Bericht zur Flutkatastrophe im Ahrtal: „Massive Versäumnisse“ des Landrats

Der Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses in Rheinland-Pfalz ist fertig. Regierungsmehrheit und Opposition sind sich nicht einig.

Wohnwagen türmen sich in der Ahr

Altenahr nach der Flutkatastrophe Juli 2021 Foto: Boris Roessler/dpa

MAINZ taz/dpa/epd | Nur der Landrat ist schuld! Das ist die zentrale Botschaft des am Freitag veröffentlichten Abschlussberichts des rheinland-pfälzischen Untersuchungsausschusses zur Flutkatastrophe im Ahrtal 2021.

In seinem mit den Stimmen der rot-grün-gelben Ausschussmehrheit beschlossenen Fazit benennt der Bericht „massive Versäumnisse des Landkreises bzw. des damaligen Landrats des Kreises Ahrweiler“. Diese hätten „in der Folge den Verlauf und die Folgen dieser in der Geschichte des Landes einmaligen Naturkatastrophe negativ beeinflusst“. Der Landesregierung seien danach hingegen keine Versäumnisse anzulasten.

„Die Flutkatastrophe vom 14. und 15. Juli 2021 ist die größte Naturkatastrophe, die unser Bundesland seit seiner Gründung am 30. August 1946 ereilt hat“, hält der 2.097 Seiten umfassende Bericht fest. 136 Menschen hätten ihr Leben lassen müssen, viele weitere seien verletzt worden, unzählige hätten ihr Hab und Gut verloren.

Die psychischen Belastungen hallten bis zum heutigen Tage und auch in der weiteren Zukunft nach. „Unser Bundesland wurde an diesen beiden Tagen und in jener Nacht bis ins Mark getroffen“, formuliert der Untersuchungsausschuss. Diese Naturkatastrophe werde „für immer im kollektiven Gedächtnis unseres Landes bleiben“.

Der Bericht betont, dass das Ereignis in seinem Ausmaß und seiner Einzigartigkeit „so gut wie unvorhersehbar“ gewesen sei. Es sei selbst bundesweit beispiellos gewesen, dass teils meterhohe Wellen durch ein Flusstal schossen. Die Katastrophe sei auch „aufgrund einer Vielzahl von Gründen wie beispielsweise Stromausfällen, Funkausfällen, Meldelücken und vielem mehr in seiner tatsächlichen Dimension außerhalb der direkt betroffenen Regionen lange Zeit nicht erfassbar“ gewesen.

Die Frage der Verantwortung

Der U-Ausschuss hebt darüberhinaus hervor, dass der Landtag als Konsequenz eine Enquete-Kommission eingesetzt habe, die „Zukunftsstrategien zur Katastrophenvorsorge“ entwickeln soll.

In dieser Bewertung sind sich die Ampelparteien noch mit der Landtagsopposition einig. Doch wer die Verantwortung dafür trägt, dass die Folgen der Flut nicht abgemildert werden konnten, da scheiden sich die Geister. Bedingt durch Verfehlungen von Ex-Landrat Jürgen Pföhler (CDU) sei es „nicht zu einer notwendigen Vorsorge im Vorfeld der Flutkatastrophe sowie angemessenen Reaktionen während dieser gekommen“, konstatiert die Ausschussmehrheit.

Ein Sachverständiger habe Pföhler einen „Systemsprenger“ genannt. Unter diesen Voraussetzungen könne „in der Gesamtschau“ nur der Schluss gezogen werden, „dass insbesondere auf den Ebenen, auf denen keine direkten Informationen vor Ort gesammelt werden konnten, bis hoch zur Landesregierung alle Handlungsoptionen vollumfänglich abgewogen und angemessen ausgeschöpft worden sind, die im Angesicht des verfügbaren Lagebildes möglich und angemessen waren“.

Auch wenn „mit dem Wissen von heute“ ab einem gewissen Zeitpunkt die Kommunikation in der Flutnacht auf verschiedensten Ebenen „in Qualität und Quantität unterdimensioniert“ gewesen wäre.

Widerspruch von den CDU-Vertreter:innen

Für die CDU-Vertreter:innen im Ausschuss ist das eine zu unterkomplexe, weil interessensgeleitete Sicht der Dinge. „Das große Aufklärungsversprechen von Regierung und Regierungsfraktionen erschöpfte sich im ausgestreckten Zeigefinger auf den Landrat des Landkreises Ahrweiler und den vorgeblichen örtlichen Missständen“, schreiben sie in einem Minderheitsvotum.

„Genau dieser Korpsgeist schwächt offenkundig die Bewertung der Beweisergebnisse“, so die CDU-Abgeordneten Dirk Herber, Marcus Klein und Anette Moesta. Es sei „unredlich (…), sich als Landesregierung hinter der unentschuldbaren Verantwortungsverweigerung des Landrates Pföhler (CDU) zu verstecken, um das eigene Führungsversagen, das Desinteresse und die Fehler zu kaschieren.“

Scharf kritisieren die drei christdemokratischen Ausschussmitglieder, dass die damalige Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD). „Die fehlende Einsicht und Entschuldigung für ihre individuelle und politische Verantwortung werden als große menschliche Schwäche mit ihrer Amtszeit verbunden bleiben und als fortgesetztes Versäumnis die Ampelregierung schwer belasten“, heißt es in ihrem Minderheitsvotum.

Fülle an Zeu­g:in­nen und Material

Der Untersuchungsausschuss des Landtags war auf Antrag der oppositionellen CDU-Fraktion mit den Stimmen von CDU, AfD und Freien Wählern bei Stimmenthaltung der Regierungsfraktionen von SPD, Grünen und FDP am 22. September 2021 beschlossen worden.

Vom 1. Oktober 2021 bis zum Ende der Beweisaufnahme am 16. Februar 2024 vernahm der Ausschuss in 46 Sitzungen 226 Zeu­g:in­nen sowie 23 Sachverständige, einige davon mehrfach. In elektronischer Form lagen ihm mehr als eine Million Dateien mit einem Umfang von insgesamt rund 560 Gigabyte vor.

„Alle entscheidenden Aspekte rund um die schlimmste Naturkatastrophe in der Geschichte des Landes“ seien „umfassend beleuchtet“ worden, betont der Ausschuss. Trotz der Komplexität der Gründe und der Folgen der verheerenden Flutkatastrophe hätten offene Fragen „grundsätzlich schnell und sachlich fokussiert geklärt werden“ können.

Im Zusammenhang mit der Aufarbeitung der Flutkatastrophe waren die frühere rheinland-pfälzische Umweltministerin und spätere Bundesfamilienministerin Anne Spiegel (Grüne) sowie Innenminister Roger Lewentz (SPD) aus unterschiedlichen Gründen zurückgetreten. Über den Ausschussbericht wird der rheinland-pfälzische Landtag nach der Sommerpause im September diskutieren.

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