Schließung der Kinderheime rechtkräftig: Haasenburg gewinnt, Opfer allein

Das Urteil, wonach die Schließung der Kinderheime 2013 rechtswidrig war, wird nun rechtskräftig. Das Oberverwaltungsgericht lehnt Berufung ab.

Aussenansicht eines Kinder- und Jugendheims der Haasenburg GmbH in Brandenburg

Um die Perspektive der Opfer einzubringen, ist es jetzt zu spät Foto: imago

HAMBURG taz | Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg erlaubt im Prozess um die Haasenburg-Heime keine Berufung. Das gab das brandenburgische Ministerium für Bildung, Jugend und Sport (MBJS) bekannt.

Wie berichtet, hatte das Verwaltungsgericht Cottbus im November 2023 entschieden, dass die zehn Jahre zuvor erfolgte Schließung von drei Kinderheimen rechtswidrig war, und zugleich eine Berufung verboten. Das MBJS hatte im März dagegen beim OVG Beschwerde eingelegt, die wurde jetzt abgelehnt.

Das Urteil vom November war für betroffene ehemalige Bewohner der Heime erschütternd und für Beobachter unerwartet. Denn die selben Gerichte hatten vor zehn Jahren, als die private Heimfirma per Eilklage versuchte, die Schließung zu verhindern, dies abgelehnt und anders entschieden. Es spreche Überwiegendes dafür, dass das Wohl der dort untergebrachten Kinder und Jugendlichen nicht gesichert sei. Die Haasenburg GmbH betrieb drei Heime in Jessern, Neuendorf und Müncheberg mit 114 Plätzen, von denen ein Teil zur geschlossenen Unterbringung zählte.

Das Jugendministerium reagierte mit der Schließung auf den Bericht einer damaligen Untersuchungskommission, die auch mit früheren Bewohnern sprach. Als besonders kritisch sah die Kommission, dass die Kinder dort oft lange in einer „roten Phase“ mit wenig Rechten verbleiben mussten und es häufig zu körperlichen Zwangsmaßnahmen kam, „Anti-Agressionsmaßnahmen“ genannt. Brandenburgs Jugendministerin Martina Münch (SPD) erklärte die Haasenburg für „nicht reformierbar“, da es zu viele Mängel gebe.

Unterlagen der U-Kommission fanden kaum Beachtung

Doch in diesem Punkt kam das Verwaltungsgericht Cottbus im November 2023 anhand der Aktenlage zu einem anderen Ergebnis. Das Ministerium hätte dem privaten Heimbetreiber noch mal eine Chance geben können, statt Schließung hätten Auflagen genügt. Zum Maßstab nahmen die Richter allerdings nur die Zeit ab März 2013, wo die Haasenburg schon unter öffentlicher Beobachtung stand. Immerhin 115 Anti-Agressionsmaßnahmen (AAM) an Kindern und Jugendlichen hatte die Heimfirma sogar im Jahr 2013 an das aufsichtsführende Landesjugendamt gemeldet.

In den meisten Fällen aber, so die Cottbusser Richter in der Urteilsbegründung, handelte es sich um eine „akute Eigen- oder Fremdgefährdung“, welche die AAM erforderte. Beispiele führen sie nicht aus. Nur in vier Fällen sei das nicht eindeutig so gewesen, das reiche nicht für eine Schließung. Zwar gebe es einzelne Jugendliche, die sehr viele AAM erlebten und in dem Heim nicht passend untergebracht gewesen seien. Doch das zu verhindern, sei auch Sache der Gerichte und Jugendämter.

Dass sich das Gericht nur auf Dokumente der Haasenburg beruft, ist bemerkenswert. Hatte doch der Vorsitzende der Untersuchungskommission, der Psychologe Martin Hoffmann, seinerzeit gewarnt, deren Dokumenten könne man nicht trauen. Doch die Ergebnisse der Hoffmann-Kommission flossen in das Urteil kaum ein, da sich nur drei dort aufgeführten Vorfälle auf das Zeitfenster 2013 bezögen. Die Richter zitieren zwar aus dem Bericht die Aussage eines Jugendlichen, er sei über die Türschwelle gegangen und schon festgehalten und von vier Betreuern auf den Boden gelegt worden. Doch zu dem Fall gebe es keine passende Meldung des Heims und auch keinen Namen des Betreuers, sodass „keine weiteren Ermittlungsansätze“ bestünden.

Wenig Raum nimmt in der 100 Seiten langen Urteilsbegründung die Verteidigung des Jugendministeriums ein. Das MBJS war zuletzt „wegen des laufenden Verfahrens“ auch nicht bereit, der taz Fragen zu beantworten. Etwa, ob das Gericht neben der veröffentlichten Fassung des Untersuchungsberichts auch die Anhänge mit Aussagen und Dokumenten erhalten habe. Schließlich seien das mögliche „Ermittlungsansätze“.

„Mit tiefer Trauer und großem Schmerz“

Zudem hatte die Interessengemeinschaft der ehemaligen Haasenburgkinder, die sich „Bündnis gegen repressive Pädagogik“ nennt, dem MBJS Unterstützung im Beschwerdeverfahren angeboten, aber keine Rückmeldung erhalten. Die Betroffenen nehmen den OVG-Beschluss „mit tiefer Trauer und großem Schmerz“ zur Kenntnis, schreiben sie in einer Stellungnahme. Im Grunde hätten hier zwei belastete Parteien vor Gericht gestanden, da das MBJS seiner Kontrollpflicht nicht ausreichend nachgekommen sei.

Um die Perspektive der Opfer einzubringen, ist es jetzt zu spät. Das OVG entschied, das beklagte Ministerium habe weder ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung noch Verfahrensmängel dargelegt. MBJS-Sprecherin Ulrike Grönefeld erklärt, das OVG habe im Kern die vorgebrachten Zweifel als nicht ausreichend betrachtet. Es sei auch nicht darauf eingegangen, „dass das VG Cottbus erst nach rund zehn Jahren entschieden hat und sich hieraus Darlegungsprobleme ergeben könnten“.

Die Haasenburg GmbH kann jetzt auf Grundlage des rechtskräftigen Urteils zivilrechtlich sogar Schadenersatz einklagen. Wollte sie mit der alten Betriebserlaubnis die Heime wieder öffnen, müsste das MBJS wie bei einem Neuantrag prüfen, ob die räumlichen, personellen und fachlichen Voraussetzungen und ein Gewaltschutzkonzept vorliegen.

Betroffene können ihrerseits Entschädigung beantragen und viel Zeit mitbringen. Der Brandenburgische Landtag hatte sich im Dezember angesichts des Urteils mit den Opfern der Haasenburg-Heime solidarisch erklärt und seine Regierung aufgefordert, sich bei der Konferenz der Jugendminister für einen bundesweiten Entschädigungsfonds für Kinder und Jugendliche einzusetzen, die seit 1990 in Heimen der institutionelle Gewalt erfuhren. Auf der jüngsten Jugendministerkonferenz im Mai stand das aber nicht auf der Tagesordnung.

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