piwik no script img

Schland mit Fries und Rocaille

Aktuell stellen zwei Kunstinstallationen die Frage danach, was ein Architekturdenkmal ist: Olaf Metzel im Rokoko-Belvedere in Weimar und Ersan Mondtag im NS-Pavillon in Venedig

Von Sophie Jung

Architekturdenkmal, das ist zunächst ein dröges Wort. Doch wird es sehr politisch, wenn man sich fragt, wie sich durch Architektur überhaupt gedenken lässt. Was können und dürfen Gebäude über eine Gesellschaft aussagen?

In Weimar steht das Lustschloss Belvedere, das die Baumeister Johann Adolph Richter und Gottfried Heinrich Krohne im frühen 18. Jahrhundert auf einem Berghang als Rückzugsort für den Herzog von Sachsen-Weimar anlegten. Betritt man das Schlösschen, hat man oben vom „Silbergrauen Salon“ aus einen Blick über die Stadt. Auf den Englischen Landschaftsgarten, das Stadtschloss an der Ilm, die Bibliotheken – auf das nostalgisch stimmende Weimar Goethes, das Unesco-Welterbe, das als „Brennpunkt europäischer Kultur“ gilt.

Dahinter erheben sich mächtige DDR-Plattenbauriegel. In den 90ern waren sie zur Kulisse der Baseballschlägerjahre geworden. Auch Jena-Lobeda, wo die DDR-Regierung eine ihrer größten Plattenbausiedlungen plante und sich der NSU formierte, ist nur ein paar Kilometer entfernt. Und über die schillernde Landschaft legt sich der düstere Dunst des KZs Buchenwald auf dem Ettersberg, eines der größten Konzentrationslager im Nationalsozialismus. In dieses durchwachsene Open-Air-Museum der deutschen Geschichte plätschert gerade unnachgiebig ein barocker Brunnen am Belvedere hin­ein. Aber oben im Silbergrauen Saal gibt es noch ein anderes Wasserspiel: Pissoirs. 24 Stück in zwei Reihen, je gut 1,5 Meter hoch. Der Bildhauer Olaf Metzel hat sie hier platziert. Was nach aggressiver Männlichkeit aussieht, bekommt im Belvedere aber die Süße der Umgebung, als würden sich gleich die Putti von den Fresken der Rokokogemächer lösen und an den 24 Urinalen mit der Schlossfontäne in den klanglichen Wettstreit treten. Das mag klamaukig sein, auch plakativ. Doch hier geschieht etwas: Ein aufgeladenes historisches Setting bekommt durch Metzels Kunst einen ordentlichen Riss.

„Deutschstunde“ heißt Metzels Ausstellung im Belvedere anspielungsreich. Es gibt viel zu sehen, auch ein „Kebab Monument“. Ein riesiger Dönerspieß steht als über zwei Meter hoher Turm aus Plexiglasstreifen und Aluminium im Festsaal des Belvedere. Man könnte auch an den konstruktivistischen Turm von Vladimir Tatlin denken, würde nicht alles so eighties-plastemäßig glitzern und schimmern und dabei gut mit dem Rocaille-Stuck des Prunksaals harmonieren. Leere Bistrotische stehen drumherum wie vor einem desolaten Straßenimbiss – gekippt, verkeilt, gebrochen, mit schwarzen Schleiern als Tischdecken.

Ein Schleier wiederum, beziehungsweise ein Kopftuch, ist das Einzige, was Metzels weiblicher Akt „Turkish Delight“ noch trägt. Es ist eine Provokation des 72-jährigen Bildhauers aus Berlin, die Nacktheit der Frau in der abendländischen Kultur und ihre Verhüllung in der islamischen so aufeinandertreffen zu lassen. „Turkish Delight“ musste 2007 vom Wiener Karlsplatz entfernt werden. Nun fällt der melancholische Blick der Figur durch ein Fenster im Belvedere auf die Unesco-Landschaft Weimars. Wenn auch Metzels Kunst schlagwortartig ist, die „Deutschstunde“ macht im wahlkampfgetriebenen Weimar, wo der FDP-Spitzenkandidat Thomas L. Kemmerich gerade mit Parolen wie „Recht und Ordnung“ oder „geregelte Migration“ in die rechte Kerbe schlägt, etwas klar: Es gibt kein Gegenüber der Kulturen, kein Abgrenzen von Na­tio­nen und Religionen, es ist alles ein Ineinander.

Das ist ein Statement in dem Architekturdenkmal des Belvedere. Das Lustschloss wird nämlich gerade restauriert. Die Klassik Stiftung Weimar will die Geschichte dieses Orts baulich konservieren. Doch soll das Schlösschen nicht zu einem „Idealzustand aus der Vergangenheit“ aus dem höfischen 18. Jahrhundert zurückkehren, wie Susanne Dieckmann, Abteilungsleiterin Baudenkmalpflege in Weimar, auf taz-Anfrage klarstellt. Solch ein denkmalpflegerisches Motiv neigt auch dazu, Geschichte zu verklären. Vielmehr sollen die verschiedenen Zeitschichten wieder in der Architektur des Belvedere sichtbar werden. Und Metzels Kunstinstallation konfrontiert sie zusätzlich mit einem Heute.

„Ich habe Angst davor, dass Menschen in Erinnerung schwelgen“, sagt die Kuratorin des Deutschen Pavillons der jetzigen Kunstbiennale in Venedig, Cağla İlk, im Magazin Kunstforum. „Der Nostalgiker läuft Gefahr, die Vergangenheit zu überhöhen. Dabei ist die Wiederholung konservativer Muster der Vergangenheit extrem gefährlich.“

Statt Geschichte zu verklären, sollen die verschiedenen Zeitschichten wieder in der Architektur sichtbar werden

Auch İlk bespielt gerade ein Architekturdenkmal. Von den Nationalsozialisten 1938 zu einem monumentalen Tempel überformt, repräsentiert der Deutsche Pavillon in Venedig auf den Biennalen die Bundesrepublik. Immer wieder arbeiteten sich Künstlerinnen an seiner braunen Geschichte ab. Hans ­Haacke riss den von Hitler betretenen Fußboden heraus, Maria Eichhorn legte wie eine Archäologin alle Veränderungen durch die Nazis frei.

Und derzeit stellt der 37-jährige Theaterregisseur Ersan Mondtag auf Einladung İlks dem Nazi-Monument sein „Monument eines unbekannten Menschen“ entgegen. Dafür holte Mondtag die Erde aus dem Geburtsort seines Großvaters in Anatolien nach Venedig – der Mann war in den 1960ern als Gastarbeiter nach Berlin gekommen und schuftete sich dort in einer Fabrik zu einem frühen Tod. Die braune Erde bedeckt nun den gesamten Innenraum des Nazibaus, versperrt sein tempelartiges Portal.

Und Mondtag machte noch etwas, das man so gar nicht sehen kann: Er schüttete die anatolische Erde auch in den Boden des Gebäudes, bevor er wieder versiegelt wurde. Sie gehört nun sozusagen zur originalen Bausubstanz eines ziemlich deutschen Architekturdenkmals.

„Olaf Metzel. Deutschstunde“. Belvedere Weimar, bis 1. November„Thresholds“. Deutscher Pavillon, Kunstbiennale Venedig, bis 24. November

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen