Äthiopien hat in Somalia sowohl innerhalb als auch außerhalb der AU-Truppen Einheiten stationiert.

Echte Steilvorlage

Am 14. August unterzeichnete Somalias Präsident Sheikh Mohamud in Kairo ein Verteidigungsabkommen mit Ägyptens Präsident Abdelfattah al-Sisi. Am 27. August landeten die ersten ägyptischen Militärtransportflugzeuge auf dem Flughafen von Mogadischu, mit Offizieren und Ausrüstung zur Errichtung militärischer Kommandozentralen im Süden Somalias.

Wie Äthiopiens Militäreinheiten in Somalia darauf reagieren, ist unklar. Im Gespräch ist eine verstärkte militärische Kooperation mit Kenia, der anderen großen Interventionsmacht in der bestehenden AU-Truppe.

Politisch hat Ägyptens Vorstoß nach Somalia Äthiopiens Regierung außerdem eine Steilvorlage geliefert, um neue Erfolge mit seinem von Ägypten bekämpften Wasserkraftprojekt am Nil zu feiern. Am 24. August gab Premierminister Abiy Ahmed die Inbetriebnahme der dritten und vierten Turbine des Wasserkraftwerks am gigantischen GERD-Staudamm am Blauen Nil bekannt, womit die installierte Stromkapazität an dem 145 Meter hohen und 1,8 Kilometer breiten Megabauwerks auf 1.550 von 5.150 geplante Megawatt steigt.

Der Stausee am Damm sei mit 60 von geplant 71 Milliarden Kubikmetern Nilwasser bereits fast gefüllt, fügte Abiy hinzu. Ende 2024 soll die Füllung abgeschlossen sein und der Nil kann wieder zu 100 Prozent fließen – genau der Zeitpunkt, an dem Ägypten Äthiopien als Militärmacht in Somalia ablösen soll.

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