Coming-of-Age-Theater in Hannover: Anleitung zum Untätigsein
Klingt nach Disney, sieht anders aus: Mit Bonn Parks „Bambi und die Themen“ taucht das Theater an der Glocksee ins Gefühlschaos der Digital Teens.
Das Theater an der Glocksee in Hannover verwandelt sich heute in Saurier-City: das Zuhause von Bambi, Blume und Klopfer. Die drei, bekannt aus dem Disneyfilm, tragen Kostüme, die eher auf eine Berliner WG hindeuten als auf Paarhufer, Stinktier und Hase. Trotzdem sind Hinweise auf ihre Zeichentrickexistenz wie eine geschminkte Reh-Nase zu erkennen.
Sie sitzen auf einem Stangengerüst und sind in warmes Licht gehüllt. Sie kuscheln, küssen und reden über ihre Utopie. Einander kennengelernt haben sie sich bei Bambis ersten, tapsigen Schritten durch die Wiese. Sie halfen ihm, sich in seiner neuen Welt zurechtzufinden.
Laut Begleitheft sind alle Säugetiere Menschen, also haben sie auch früher oder später ein Handy in die Hand gedrückt bekommen. Zwischen Tiktok Dances und der Apokalypse kommt das Stück „Bambi und die Themen“ trotzdem immer auf den ersten Wunsch zurück, den das Reh äußert: „Ich möchte ein gutes Leben führen.“
Der Berliner Dramatiker Bonn Park, 1987 geboren, erzählt mit „Bambi und die Themen eine Coming-of-Age-Geschichte. Bambi und seine Freund*innen tragen sämtliche Fragen, Themen und Meinungen im Herzen und klammern sich aneinander, während sie von der Flut an Informationen überschwemmt werden. Die Bühne ist aufgeteilt in zwei Räume.
„Bambi und die Themen“, Schauspiel von Bonn Park, Theater an der Glocksee, Glockseestr. 35, Hannover; wieder am 6., 7.,11. und 13. 9., jeweils 20 Uhr
Das Handy ist eine Welt für sich
Der erste stellt die Außenwelt dar. Meistens die Dreier-WG, aber auch mal ein Sportevent oder eine Blumenwiese. Der zweite Raum, links auf der Bühne, ist das Innere eines riesigen Handys. Da, wo der Bildschirm normalerweise wäre, hängt ein transparenter Vorhang. Er dient als Projektionsfläche, ermöglicht aber auch den Einstieg in den digitalen Innenraum der Handys.
Eine Live-Kamera erfasst die Gesichter der Spielenden und lässt über das reine Abbild eine KI-Interpretation der Aufnahme flackern. Fiktive Schreckensbilder von Saurier-City lösen echte Schreckensbilder von Krieg und Umweltkatastrophen ab. Diese Mischung aus komischer Fiktion und realem Horror passt zur weit verbreiteten Online-Stimmung: „Die Welt geht unter, aber zum Glück haben wir Memes.“
Die Clique wird stets von zwei weiß und klar männlich lesbaren Anzugträgern begleitet. Einer von ihnen gibt den Erzähler, der Handlungen vorgibt oder kommentiert. Der zweite wird in der Besetzungsliste als „???/Mächtiger Saurier“ bezeichnet. Mal moderiert er eine Gameshow übers Trolley-Problem, mal tritt er als eine Weihnachtsmann/Gott/Jesus-Figur aus dem Handy und bringt alles durcheinander.
Die Dialoge zwischen Bambi, Blume und Klopfer wirken anfänglich noch fremd und eher wie von einem Erzähler geschrieben, als von den Figuren gesagt. Die Sorge, das Stück würde in eine jener Darstellungen münden, die Jugendliche von oben herab als ständig von irgendwas getriggerte Smartphone-Zombies porträtieren, bewahrheitet sich nicht: Mit der Zeit erzeugt es über Insider- und authentische Jugendsprache das Gefühl, mit den Charakteren auf einer Wellenlänge zu sein.
Obwohl existenzielle Krisen teilweise sarkastisch und mit viel Humor erzählt werden, nimmt Jonas Vietzkes Inszenierung die Unzufriedenheit von Bambi, die Verzweiflung von Blume und die Orientierungslosigkeit von Klopfer erkennbar als echte Probleme ernst.
So wird Bambi mitten im Stück bei einem Sportevent in der Schlange für Bier und Würstchen gefragt, ob es ein Junge oder ein Mädchen sei. Weil, wenn das Reh ein Mädchen wäre, würde???/Mächtiger Saurier es gern auf ein Date einladen. Wenn es ein Junge wäre, eben nicht. Oder doch? Nein. Oder doch?
Und so geht das hin und her mit der Frage, ob er Bambi angraben könne, ohne schwul zu wirken. Indem diese Frage immer wieder wiederholt wird und sich der Mächtige Saurier mit ihr auch ans Publikum wendet, wird erlebbar, wie übergriffig sie wirken kann: Mit einem Tier, das zugleich ein Mensch ist, Nichtbinärität zu thematisieren, funktioniert gut, vielleicht auch, weil wir eher bereit sind, ein Reh als geschlechtsneutrales Wesen anzusehen.
Bei Wutanfällen, Neuanfängen und großer Verzweiflung stützen Larissa Potapov und Nina Melcher als Bambi und Blume Szenen mit Tanzelementen. Tommy Wiesner als Klopfer singt leise über Frieden und laut über die Unfähigkeit, etwas am Lauf der Dinge zu ändern.
Diese Momente ohne Wortfluss sind eine willkommene Pause fürs sonstige Themen-Chaos. Es endet mit der Entscheidung, nichts ändern zu wollen. Denn es geht nicht wirklich darum, was um uns herum passiert. Wir können ja immer neu beginnen: Es geht um unsere Einstellung und die Menschen, die uns Halt geben.
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