Sprecher über Clubkultur in der Ukraine: „Eigenständigkeit unserer Kultur“

Die Kyjiwer Clubkultur machte sich gerade einen Namen, als der Krieg kam. Ein Gespräch mit Andrii Yankovskyi über kurze Nächte und volle Tanzflächen.

Eine Frau tanzt, sie steht im Rampenlicht

Tanzen im HVLV-Club in Kyjiw: nach Kriegs­beginn gab es viele Solipartys für die Ukraine, das ebbt aber ab Foto: Ed Ram/getty images

wochentaz: Andrii Yankovskyi, Sie sind Sprecher von UNight, einem Verband der Kyjiwer Clubszene. Kann man gerade überhaupt von einem Nachtleben in der Ukraine sprechen?

Andrii Yankovskyi: Es gibt wegen des Kriegs momentan noch die Sperrstunde um Mitternacht, es sind also eher kurze Nächte. Aber ja, die Szene entwickelt sich weiter, und die Auswirkungen nach zweieinhalb Jahren Krieg sind drastisch. Gerade deshalb ist es wichtiger denn je, dass wir uns für die Clubkultur einsetzen.

Der Verband wurde erst im vergangenen Jahr gegründet. Wie würden Sie Ihre Arbeit beschreiben?

Nach der großangelegten russischen Invasion 2022 gab es viele Bemühungen, die Eigenständigkeit der ukrainischen Kultur zu betonen, von einer Ausstellung der Volkskünstlerin Maria Prymachenko bis hin zur Rettung alter Denkmäler. Wir glauben, dass auch die Clubkultur und die elektronische Musikszene ein Teil dieser Kultur ist, so wie sie zu vielen Kulturen weltweit gehört. Und dass die Szene daher auch entsprechend unterstützt und geschützt werden muss. Dafür wollen wir Geld sammeln und ein Bewusstsein schaffen. Dabei war die Berliner Clubcommission unser großes Vorbild.

Andrii Yankovskyi wurde 1993 in Kyjiw geboren. Er ist Sprecher von UNight, einem Zusammenschluss der Kyjiwer Clubszene, und Gründer des Kyjiwer Clubs HVLV. Er ist zudem Teil des Kollektivs Bass Resistance, das durch Solipartys bislang mehr als 21.000 Euro für humanitäre Hilfe in der Ukraine gesammelt hat. Das Kollektiv tourte zuletzt Anfang Mai durch Europa. Yankovskyi lebt seit der russischen Invasion im Februar 2022 in Berlin.

Vor der russischen Invasion im Februar 2022 war Kyjiw auf dem Weg, sich einen internationalen Ruf zu erarbeiten.

Absolut. 2021 war eigentlich das beste Jahr überhaupt. Viele im Westen entdeckten damals die Szene überhaupt erst, unsere Künst­le­r*in­nen wurden erstmals international anerkannt. Die Ukraine war eines der ersten Länder, das nach der Covidpandemie wieder öffentliche Veranstaltungen zuließ – und hier gibt es gute Clubs wie „∄“ und „Closer“ mit Top-Soundsystemen und talentierten Residents. So wurde Kyjiw bald zu einem Mekka für Club­be­su­che­r*in­nen. Die Billigflieger aus Westeuropa heißen bei uns Marschrutkas, die Flüge zwischen Berlin und Kyjiw haben fast nur noch Raver transportiert. Das Brave!-Factory-Festival zog in dem Jahr rund 10.000 Gäste an. Ich hatte einige Freun­d*in­nen in Westeuropa, die eigentlich nach Kyjiw ziehen wollten.

Und dann begann am 24. Februar 2022 Russland, die Ukraine zu überfallen, nicht nur die Clubszene lag brach. Wie ist die Stimmung in der Szene zwei Jahre später?

Um ehrlich zu sein: mau. Die Clubs haben zwar wieder geöffnet und veranstalten Partys tagsüber wegen der Sperrstunde. Die Eintrittsgelder werden in der Regel an Armeeeinheiten an der Front gespendet. Weil wir wollen, dass dieser Krieg so bald wie möglich vorbeigeht und unsere Freunde heil und gesund aus dem Donbass wieder nach Hause kommen. Einige DJs kämpfen im Krieg, mehrere Bekannte von mir sind leider ums Leben gekommen.

Hinzu kommt das neue Mobilisierungsgesetz: Männer ab 25 Jahren müssen sich erneut beim Militär registrieren, damit sie womöglich mobilisiert werden können. Was macht das mit der Szene?

Das führt zu viel Unsicherheit: Wir wissen noch nicht, wer eingezogen wird und wer nicht. Das wird viele Clubs betreffen. Und es kommen jetzt schon immer weniger Gäste, auch wenn das der Fall in vielen Ländern ist. Das Mobilisierungsgesetz wird sicherlich diesen Trend fortsetzen.

Mit welchen Auswirkungen?

Große Clubs wie ∄ haben nach wie vor eine volle Tanzfläche jedes Wochenende. Aber eine Clubszene ist wie ein Ökosystem, das aus großen und kleinen Locations besteht. Wir brauchen die kleineren Läden, um unsere Künst­le­r*in­nen organisch wachsen zu lassen, damit sie eines Tages Headliner werden können. Und dafür brauchen wir die Gäste. Aber es fehlt inzwischen auch an Managern und Lightshow-Spezialisten, an anderen wichtigen Leuten, die eine Szene am Laufen halten. Deshalb organisieren wir zum Beispiel jetzt auch Workshops für die nächste Generation.

Einen dieser kleineren Läden, HVLV, betreiben Sie. Wie halten Sie sich finanziell über Wasser?

Auch wir spenden den Eintritt an Einheiten an der Front. Wir können unser Team unterstützen und die Gehälter gerade noch zahlen, Gewinn gibt es aber nicht. Wir suchen noch nach Fördergeldern, in der Ukraine gibt es aber so was für die Clubkultur nicht. Stattdessen müssen wir Partnerschaften mit Alkoholmarken eingehen, was wir früher nicht getan haben.

2021 attackierten vermummte Hooligans Ihren Club mit Pfefferspray und Schlagstöcken, sie skandierten dabei rechtsextreme und homofeindliche Parolen. Auch andere Clubs wurden zum Ziel.

Sie haben unsere Fenster zerschlagen und behaupteten, dass hier mit Drogen gehandelt werde und unser queeres Publikum Kinder zu Dämonen machen würde, die üblichen Narrative von Rechtsaußen. Sie griffen einige unserer Mit­ar­bei­te­r*in­nen an. Das war auch einer der Gründe, warum die Clubszene begann sich zu vernetzen, und ein Impuls für die Gründung von UNight, aber die russische Invasion 2022 kam erst mal dazwischen. Ob das wirklich Nazis waren oder bezahlte Schläger, die irgendwelche Businessinteressen hier im Viertel durchsetzen wollen, bleibt Spekulation. Handfeste Beweise haben wir nicht.

Wie geht die ukrainische Clubszene mit russischen DJs und Labels um?

Es gibt Aktivist*innen, die europaweit Party- und Festival-Lineups beobachten, um zu schauen, ob Künst­le­r*in­nen, die russisch sind oder Russland weiterhin unterstützen, dort spielen. Sie kontaktieren die Promoter*innen, um sie wieder auszuladen. Und natürlich wollen viele von uns mehr ukrainische Namen auf internationalen Programmen sehen.

Finden Sie den Boykott russischer Künst­le­r*in­nen richtig?

Ich kann hier nicht für UNight sprechen, sondern nur für mich selbst.

Okay.

Ich würde am liebsten niemanden nach der Farbe seines oder ihres Passes beurteilen, weil wir uns nicht aussuchen können, wo wir geboren werden. Aber wir haben uns diesen Krieg auch nicht ausgesucht. Wer noch in Russland bleibt oder dorthin reist, um aufzulegen, trägt zu ihrer militaristischen Wirtschaft bei. Und das ist eine persönliche Entscheidung, die Konsequenzen haben sollte.

Haben Sie seit der russischen Invasion überhaupt Solidarität von den elektronischen Musikszenen im Ausland erfahren?

Es gab zunächst immer wieder Soli­partys für die Ukraine, auch in Berlin. Aber das Interesse ebbte wieder ab. Ich finde es unfair, wenn manche Leute von der Ukraine nun gelangweilt werden. Heute geht es in der internationalen Szene primär um Palästina. Wir leben in einer Zeit, in der sich die Krisen einfach häufen. Aber wir dürfen die Ukrai­ne nicht vergessen.

Wie reagierte die Kulturbranche?

Zu Beginn des Krieges war kulturell tatsächlich viel los. Es gab neue Künstler*innen, neue Projekte, neue Musik. Aber das ändert sich nun langsam. Die Menschen werden ärmer, weil die Wirtschaft ziemlich isoliert ist. Viele haben zudem das Land verlassen. Die Situation an der Front wird immer komplizierter, und die Stimmung ist nicht sehr gut im Moment.

Wofür steht die Clubszene in der Ukraine?

Es ist natürlich auch ein Business. Aber wir sind darin vereint, dass wir für demokratische Werte, Menschenrechte, die queere Community, Feminismus und Frieden einstehen. Insofern ist die ukrainische Szene so wie viele andere interna­tio­nale Szenen schon politisch.

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