: Feinde der Emanzipation
Die Christopher Street Days sind öffentliche Aufzüge queerer Selbstdarstellung. Parolen wie „Queers for Palestine“ wollen diese Paraden bewusst spalten. Ein Essay
Von Jan Feddersen
Die Kölner CSD-Szene sollte aufgemischt werden, in anderen Städten wird dies auch der Fall sein; in Berlin treffen sich die linken Queers ohnehin immer separat, viele Jahre beim Alternativen CSD in Kreuzberg, gern die Verbrennung einer israelischen Fahne inklusive, aber auch jetzt: Der große Berliner CSD am 27. Juli soll durch eine Kultur gestört werden, die in der Formel gebündelt ist, die man inzwischen landläufig auf Transparenten zu sehen bekommt: „Queers for Palestine“. Jene, die sich hinter diesem Schild sammeln, sind, man muss es so deutlich sagen, Feinde schwuler, lesbischer und trans’Emanzipation.
Sie dämonisieren Israel, sie behaupten, das LGBTI*-Leben in diesem jüdischen Land, besonders in Tel Aviv, sei eine Marketingaktion des zionistischen Staates, um davon abzulenken, dass es sich in Wahrheit um eine Strategie gegen Palästinenser handelt. Die einschlägigen Stichworte in den intellektuellen Foren heißen: Homonationalismus und Pinkwashing. Oder um es mit der faktisch antihomosexuellen Theoretikerin Judith Butler zu sagen, wie sie es auf einer Konferenz in Paris nach dem Massaker der Hamas am 7. Oktober an Menschen in Israel sinngemäß formulierte: Verfolgung von Schwulen und Lesben und Trans im Gazastreifen und in der Westbank? – Weiß man’s?
Die Strategien der mit methodischer Skepsis angereicherten Hetze gegen Leid und Schmerz von Opfern, zum Beispiel jener vom Musikfestival in der Nachbarschaft des Gazastreifens, das auch ein CSD-Fest hätte sein können, kannte man sonst klassisch nur von Rechten: Was beklagen die sich? Gab es das wirklich? Oder ist das nicht eine Strategie, um vom Kampf für Selbstbestimmung der terroristischen Hamas und ihren Auslöschungsfantasien gegen Israel abzulenken?
Die Freundinnen* von Butler erinnern mich an Debatten etwa im Vorfeld des Evangelischen Kirchentags in Hamburg, es war das Jahr 1981. Geplant war der zweite CSD in Hamburg – der hieß noch „Stonewall Parade“, war faktisch jedoch ein politisch gesinnter Umzug von Schwulen, Lesben und einigen trans Menschen –, und im Koordinierungsgremium saßen auch Menschen, schwule Männer überwiegend, der DKP-nahen Homovereinigung. Sie äußerten sich skeptisch beziehungsweise fragten, ob es im Jahr der Friedensbewegung wirklich so eine Demonstration im Zeichen „Stonewalls“ bräuchte, das für die Riots im Sommer 1969 in New York City stand? Sollten nicht auch Schwule und Lesben für das große Ganze kämpfen, nicht partikular „nur“ (wie sie sagten) für ihre Agenda?
Die Sache war also die, dass wir als CSD-Organisatorinnen* auf uns aufmerksam machen wollten, etwa auf den Umstand, dass es noch den Strafrechtsparagrafen 175 gegen schwule Männer gibt und dass es für uns auf Sichtbarkeit ankommt, damit unsereins nicht immer nur „mitgemeint“ ist. Der Hauptwiderspruch sollte aber gelten, also der Kampf gegen die Nato-Nachrüstung, einige werden sich erinnern.
Wir aber sagten: Ein Homoparade kann nur für sich selbst einstehen und würden wir verzichten, wären wir wieder nur unsichtbar. Wie man inzwischen weiß, war die Nachrüstung der Nato ein ausschlaggebender Faktor, dass das totalitäre (und homo- wie auch transphobe) System der Sowjetunion und ihrer Satellitenstaaten zum Einsturz kommen konnte, totgerüstet sozusagen. Und wir machten unsere Demo trotz friedensbewegter „Mahnungen“ – es wurde für viele Jahre der größte Umzug queerer Menschen (wie man heute sagen würde), 3.500 Homos, Transmenschen und Freundinnen* – das hatte sich politisch gelohnt.
Wenn heute unter dem Banner „Queers for Palestine“ linksradikal und politisch horribel demonstriert wird, wenn deren Protagonistinnen* sagen, die Befreiung läge im Kampf gegen Israel, kann man nur antworten: Das trifft nicht zu. In der queeren Community Israels selbst existiert ein filigran verflochtenes Netz von Solidaritätshandeln mit queeren Menschen in Gaza und im Westjordanland. Israel ist für viele schwule und lesbische und trans Menschen ein Zufluchtsland, kein Staat, den sie fürchten müssen – gäbe es nicht die Hamas.
Man muss die „Queers for Palestine“ also nehmen als das, was sie sind: Lügnerinnen* und Feinde der queeren Frage. Sie würden vermutlich noch im Nationalsozialismus behauptet haben, dass das völkische Deutschland LGBTI*-Menschen nur gut täte, würden sie endlich einsehen, dass das NS-System auch für sie das Beste ist – was im Übrigen viele ja auch taten: Es gab homosexuelle und trans Menschen, die mit dem Deutschland der Jahre 1933 bis 1945 kein Problem hatten.
Eine queere Bewegung, die diesen Namen verdient, ist keine linke Bewegung, sie nimmt sich auch nicht als Nebenwiderspruch wahr. Auf CSDs stehen gemeinsame Interessen in queerer Hinsicht im Mittelpunkt, früher der Kampf für die Entbiologisierung des Eherechts, also die Ehe für alle, für die Tilgung des Strafparagrafen 175, für ein Adoptionsrecht auch Homosexueller, für eine Reform des Transsexuellengesetzes, für anderes, das konkret LGBTI*-Menschen im Alltag hilft.
Das heißt, eine LGBTI*-Bewegung umfasst alle politischen Weltanschauungen, die nicht ausgesprochen nazihaft sind oder islamistisch. Alle sind willkommen – auch CDU-Homos, selbstverständlich, oder solche der FDP. Wer sagt, politisch werde der CSD erst durch einen besonders politischen Anstrich – etwa zum Klimawandel, zur Gerechtigkeitspolitik etc. –, verkennt darüber hinaus das Politische in einem CSD an sich: Die Präsenz von queeren Menschen in aller Öffentlichkeit. Ich kann das beurteilen, ich bin alt genug: Das ist im Vergleich mit meinen Coming-out-Jahren in den späten Siebzigern ein Unterschied ums Ganze.
Ein CSD wie nun in Berlin oder vorher in Köln, also in einer demokratischen Gesellschaft, definiert seine Wichtigkeit über sich selbst, nicht über Fragestellungen, die Queeres nicht automatisch oder ideologisch unmittelbar berühren. Wertgeschätzt werden von diesem, wenn man so will, freiheitlich-demokratischen CSD-Bündnis alle Länder auf der Welt, in denen wir geschützt sind. Also: Israel, nicht das realexistierende Palästina der Hamas. Die USA, nicht das strukturell strikt homophobe Russland. Also die iranische Queer-Community, nicht den Iran und seine Horrorreligionswächter.
Eine Bürgerrechtsbewegung muss niemals fragen, wer die Freunde und Freundinnen sind, das weiß sie auf Anhieb – sie weiß auch, wo die Feinde sind: Im Iran und den von ihm beeinflussten Gebieten, in Syrien, Libanon, Gaza, Saudi-Arabien und den meisten arabischen Staaten. „Queers for Palestine“, wollen sie keinen Ausschluss von CSDs riskieren, müssen sich dafür verwenden, für Israel einzustehen. Sie müssen sich dafür einsetzen, dass Schwule nicht getötet werden, weil sie sind, was sie sind. Queere Politik heißt, auf eigene weltanschauliche Aspekte im demokratischen Spektrum keine Rücksicht zu nehmen, wichtig ist einzig: Schwule und Lesben und trans Menschen und ihre Leben dürfen nicht bedroht sein, nirgendwo.
Jan Feddersen, Jahrgang 1957, war beim ersten deutschen CSD in Bremen 1979 dabei und organisierte die CSDs 1980 und 1981 mit. In Berlin war er in den Jahren 2005 bis 2009 beim CSD e. V. Politischer Koordinator des Zivilcouragepreises.
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