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Eine Frage auf Leben und Tod

Gundula Pohl erforscht das Selbstbild Anna Schlotterbecks, die 1953/54 in Hohenschönhausen inhaftiert war

Von Katja Kollmann

„Klar hast du manchmal die Faxen dicke, sagt Frieder, „und möchtest am liebsten den ganzen Krempel hinschmeißen. Aber dann wäre alles vorher umsonst gewesen, dann hätte diese ganze Nazi-Scheiße doch gesiegt. Der Preis wär zu hoch. Wir müssen uns eben am eigenen Zopf aus dem Sumpf ziehen. Und weitermachen.“ Christa Wolf lernt Friedrich und Anna Schlotterbeck 1962 in Potsdam kennen, ist gerne im Garten der beiden zu Gast und verewigt die um dreißig Jahre älteren Freunde in ihrem Tagebuch.

Friedrich und Anna sind Altkommunisten, waren beide im Widerstand und sind 1948 in die sowjetische Besatzungszone übergesiedelt. Als die Jungschriftstellerin das Paar im Einfamilienhaus besucht, liegt deren Stasi-Haft schon einige Jahre zurück. Die Schlotterbecks sind wieder anerkannte SED-Genossen und Wolf notiert sich, dass Anna mit spürbarer Genugtuung ihr Leben genoss und sagte: „Jeden Abend denke ich beim ersten Glas Sekt an die Schweinehunde, die sich schwarz ärgern würden, wenn sie sehen könnten, dass wir leben und dass wir es uns gut sein lassen. Und an die, die es wissen und sich auch schwarz ärgern, dass sie uns nicht mehr an den Wagen fahren können.“

1968 schreibt Anna Schlotterbeck ihre Hafterinnerungen nieder. Veröffentlicht werden sie erst 1990, 18 Jahre nach ihrem Tod. Junghistorikerin Gundula Pohl hat sich diese und Schlotterbecks Stasi-Akte im Rahmen eines wissenschaftlichen Volontariats an der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen gründlich angeschaut. Anna Schlotterbeck war an diesem Ort, bis 1989 zentrales Untersuchungsgefängnis des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), in den Jahren 1953/1954 inhaftiert. Zum Verhängnis wird ihr in der stalinistischen DDR ihre Zeit im Schweizer Exil, wo sie sich ab 1937 vor allem in der Hilfsorganisation Centrale Sanitaire Suisse engagiert, die kommunistische und andere Geflüchtete unterstützt. Ihr damaliger Kontakt zu dem US-Amerikaner Noel Field macht sie in den Augen der SED und des MfS verdächtig. Field war ab 1941 Leiter des „Unitarian Service Committee“, das KommunistInnen vor der Auslieferung an die Gestapo bewahrte, und wird 1949 in Prag verhaftet. Die Schlotterbecks sind nicht die einzigen, die in diesem Zusammenhang 1951 aus der SED ausgeschlossen werden und danach in die Mühlen der Staatssicherheit geraten.

Pohl interessiert sich in ihrem Text, dem ersten Band der Reihe „Studien aus Hohenschönhausen“, für die Eigenwahrnehmung Anna Schlotterbecks. Aus den erhaltenen Briefen, den zwei Berufungsanträgen und ihren Hafterinnerungen spricht Selbstbewusstsein. Ihre Perspektive ist die eines SED-Mitglieds, das Rechte einfordert, Verfahrensmängel scharf kritisiert und letztlich das Absurde der Anklage offenlegt. Zugleich lieferte Schlotterbeck als überzeugte Stalinistin bewusst GenossInnen aus, bis auch sie und ihr Ehemann Friedrich der Parteisäuberung zum Opfer fielen.

Frappierend ist, dass Schlotterbeck den Fehler nicht im System sucht, sondern bei einzelnen Individuen, so ihren Vernehmern: „Das waren keine Genossen.“ „Ich bin kein Parteifeind“, beschwört sie 1952 in einem Brief Walter Ulbricht. Für sie ist „Der Ausschluss aus unserer Partei eine Frage auf Leben und Tod.“

Anna Schlotterbeck als Phänomen ihrer Zeit in ihrer ganzen Ambivalenz erfahrbar zu machen, ihren Selbstzeugnissen zu vertrauen und sie dabei nüchtern zu sezieren, darin liegt der wichtige Mehrwert dieser gut 100-seitigen Broschüre. Die bewegendste Schlotterbeck-Frage ist die: „Warum schweigen denn heute die Genossen, die uns jahrelang versicherten, dass wir ihnen das Leben retteten?“ Walter Ulbricht gibt darauf keine Antwort.

Gundula Pohl: „Ich bin kein Parteifeind! Anna Schlotterbeck in den Mühlen der stalinistischen Parteisäuberungen“. Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, Berlin 2024. 104 Seiten, 19,90 Euro

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