Bürgerräte als neues politisches Mittel: Reale oder gefühlte Partizipation
Bürgerräte sollen den gesellschaftlichen Zusammenhalt fördern. Fraglich ist nur, ob echte Teilhabe in Massendemokratien überhaupt möglich ist.
S teffen Mau brachte sie kürzlich wieder in die Diskussion ein: Bürgerräte. Vor allem im Osten könnten sie politisch sinnvoll sein. Aber nicht nur dort – überall, wo die grundlegende Unzufriedenheit mit der Demokratie, die Entfremdung von den Institutionen, die soziale Wut bekämpft werden sollen, werden sie aus dem Hut gezaubert: Bürgerräte als neues politische Mittel gegen jenes Unbehagen, das den Rechten Aufwind verleiht.
Obwohl – so neu ist diese Vorstellung gar nicht. Seit der „partizipatorischen Revolution“ in den 1970er Jahren gilt diese Art der politischen Beteiligung als demokratisches Allheilmittel. Immer wenn es früher in Diskussionen um demokratische Teilhabe ging, erzählte jemand mit leuchtenden Augen von munizipalen Partizipationsmodellen in Südamerika. Da würde ein ganzer Ort zusammenkommen und gemeinsam entscheiden.
Die Vorstellung einer Vollversammlung aller Bürger, die gemeinsam über ihre kollektiven Angelegenheiten entscheiden, in der jeder zu Wort kommt ist zweifellos eine schöne Vorstellung. Aber sie geht an der Realität einer Massendemokratie vorbei. Man muss also die Frage stellen: Ist Partizipation unter den Bedingungen einer Massengesellschaft überhaupt möglich?
Entscheidend für diese Frage ist, dass nie klar unterschieden wird: Geht es bei Bürgerräten um eine reale Partizipation oder eine bloß gefühlte? Geht es um die objektive Realität der Entscheidungen, der harten Fakten, der messbaren Resultate? Oder geht es um die subjektive Realität der Partizipation – also das Gefühl, gehört und anerkannt zu werden?
Vernachlässigte Unterscheidung
Es ist kein Zufall, dass diese Unterscheidung vernachlässigt wird. Denn sowohl eine tatsächlich kollektive Entscheidungsfindung (vor allem auf lokaler Ebene) als auch die bloße „Befriedigung jenes prickelnden Triebs, seine eigene Meinung zu sagen“, wie Hegel es sehr anschaulich nannte – beides wird rein instrumentell verstanden: als Mittel, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu fördern.
„Bürgerräte erhöhen nachweislich die Zufriedenheit mit der Demokratie“, wie etwa der Politologe Marcel Lewandowsky kürzlich in der taz ungewollt verräterisch meinte. Verräterisch, denn damit wird allein die subjektive Zufriedenheit zum Ziel.
Genau in diese Kerbe schlug auch Emmanuel Macron anfangs mit seinem Konzept zur Erneuerung der Demokratie: Diese sollte an einer Neugestaltung der politischen Kommunikation mit den Bürgern genesen. Dazu dienten seine vielen Treffen überall im Land. Bürgerversammlungen im wahrsten Sinne, um die Leute vor Ort zu Wort kommen zu lassen.
Der Effekt dieses Konzepts ist nicht die tatsächliche Teilhabe an Entscheidungen, sondern etwas anderes: Diese Vorstellung einer massentauglichen direkten Demokratie bedarf einer Art von Räumen, die in klassischen Parteien nicht vorgesehen sind. Sie braucht Foren, wo Leute gehört werden, wo sie zu Wort kommen – das bedeutet immerhin eine gewisse Öffnung. Aber ohne dass damit eine reale Teilhabe an Entscheidungen einherginge.
Begegnung der Verschiedenen
Dieser neue Resonanzraum erschöpft sich also nicht in dem subjektiven Gefühl zu partizipieren – es ist auch ein neuer Ort der Begegnung. Denn anders als in Bezirksgruppen oder Parteisektionen treffen sich da nicht einfach Parteigenossen, um sich als Gleiche zu bestätigen – sondern vielmehr ganz verschiedene Einzelne.
Und genau an solchen Orten für die Verschiedenheit mangelt es. Und dennoch haftet solchen Bürgerräten etwas Therapeutisches an. Dass das nicht reicht, zeigt das Beispiel Macron.
Der Aufstand der „Gelbwesten“ hatte ihm seine Botschaft in verkehrter Form zurückgeschleudert. Denn die „Gelbwesten“ hatten Partizipation ganz anders buchstabiert: nicht als Dialog, sondern als vehementes Aufbegehren. Und selbst darauf reagierte Macron mit einem „grand débat national“, einer nationalen Debatte: Leute sollten landesweit ihre Beschwerden artikulieren und deponieren. In Gesprächskreisen, Beschwerdeheften und Wunschzetteln. Eine nationale Gesprächstherapie – die ganz offensichtlich fehlgeschlagen ist.
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