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Neustart in KatalonienZum Glück raus aus der Sackgasse

Reiner Wandler
Kommentar von Reiner Wandler

Carles Puigdemont verzichtet auf den großen Auftritt im Parlament – gut so. Jetzt können sich beide Seiten auf den Weg nach vorn konzentrieren.

Un­ter­stüt­ze­r:in­nen von Puigdemont in Barcelona Foto: Lorena Sopena/reuters

E s war ein Tag voller Widersprüche, der in die Geschichte Kataloniens und auch Spaniens eingehen dürfte. Der von Madrid 2017 abgesetzte Präsident der katalanischen Autonomieregierung, Carles Puigdemont, kehrt nach knapp sieben Jahren im Exil zurück, redet vor Tausenden Anhängern in der Innenstadt Barcelonas und verschwindet, bevor er verhaftet werden kann.

Das Autonomieparlament macht in den Stunden darauf den Sozialisten Salvador Illa, der für den Verbleib bei Spanien eintritt, zum neuen Präsidenten – und das mit den Stimmen eines Teils der Unabhängigkeitsbewegung.

Katalonien lässt den Versuch, sich von Spanien loszulösen, hinter sich. Alle haben dazu beigetragen: die in Madrid regierenden Sozialisten unter Ministerpräsident Pedro Sánchez mit einer Amnestie für die Unabhängigkeitsaktivisten von 2017, aber auch die beiden Unabhängigkeitsparteien Republikanische Linke Kataloniens und Puigdemonts Gemeinsam für Katalonien. Puigdemont verzichtete klugerweise darauf, die Wahl von Illa durch seine Anwesenheit zu durchkreuzen.

Es ist ein sensibler Neuanfang. Noch ist die Amnestie nicht für alle umgesetzt. Manche Richter versuchen mit allerlei juristischen Winkelzügen, die Straffreiheit unter anderem für Puigdemont zu verhindern. Der katalanische Politiker dürfte sicher verhaftet werden, wenn er der Polizei noch in die Fänge geht. Es liegt dann am Verfassungsgericht, der Amnestie zum Durchbruch zu verhelfen.

Die Regierung in Madrid ist in einer schwierigen Lage. Sie regiert per Minderheitsregierung dank der Unterstützung baskischer und katalanischer Unabhängigkeitsparteien. Nur so konnte in Madrid eine Regierung der Rechten zusammen mit Rechtsextremen verhindert werden. Auch der neue katalanische Präsident Illa hat jetzt einen Teil der Unabhängigkeitsbewegung eingebunden. Er hat mit der Republikanischen Linken Kataloniens ein neues Finanzierungsmodell für Katalonien ausgehandelt, das dem, was die Basken seit Jahrzehnten haben, sehr nahe kommen wird.

Gegenseitige Abhängigkeiten

Viele andere Regionen laufen dagegen Sturm. Sie befürchten, dass sie weniger Zuwendungen vom Zentralstaat bekommen, wenn dieser nicht mehr über die Gelder aus dem reichen Katalonien verfügt.

Die Beziehungen Zentralspaniens und Kataloniens beruhen auf gegenseitigen politischen Abhängigkeiten. Das sieht auf den ersten Blick fragil aus, zeigt aber, dass nur gemeinsam ein Weg nach vorn möglich ist. Starre Haltungen und Repression gegen unliebsame Politiker auf der einen und einseitige Maximalforderungen auf der anderen Seite führten in eine Sackgasse, bei der alle nur verloren. So sehen wohl Epochenwechsel aus.

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Reiner Wandler
Auslandskorrespondent Spanien
Reiner Wandler wurde 1963 in Haueneberstein, einem Dorf, das heute zum heilen Weltstädtchen Baden-Baden gehört, geboren. Dort machte er während der Gymnasialzeit seine ersten Gehversuche im Journalismus als Redakteur einer alternativen Stadtzeitung, sowie als freier Autor verschiedener alternativen Publikationen. Nach dem Abitur zog es ihn in eine rauere aber auch ehrlichere Stadt, nach Mannheim. Hier machte er eine Lehre als Maschinenschlosser, bevor er ein Studium in Spanisch und Politikwissenschaften aufnahm. 1992 kam er mit einem Stipendium nach Madrid. Ein halbes Jahr später schickte er seinen ersten Korrespondentenbericht nach Berlin. 1996 weitete sich das Berichtsgebiet auf die Länder Nordafrikas sowie Richtung Portugal aus.
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4 Kommentare

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  • Puigdemont hat jetzt Theater gemacht, das darf dann auch reichen, jetzt kann seine Partei und er gucken, was für die Menschen gewünscht wird.



    Da sind viel mehr mit dem Rest Spaniens solidarisch, als er glauben mag. Respekt auch für Katalonien einfordern und dort soziales Vorbild sein, sollte mehr wert sein als irreale Spalterspielchen, die in den Zeiten der EU und mit einer progressiven Regierung nicht so dran sind.

  • Ich finde man sollte bei dieser Geschichte auch beachten, dass belgische Gerichte die Auslieferung an Spanien abgelehnt haben aus rechtlichen Gründen.

    • @Peter Schütt:

      Er ist eingereist, und wenn er sicher gehen will, nimmt er sich den SEAT nach Brüssel zurück. Das hat mit der Regelung am Ort recht wenig zu tun.

    • @Peter Schütt:

      Belgische Gerichte haben die Auslieferung wegen eine Putsches abgelehnt und hätten die Auslieferung wegen Untreue vorgenommen. Dann hätte Spanien auch nur wegen Untreue anklagen dürfen. Da man das damals nicht wollte hat Spanien das Auslieferungsgesuch zurück gezogen.

      Wegen Untreue hätte Belgien damals jederzeit ausgeliefert. Ebenso Deutschland.