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Ausstellung zum Hitler-Stalin-PaktDas geheime Zusatzprotokoll

Im Westen eher vergessen, prägt der Hitler-Stalin-Pakt von 1939 Teile Osteuropas bis heute. Darüber klärt eine Ausstellung in Berlin-Karlshorst auf.

Finnische Sol­da­t:in­nen an der Front, Ladoga, 17. Dezember 1939 Foto: Finnisches Archiv für Kriegsfotografie (SA-kuva), Helsinki

Den Besucher empfängt gleich am Eingang eine wandgroße Landkarte Europas. Daneben liegen weiße Zettel aus. „Hat der Hitler-Stalin-Pakt Ihre Familiengeschichte beeinflusst?“, fragen die Ausstellungsmacher und bitten Besucher, ihre Geschichte zu teilen. Die ausgefüllten Zettel werden auf der Landkarte platziert.

„Meine Familie wurde von den Nazis aus der Ukraine/Sumy verschleppt als Arbeitssklaven und 1942 in Köln begraben“, steht auf einem der Zettel. „Main Vater wurde 1930 in Lettland geboren“, so beginnt ein anderer Besucher seine Geschichte. Die Nazis hätten ihn als „Volksdeutschen“ im besetzten Polen angesiedelt. Dort lernte er seine spätere Ehefrau kennen. 1945 flohen sie in den Spreewald, später lebte die Familie in Niedersachsen.

Ein Besucher hat statt ­einer Erklärung eine Todesanzeige abgegeben. „Der Hitler-­Stalin-Pakt war die Basis für den 2. Weltkrieg, an dessen Ende es für meine Familie so aussah“, steht handschriftlich darüber. Die Anzeige umfasst die Namen von fünf Menschen. Zwei von ihnen überlebten zwar den Krieg, aber unter Verlust eines Beines beziehungsweise eines Auges.

„Riss durch Europa. Die Folgen des Hitler-Stalin-Pakts“ lautet der Titel der Sonderausstellung im Museum Berlin-Karlshorst, dem früheren Deutsch-Russischen Museum. Am 23. August 1939 unterzeichneten das Deutsche Reich und die Sowjetunion einen Nichtangriffsvertrag, dessen geheimes Zusatzprotokoll die Aufteilung Osteuropas in Interessensphären festhielt.

Die Ausstellung

„Riss durch Europa. Die Folgen des Hitler-Stalin-Pakts“. Bis zum 26. 1. 2025, Eintritt frei. Der Katalog erscheint im September

Der Pakt sei mit­verantwortlich für den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs gewesen, betonte die Historikerin Anke Hilbrenner von der Universität Düsseldorf zur Eröffnung der Schau. Tatsächlich ermöglichte der Vertrag den nahezu risikolosen Überfall der Wehrmacht auf Polen am 1. September 1939, weil kurz darauf die Rote Armee den Osten Polens angriff. Der Pakt, so Hilbrenner, galt in der Bundesrepublik lange als ein abgeschlossenes Thema.

Langwirkende Folgen des Vertrags

Im Osten Europas aber war das ganz anders. Denn die Bevölkerung einer ganzen Reihe von Staaten litt noch Jahrzehnte nach dem Krieg an der Folgen dieses deutsch-sowjetischen Vertrags. Er blieb auch nach 1945 für die Grenzziehungen bestimmend.

Die Ausstellung macht an Themensäulen, jeweils einem Land gewidmet, deutlich, was das bis zu Beginn der 1990er Jahre, ja teilweise bis heute bedeutet. Polen, das 1939 in ein deutsches und ein sowjetisches Interessengebiet aufgeteilt wurde, verlor nach 1945 seine Ostgebiete an die Sowjetunion. Die baltischen Staaten wurden von der UdSSR ganz geschluckt, so wie im Vertrag vorgesehen. Teile Finnlands blieben bis heute russisch. Rumänien verlor Bessarabien und weitere Gebiete (auf die Deutschland 1939 verzichtet hatte). Alle diese Staaten – bis auf Finnland – gerieten nach 1945 in den sowjetisch dominierten Block.

So verwundert es nicht, dass die Bewohner dieser Länder die Bedeutung des Pakts ganz anders sehen als die im Westen – er hat schließlich dazu beigetragen, ihre Unterdrückung zu ermöglichen. Die Länderstationen der Schau machen deutlich, wie das vorging: mit manipulierten Wahlen, Verschleppungen von Kritikern nach Sibirien und nackter, brutaler Gewalt.

Im westukrainischen Lwiw, dem früheren Lemberg, hat man jüngst die Strukturen eines Museums zu Ehren der Roten Armee wieder aufgebaut – als Mahnmal. Gedenkstätten und Museen erinnern in vielen Städten Osteuropas an die sowjetische Gewaltherrschaft. Der 23. August gilt heute als europaweiter Gedenktag für die Opfer aller totalitären und autoritären Regime. Diese vermeintliche Gleichsetzung der NS-Vernichtungspolitik mit der sowjetischen Unterdrückung osteuropäischer Völker stößt wiederum im Westen auf Kritik.

Ausgesparter Gedenktag

In der Bundesrepublik wird der Gedenktag faktisch übergangen – nicht die schlechteste Idee angesichts der Tatsache, dass dieses Gedenken hierzulande leicht als entlastend für deutsche Schuld interpretiert werden könnte. War der Hitler-Stalin-Pakt also die „Basis“ für den Weltkrieg, wie es in der Ausstellung heißt? Trägt die Sowjetunion damit etwa die gleiche Schuld oder eine Mitschuld, wie mancherorts behauptet wird? Diese umstrittenen Fragen werden in Karlshorst nicht eindeutig beantwortet.

Der Krieg gegen die Ukraine hat den Vertrag zurück in die Gegenwart gespült. In Osteuropa fühlt man sich beim Vorgehen Wladimir Putins an Stalins Expansionspolitik erinnert. In Moskau behaupten die Machthaber, dass Stalin dem Pakt nur zugestimmt habe, um Zeit für einen späteren Waffengang gegen Hitler zu gewinnen.

Dass er dabei bis zum deutschen Überfall auf die UdSSR 1941 in großem Umfang Material und Rohstoffe an Hitler lieferte, erklärt das nicht. Und dass er über 1.000 deutsche Kommunisten an die Nazis auslieferte, schon gar nicht. Die Existenz des geheimen Zusatzprotokolls wurde erst nach 1990 zugegeben, inzwischen aber wieder beschwiegen. Schuld am Zweiten Weltkrieg hätten die Westmächte mit ihrer Appeasement-Politik, heißt es im heutigen Russland.

Die Ausstellung wird nicht in Karlshorst bleiben. Als nächste Station ist das westukrainische Czernowitz (Tscherniwzi) vorgesehen – ein passenderer Ort lässt sich kaum finden. Denn dessen Bewohner haben in einem Jahrhundert, so sie nicht einem der zahlreichen Massaker zum Opfer fielen, sechs Herrschaften überlebt, ohne sich vom Fleck zu bewegen: Auf Österreich-Ungarn folgte 1918 Rumänien. Es wurde entsprechend dem Hitler-Stalin-Pakt 1940 von der Sowjetunion abgelöst, bis 1941 Hitlerdeutschland dort an die Macht kam und die jüdische Bevölkerung auslöschte. 1944 kam erneut die UdSSR ans Ruder, bis Czernowitz 1991 Teil der Ukraine wurde. Ein siebtes Reich steht glücklicherweise aus: Ginge es nach Putin, dann wäre die Stadt heute Bestandteil eines großrussischen Staats.

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10 Kommentare

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  • Manchmal könnte man meinen, dass die Alternativen Wagenknechte noch nie von dem Vertrag gehört haben. So wie sie sich für das russische Regierungsrecht über Osteuropa einsetzen.

  • Wer kennt den denn nicht, wenn er/sie in der Schule nicht durchgeschlafen hat?

    Oder Zeitung liest, sonstige Medien konsumiert.



    Den zu kennen, erklärt viel bis zum heutigen Tag. Deal mit Russland auf Kosten Dritter. Bitte nie mehr!

  • Es muss immer wieder über die damalige Zeit berichtet werden, um das Vergessen soweit wie möglich zu verhindern. Dazu zählen Ausstellungen wie die genannte oder auch Berichte im ÖRR. Die heutigen digitalen Medien erzeugen gefährliche Informationsblasen und agieren kommerziell und ideologisch.

    Derer Grenzverschiebungen hat es über die Jahrhunderte viele gegeben. Spekulationen über einen anderen Zeitverlauf sind müßig. So friedlich, konstant und erfolgreich im Sinne des erlangten gesellschaftlichen Wohlstands und Friedens haben wir nie gelebt.

    Die aktuelle Stimmungslage lässt Wolken der aggressiven Veränderung aufziehen. In der Ukraine "regnet" es bereits. Umso mehr braucht es eine Kultur der Erinnerung als Prophylaxe für den Erhalt des Friedens und der europäischen Union.

  • "Tatsächlich ermöglichte der Vertrag den nahezu risikolosen Überfall der Wehrmacht auf Polen am 1. September 1939, weil kurz darauf die Rote Armee den Osten Polens angriff."

    Die Garantieerklärung von Frankreich und GB zum Schutz Polens wurde offenbar sehr einseitig ausgelegt. Eine Kriegserklärung gegen die SU fand jedenfalls nicht statt.

  • Der Besuch der Austellung sollte für alle Putinversteher und Altstalinisten Pflicht werden.

  • Solche Ausstellungen sind immer wichtig.



    "Der Pakt sei mit­verantwortlich für den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs gewesen, betonte die Historikerin Anke Hilbrenner".



    Das stimmt, aber warum?



    F und GB verhandelten im Sommer 1939, quasi parallel zu Hitler, mit Stalin. Die Westmächte lehnten dabei (sich natürlich an internationales Recht haltend) eine Preisgabe des Baltikums und Kareliens an Stalin als Lohn für ein Bündnis mit der SU (gegen Hitler) ab. Hitler hatte weniger Skrupel und bekam so Handlungsfreiheit für den Überfall auf Polen.



    Leider ging die Geschichte noch weiter: Die Westmächte, dann inklusive USA, überließen in Jalta 1945 das Baltikum dann doch endgültig Stalin.



    Es ist natürlich Spekulation, aber wären sich die Westmächte schon 1939 mit Stalin handlungseinig geworden, hätte der II.WK so nicht stattgefunden.



    Oder zynisch ergänzt vom damaligen Gewinner: "Schuld am Zweiten Weltkrieg hätten die Westmächte mit ihrer Appeasement-Politik, heißt es im heutigen Russland".

    • @Vigoleis:

      Danke für die Ergänzung - klarer werden mir die Verflechtungen dadurch aber nicht & der Inhalt des Zusatzprotokolls skizziert wäre auch nützlich

      • @Lowandorder:

        Wikipedia bzw. ein Quellenbuch ;)



        Sehr zusammenfassend: das nördliche Osteuropa wurde unter Deutschland und Russland aufgeteilt.



        Faktisch konnte Hitler ungestört West-Polen greifen. Stalin gewann Zeit und Land.



        Böse formuliert: bis auf den Krieg danach der feuchte Traum einiger ADis.

        • @Janix:

          Sorry. Seh das erst jetzt - thnx a lot - both.

        • @Janix:

          Und so mancher Stalinisten. Tatsächlich war das "geheime Zusatzprotokoll" für Stalin der bessere Deal und man kann an seinem Gesichtsausdruck bei der Unterzeichnung sehr gut erkennen, das er ein tiefes Gefühl der Befriedigung hatte, den Vertragspartner gehörig über den Tisch gezogen zu haben.

          Sein Plan ging auch anfangs genau so wie erhofft auf: Hitler griff Polen an, erwartungsgemäß wurde dem deutschen Reich von Frankreich und GB der Krieg erklärt. Stalin griff sich die andere Hälfte Polens, ohne gleichartigen Kriegserklärungen ausgesetzt zu sein.

          Stalins Hoffnung, wie Westmächte würden sich nun gegenseitig zerfleischen, um ihm hernach ein zerstörtes Europa zu überlassen, erfüllte sich allerdings nicht. Der vermeintliche Militärriese Frankreich war nach nur 6 Wochen gefällt und die englische Armee aus dem Kontinent vertrieben. Die erwartete deutsche Invasion von England fand nicht statt.

          Letztendlich hat sich Stalin Zeit erkauft, der unvermeidliche Konflikt zwischen Kommunismus und Faschismus fand aber viel früher statt als von ihm erwartet.