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Baupläne am MolkenmarktLasst es besser bleiben

Andreas Hergeth
Kommentar von Andreas Hergeth

Der Molkenmarkt gilt als „toter Ort“. Und ist das schlimm? Berlin hat genug andere Plätze und Quartiere, in die der Senat investieren sollte.

So sah es hier ab 2019 und auch letztes Jahr noch aus: Ausgrabungsarbeiten am Molkenmarkt in der historischen Mitte Berlins Foto: picture alliance/dpa/Britta Pedersen

H and hoch, wem der Molkenmarkt ein Begriff ist. Sicher nicht allen Berliner:innen. Schon gar nicht der Schar derer, die der Stadt nur einen Besuch abstatten. Die wollen meist zum Alex, zum Brandenburger Tor oder zum Kudamm, um nur mal drei Beispiele massenkompatibler Sehenswürdigkeiten zu nennen. Aber zum Molkenmarkt?

Okay, es handelt sich um den ältesten Platz Berlins, der früher mal „Alter Markt“ hieß – was darauf hindeutet, dass hier einst mehr los war als nur Verkehr und Parkplatz und derzeit viel, sehr viel Bautätigkeit. Letzteres seit Jahren schon, denn Straßenzüge werden verlegt beziehungsweise zurückgebaut, um den Molkenmarkt und das ihn umgebende Quartier in einer an die ursprüngliche Platzgeometrie angelehnten Form zu bebauen. Außerdem sollen am Molkenmarkt rund 450 Wohnungen entstehen. Tipp fürs Wochenende: Gehen Sie da mal hin und machen sich Ihr eigenes Bild.

Wahrscheinlich kommen Sie dann zur gleichen Erkenntnis wie Georg Raiser von der Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM). Er hat am Montagnachmittag an der Sitzung des Baukollegiums teilgenommen. Raiser nannte den Molkenmarkt einen „toten Ort“ –und hat absolut Recht damit.

Das Baukollegium ist ein Gremium, das die Senatsverwaltung in städtebaulichen Fragen berät. Es soll dabei helfen, aus dem „toten Ort“ Anfang des kommenden Jahrzehnts „ein gemischtes Stadtquartier“ entstehen zu lassen. Raiser mahnte ebenfalls an, nicht zu unterschätzen, wie groß die Herausforderung sein wird, den Ort mit Leben zu füllen. Heißt ja auch: Es ist ein Haufen Geld vonnöten, um dem Areal Leben einzuhauchen. Aber immerhin, am Molkenmarkt gibt es die Alte Münze, ein begehrter Kulturstandort, aus dem sich leicht und schnell und halbwegs günstig viel machen ließe.

Hat Berlin nicht andere Sorgen?

Da stellt sich die vielleicht ketzerische Frage, ob das alles so sein muss – also diesen neu entstehenden Ort mit Leben zu füllen? Denn hat Berlin erstens nicht ganz andere Sorgen in Zeiten abnehmender Budgets, hat die Stadt nicht genug andere Baustellen? Marode Schulen und Infrastruktur, unterfinanzierte Kitas, Jugendclubs, Seniorentreffs …

Und gibt es zweitens in dieser riesigen Stadt, die bekanntlich viele Zentren hat, nicht eine Menge von vergleichbaren Orten und Quartieren, die längst „leben“? Warum also ein Karree wie den Molkenmarkt künstlich und mit viel Geld und Ressourcen aufpumpen, wenn es Ähnliches im ganzen Stadtraum gibt, wo mit weniger Einsatz Gleiches oder mehr erreicht werden könnte?

Man muss sich doch nur umschauen in den lebendigen, quirligen und ja, auch krass übernutzten Kiezen der Stadt, am Boxhagener Platz in Friedrichshain oder am Leopoldplatz im Wedding. Oder an der Hellersdorfer Promenade inmitten von Plattenbauen, wo man viel, sehr viel für die Aufenthaltsqualität machen könnte, um die sogenannte Verweildauer zu erhöhen (durch Cafés, Restaurants, kleine Läden, Vereinslokale, Beratungsstellen). Der Senat sollte lieber Geld in Orte investieren, wo man nicht fast bei Null anfangen muss.

Die Millionen wären dort besser angelegt als bei einem Platz, den viele eben doch nur als Verkehrsraum entlang einer der am stärksten befahrenen Ost-West-Verbindungen wahrnehmen. Und besser wird das laut Planung nicht wirklich: Statt der früheren Straßen mit maximal zwei bis drei Fahrstreifen pro Richtung sollen dann vier- bis sechsstreifige Straßenzüge angelegt werden – aber immerhin mit einer Straßenbahn auf einem eigenen und begrünten Gleiskörper. Der Molkenmarkt ist und bleibt wohl ein Platz zum Durchqueren. Also: Straßenumbau abschließen – das reicht.

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Andreas Hergeth
Redakteur & CvD taz.Berlin
In der DDR geboren, in Westmecklenburg aufgewachsen, Stahlschiffbauer (weil Familientradition) gelernt, 1992 nach Berlin gezogen, dort und in London Kulturwissenschaften studiert, 1995 erster Text für die taz, seit 2014 im Lokalteil Berlin als Chef vom Dienst und Redakteur für Kulturpolitik & Queeres.
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