piwik no script img

Experte zu Waldbränden in Griechenland„Athen wird zu Kairo werden“

Ein Großbrand in Athen hielt Griechenland jüngst in Atem. Laut dem Experten Alexandros Dimitrakopoulos hätte der Schaden begrenzt werden können.

Freiwillige Helfer versuchen, das Feuer im Norden von Athen zu löschen Foto: Aggelos Barai/dpa
Interview von Ferry Batzoglou

taz: Herr Dimitrakopoulos, vor einigen Tagen brach nachmittags im Dorf Varnavas, 45 Kilometer nordöstlich des Zentrums von Athen, ein Feuer aus. Rasend breitete es sich in Richtung der Metropole aus. Erstmals erreichte ein Waldbrand die nordöstlichen Athener Vororte Vrilissia und Chalandri und damit das Stadtgebiet von Groß-Athen – und dies binnen weniger Stunden. Wie reagierten die Menschen in Griechenland auf das Feuer?

Dimitrakopoulos: Das ist ein Schock für die Griechen. Nahe Athen, dem Verwaltungszentrum des griechischen Staates, bricht ein riesiges Feuer aus, das unmittelbar Leben und Eigentum bedroht. Und dies, obwohl eine Fülle von Waldbrandbekämpfungsmitteln zur Verfügung stand.

Im Interview: Alexandros Dimitrakopoulos

Alexandros Dimitrakopoulos ist Griechenlands führender Waldbrand-Experte. Der 63-Jährige ist Dekan an der Fakultät für Landwirtschaft, Forstwirtschaft und natürliche Umwelt der Aristoteles-Universität von Thessaloniki.

taz: Wie konnte das Feuer so schnell die griechische Hauptstadt erreichen?

Dimitrakopoulos: Das Brandrisiko war sehr hoch, auf einer Risikoskala von eins bis fünf lag es bei vier. Es herrschten hohe Lufttemperaturen von 36 Grad Celsius und Dürre. Ferner wehten starke Winde mit einer Windstärke von sechs bis sieben Beaufort. Dies ist in dieser Jahreszeit zwar üblich. Vom 10. August bis Ende September wehen hier die Meltemi-Winde. Das sind starke, trockene Nord- und Nordostwinde. Von Sonntagabend bis Montagmorgen gab es aber keine nennenswerte Brandbekämpfung. Daher brannte das Feuer mehr als zwölf Stunden lang ungestört bei starkem Wind. Wegen der starken Winde kam es in der Nähe neuer Siedlungen in Windrichtung immer wieder zu neuen Ausbrüchen oder Wiederaufflammungen. Die hohe Siedlungsdichte in brennenden oder brandgefährdeten Waldgebieten führte dazu, dass wertvolle Ressourcen der Waldbrandbekämpfung auf Kosten der aktiven Brandbekämpfung zum Schutz der Häuser eingesetzt wurden.

taz: Zunächst kämpften 560 Feuerwehrleute, 16 Forstteams, 177 Fahrzeuge, 17 Löschflugzeuge und 15 Hubschrauber gegen die Flammen. Das EU-Koordinationszentrum für Notfallmaßnahmen (ERCC) wurde um Hilfe gebeten. War das nicht ausreichend?

Dimitrakopoulos: Nein. Das war nicht genug, wenn man sich das Ergebnis anschaut. Es stellt sich die Frage nach der Effizienz der Waldbrandbekämpfungskräfte. Das betrifft ihr konkretes Wirken bei der Brandbekämpfung, den Einsatz von Brandbekämpfungsgeräten und das Vorhandensein sowie die Wirksamkeit von Einsatzplänen zur Brandbekämpfung. Kurz gesagt: Es kommt nicht nur darauf an, wie viel Personal und Material man zur Brandbekämpfung hat, sondern auch darauf, wie man es einsetzt.

taz: Der durch das jüngste Großfeuer angerichtete Schaden ist enorm. Eine Frau wurde bei der Arbeit in einer Fabrik Opfer der Flammen. Nach einer ersten Schätzung sind 102 Quadratkilometer verbrannt, etwa die Hälfte davon in der historischen Gemeinde Marathon, zu der auch Varnavas gehört. Dutzende Häuser und Geschäfte sind zerstört. Hätte dieses Ausmaß des Schadens begrenzt werden können?

Dimitrakopoulos: Ja. Dafür hätte es aber mehr Sachkenntnis und Eifer bei der Waldbrandbekämpfung, einer effizienteren Planung der lokalen Brandbekämpfungspläne und einer rationellen Organisation der Brandbekämpfungsmaßnahmen bedurft.

taz: Im Großraum Athen kommt es jedes Jahr zu Bränden. Nach Angaben des meteorologischen Dienstes Meteo sind in den letzten acht Jahren 37 Prozent der Wälder dieser Region abgebrannt. Warum wird sie so oft und so stark von Waldbränden heimgesucht?

Dimitrakopoulos: Das liegt am trockenen und heißen Klima, der mediterranen Vegetation und vor allem an der hohen Bevölkerungskonzentration im attischen Becken, wo etwa die Hälfte der griechischen Bevölkerung lebt. In Griechenland werden 98 Prozent der Waldbrände absichtlich oder unabsichtlich von Menschen verursacht.

taz: Können in den verbrannten Gebieten von selbst neue Wälder wachsen?

Dimitrakopoulos: Verbrannte mediterrane Ökosysteme wie Kiefernwälder und Sträucher regenerieren sich auf natürliche Weise durch Samen und Setzlinge, wenn sie mindestens zehn Jahre lang ungestört bleiben, also ohne menschliche Eingriffe, vor allem durch Beweidung und Bebauung. Die Natur heilt ihre eigenen Wunden auf die beste Art und Weise, solange der Homo oeconomicus nicht eingreift.

taz: Die griechische Hauptstadt mit ihren vier Millionen Einwohnern verfügt über sehr wenige Grünflächen und Parks. Was bedeuten die nun verbrannten Flächen in der „Grünen Lunge“ der Region für das Klima und das Leben in Athen?

Dimitrakopoulos: Kurzfristig, für ein bis zwei Wochen, ist mit einem Anstieg der Schwebstoffe PM 10 und PM 2,5 sowie des Ozons in der Atmosphäre zu rechnen. Das führt zu Atemproblemen. Mittelfristig wird sich durch die Zerstörung des Waldes das Mikroklima im Stadtgebiet von Athen um mindestens 1,5 bis zwei Grad Celsius erwärmen. Die Sommer werden noch trockener werden. Die Lufttemperaturen werden während der Hitzewellen bei etwa 39 Grad liegen. Athen wird zu Kairo werden! Langfristig werden sich der „Treibhauseffekt“ und der Klimawandel durch den Anstieg des Kohlendioxids in der Atmosphäre aufgrund der verbrannten Wälder noch verstärken. Dies wird zwangsläufig auch Auswirkungen auf den Tourismus haben.

taz: Im vorigen Jahr verbrannte in Griechenland insgesamt eine Fläche von 1.747 Quadratkilometern, was mehr als einem Prozent der Landfläche des Landes entspricht. Nun folgte das Großfeuer im Großraum Athen – und der Sommer ist noch nicht vorbei. Droht Griechenland eine großflächige Verwüstung?

Dimitrakopoulos: Die Gefahr besteht, aber nicht unmittelbar. Zusätzlich zu den Waldbränden hat Griechenland allmählich mit einer ernsthaften Wasserknappheit zu kämpfen. Das hiesige Klima ist in den letzten 30, 35 Jahren wärmer und trockener geworden – mit all den Folgen für alle Lebewesen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
  • Tauscht eure vielen Panzer gegen Löschflugzeuge ein!

  • Die Waldbededeckung Griechenlands hat in den letzten Jahrzehnten zugenommen. Wegen der Landflucht wurden überall landwirtschaftliche Flächen der Natur überlassen, die Weidewirtschaft ist geschrumpft und es wird kein Holz mehr als Heizmittel geschlagen. Jenseits der Städte ist eine jahrhundertealte Kulturlandschaft verschwunden, deren Vielfallt die Brände eingedämmt hat. Stattdessen sind großflächige, dichtgewachsene Kiefernwälder entstanden, die von Natur aus darauf ausgelegt sind, sich durch Feuer zu erneuern und alle paar Jahre abbrennen. Großräumige, alte Kiefernwälder führen früher oder später zwangsläufig zu großen Feuern. Dies gilt auch für die Kiefernwälder in der Peripherie der Städte, wo sich Wald und Bebauung vermischen. Eine Vorbeugemaßnahme könnte darin bestehen, in diesen Bereichen die Kiefern durch andere, weniger brennbare Bäume zu ersetzen. Leider wird in GR drüber kaum diskutiert.

  • Man sollte darüber nachdenken, in Griechenland wieder Biber anzusiedeln. Die Teiche und Feuchtgebitet wirken als Wasserspeicher, und im Falle von Waldbränden als Feuersperre, Rückzugsraum für Tiere und Startpunkt der Regeneration. In den USA ist man da schon weiter



    www.nationalgeogra...-california-oregon



    Und, für alle die glauben es gab in GR keine Biber: In NW- Griechcnland sind eine Gegend und ein ganzer See nach ihnen benannt, nämlich Kastoria und Limni Kastorias.

    • @Gerald Müller:

      Wo sollen die denn dort leben, wenn um Athen schon alles ausgetrocknet ist?



      In Kalifornien setzt man auch auf weniger dichte Wälder. Es gibt Dokumentationen, die auch zeigen, dass früher die Wälder in den Bergen weniger dicht waren und Waldbrände sich wohl nicht so schnell ausbreiten konnten. Das sind aber alles eher langfristige Prozesse und Maßnahmen, die angestoßen werden müssten, während die klimatischen Veränderungen schnell gehen und Regierungen sich schwer tun etwas umzusetzen, weil Lobbyismus viel verhindert.

      • @Axel Schäfer:

        In Griechenland sollen die Wälder ebenfalls nicht so dicht und großflächig gewesen sein, weil sie bewirtschaftet (Vieh-, Harz-, Honig- und Holzwirtschaft) und sie an vielen Stellen unterbrochen wurden von landwirtschaftlichen Flächen, die nicht oder sehr viel schwerer entflammbar sind und damit faktisch Brandschneisen gebildet haben. Das Landschaftsbild hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert, die großflächigen, dichten Kiefernwälder sind vielerorts ein vergleichsweise neues Phänomen.