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„Unser Fall macht Vereinen Angst“

Özcan Karadeniz führte den Dachverband sächsischer Mi­gran­t*in­nen­or­ga­ni­sa­tio­nen in die Insolvenz. Er macht eine Entscheidung des Rechnungshofs dafür verantwortlich

Plakate für die Wahl in Sachsen. Immerhin, die Laterne zeigt nach links Foto: Hendrik Schmidt/dpa

Interview Anne Fromm

taz: Herr Karadeniz, es sind noch zwei Wochen bis zur Wahl. Wie schauen Sie auf den 1. September in Sachsen?

Özcan Karadeniz: Ich lebe seit 2011 in Leipzig und engagiere mich seitdem in Sachsen. Ich war immer zuversichtlich und habe versucht, das Positive zu sehen. Klar sind rechte Positionen lauter geworden – aber das war aus meiner Sicht auch eine Reaktion auf die progressiver werdende Politik. Dass wir heute über Rassismus und andere Diskriminierungsformen in Sachsen sprechen können, ist ein Gewinn.

taz: Und heute?

Karadeniz:Bin ich zunehmend frustriert. Ich beobachte, dass Teile der Gesellschaft keinen Wertekompass haben, nicht mehr erreichbar sind für demokratische Prozesse und eine humanistische Politik. Wir müssen uns überlegen, wie wir als Gesellschaft damit umgehen.

taz: Sie waren bis April 2024 Geschäftsführer des Dachverbands sächsischer Migrant* innenorganisationen. Dann haben Sie ihn in die Insolvenz geführt – auf politischen Druck, sagen Sie. Was ist passiert?

Karadeniz:Der Sächsische Rechnungshof hat geprüft, wie das Sozialministerium Fördermittel für Migrations- und Integrationsarbeit verwendet, und den politischen Einfluss des Ministeriums bei der Fördermittelvergabe sowie die politischen Positionierungen der Trägerlandschaft kritisiert. In diesem Zuge wurde auch die Fördermittelvergabe an unseren Dachverband moniert. Wir haben Anfang März Rückforderungs- und Widerspruchsbescheide für sieben Projekte aus den Jahren 2015 bis 2019 erhalten und sollten rund 153.000 Euro zurückzahlen. Das waren Projekte, die teilweise durch unsere Vorgängerorganisation umgesetzt wurden, die bewilligt, geprüft und längst abgeschlossen sind.

taz: 153.000 Euro ist viel Geld für eine kleine Organisation.

Karadeniz:Ja, aber auch das wäre machbar gewesen. Die Widersprüche sind ja auch noch nicht rechtskräftig. Die Sächsische Aufbaubank, als Fördermittelverwaltungsstelle, hat uns dann aber gleich noch die angedachten Fördermittel für das Jahr 2024 wegen zu erwartender Liquiditätsengpässe gestrichen. Damit waren wir handlungsunfähig.

ta: Was wirft der Rechnungshof Ihnen vor?

Karadeniz:Die Rückforderungen basieren auf vermeintlich nicht anzuerkennenden Personalkosten. Auch wurden einige bürokratische Aspekte bemängelt: Reisekostenabrechnungen, nicht fristgerecht eingereichte Unterlagen der rechtlichen Vorgängerorganisation. Daraus wurde der Vorwurf einer nicht ordnungsgemäßen Geschäftsführung konstruiert. Dass mittlerweile andere handelnde Personen verantwortlich sind und der DSM hochprofessionell geführt wird und die angeblichen Verfehlungen größtenteils in enger Abstimmung mit den Behörden passiert sind, wurde ausgespart. Der Rechnungshof kritisiert vermeintliche Fehler vor neun Jahren. Aber nicht das Ministerium oder die Fördermittelverwaltungsstelle müssen dafür geradestehen, sondern der zivilgesellschaftliche Träger. Wenn das Schule macht, geht es vielen Vereinen an den Kragen. Solche Verfahren lassen sich überall konstruieren, egal ob im Kleingartenverein oder in der IT-Branche.

taz: Aber ist es nicht richtig, dass der Rechnungshof genau hinschaut, wie staatliche Gelder verteilt werden?

Karadeniz:Natürlich! Mich stört nur, dass Kritik nicht produktiv formuliert wird. Wir sind eine junge, lernende Organisation. Der Dachverband ist 2017 von Menschen aufgebaut worden, die in erster Generation nach Deutschland eingewandert sind, kein „Systemwissen“ haben und für die die deutsche Bürokratie sehr herausfordernd ist. Sie haben sicher nicht aus krimineller Energie heraus gehandelt. Anstatt das jahrelange Engagement wertzuschätzen und zivilgesellschaftliche Akteure zu befähigen, hat der Rechnungshof einen vernichtenden Schlag vorbereitet. Und das, so meine Wahrnehmung, mit politischer Intention.

taz: Mit welcher?

Karadeniz:Das kann ich nur mutmaßen. Aber ich habe im Laufe des Verfahrens immer wieder festgestellt, dass in den sächsischen Institutionen eine Art vorauseilender Gehorsam und große Angst herrscht: möglichst keine Angriffsfläche bieten, sich selbst aus der Schusslinie ziehen, die Konsequenzen des eigenen Handelns bzw. Nichthandelns aber bedauern.

taz: Wie haben andere Vereine und Verbände in Sachsen auf ihren Fall reagiert?

Foto: Mehmet Arba

Özcan Karadeniz ist Referent für Community Outreach beim Deutschen Zentrum für Integrations- und Migra­tionsforschung e. V. Bis April 2024 führte er den Dachverband von 66 migrantischen Organisationen aus Sachsen.

Karadeniz:Wir haben viel Zuspruch bekommen, auch öffentlich. Aber vielen Vereinen macht unser Fall Angst. Sie fürchten, dass sie die Nächsten sind, denen so etwas passiert.

taz: Wie geht es für den Dachverband weiter?

Karadeniz:Mit der Insolvenz mussten wir alle Mitarbeiter entlassen, als Träger sind wir verbrannt. Einige Engagierte arbeiten aber bereits an der Gründung eines neuen Dachverbands. Den autoritären Tendenzen in Sachsen muss etwas entgegengesetzt werden. Dafür braucht es engagierte Migrant*innen. Wir lassen uns nicht entmutigen!

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