Studie zur Veränderung des Wattenmeers: Der globale Druck

Über 30 WissenschaftlerInnen haben eine Studie zur Veränderung des Wattenmeers durch die Klimakrise erstellt. Der Wandel erfolgt schneller denn je.

Schwer bedrohte Tankstelle für Zugvögel: das Wattenmeer, hier im Oktober 2023 bei Jade Foto: dpa | Sina Schuldt

OSNABRÜCK taz | Meeresgrund trifft Horizont: So steht es auf der Website der drei Wattenmeer-Nationalparks Schleswig-Holstein, Hamburg und Niedersachsen, über einem wildschönen Sonnenfoto mit Schlick, Prielen und Brandung. Was man hier nicht sieht: Das Wattenmeer, als Unesco-Weltnaturerbe klassifiziert, weitflächig ein Biosphärenreservat, steht unter Druck.

Fischfang und Handelsschifffahrt belasten es, Offshore-Energiegewinnung und Plastikmüll, Munitionsaltlasten und Chemikalien, LNG-Terminals und Pipelines, Sport und Massentourismus. Dazu kommen Überdüngung aus der industrialisierten Agrarwirtschaft sowie verklapptes Baggergut aus dem Hamburger Hafen.

Auch die Klimakrise setzt dem Watt zu. „Zu den lokalen Drücken kommt der globale Druck hinzu“, sagt Christian Buschbaum der taz, Meeresökologe an der Wattenmeerstation Sylt des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), die dieses Jahr 100 wird.

Aus Anlass dieser 100 Jahre haben über 30 AWI-WissenschaftlerInnen jüngst in der Fachzeitschrift „Marine Biodiversity“ in ihrem Review-Paper „Climate change impacts on a sedimentary coast – a regional synthesis from genes to ecosystems“ den Stand der Forschung zum klimabedingten Wandel zusammenfasst, den das Watt durchläuft, interdisziplinär von der Biologie bis zur Geologie. Buschbaum ist Co-­Erstautor der Studie.

Noch erfüllt das Watt seine ökologische Funktion. Doch je länger man wartet, desto teurer wird es

„Das ist ein hoch gefährdeter Raum“, sagt Buschbaum, der selbst auf Sylt wohnt. „Wir sollten die Gesundheit dieses einzigartigen Lebensraums nicht als selbstverständlich ansehen, sondern müssen etwas für sie tun.“ Die Auswirkungen des Klimawandels seien seit den 1970ern bekannt. „Aber damals hat das keiner so ausgesprochen.“

Das Review-Paper wolle für diesen Wandel „Bewusstsein schaffen“ und „Denkanstöße in alle Richtungen geben“, sagt Buschbaum. „Wir können eine Menge tun, und dafür ist es noch nicht zu spät. Aber das kostet Umdenken, Geld und Energie.“

Wer „Climate change impacts on a sedimentary coast“ liest, erfährt vom Anstieg der Temperatur und des Meeresspiegels, von geänderten Wachstumsraten und Lebensräumen, von polwärts abwandernden Arten und der Ausbreitung überseeischer Neobioten, also invasiver Arten, die Wärme lieben. Das Wattenmeer wandle sich zwar nicht von heute auf morgen. „Aber es verändert sich stetig“, sagt Buschbaum. „Und es verändert sich derzeit schneller als jemals in seiner gesamten Geschichte.“

Noch erfülle das Watt seine ökologische Funktion, etwa als „Tankstelle für die Zugvögel“, sagt Buschbaum, der lieber nach vorne schaut, als zu betonen, wie schlimm alles ist. Aber je länger man untätig bleibe, desto teurer werde es am Ende. Er denkt dabei auch an den Küstenschutz. Und er meint nicht nur höhere Deiche, Granitbuhnen, Holzpalisaden und Betonpflaster, Mauern und Asphaltdeckwerke sowie tonnenschwere Tetrapoden-Wellenbrecher. „Wir müssen stärker mit dem Meer leben, statt gegen es“, sagt Buschbaum. „Es kann sinnvoll sein, das Meer nicht überall auszusperren.“

Das hat Grenzen, denn viele urbane Strukturen stehen direkt an der Küste. Außerdem fühlen sich viele Anwohner traditionell hinter technischen, harten, starren Befestigungen sicherer, obwohl das Meer auch sie überwinden kann und weiche Puffer wie Marschland, Sandaufspülungen und Salzwiesen nicht nur naturverträglicher sind, sondern sich auch jeder Veränderung anpassen.

Veränderung der Gesellschaft nötig

Ein Jahr Arbeit steckt in „Climate change impacts on a sedimentary coast“, von der Idee bis zur Umsetzung. „Das hat echt Spaß gemacht“, sagt Buschbaum. „Das Team war hochmotiviert.“ Auch er selbst hat viel gelernt: „Da sitzt jemand nur zwei Räume weiter, und plötzlich sieht man: ‚Cool, was der rausgefunden hat!‘“

Über die Wissenschaftsfeindlichkeit der Leugner der Klimakrise schüttelt Buschbaum den Kopf: „Es ist schon erstaunlich, wie man sich so vor der Realität verschließen kann“, sagt er. „Da müssen die Sozialwissenschaften ran, um zu erklären, wie so etwas passiert, woher diese Ängste kommen, die ja auch Verlustängste sind.“

Veränderung gehört zum Ökosystem wie zur Gesellschaft. Sich nicht mitzuverändern, ist fatal. Buschbaum ist sich daher sicher: „Wir müssen die Leute mitnehmen. Anders geht es nicht.“ Die Jubiläums-Studie könnte dazu beitragen. Das „Klimakonzert“ in der Kirche St. Jürgen in List auf Sylt Anfang Oktober tut es ganz gewiss: Anlässlich des 100-jährigen Bestehens der AWI-Wattenmeerstation vernetzt sich hier wissenschaftlicher Input mit Orgelmusik, Illumination und Projektionen. Buschbaum spielt den Part „für den Verstand“, lockt das Plakat.

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