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Klimaschutzgesetz verwässertMehr Beliebigkeit beim Klima

Susanne Schwarz
Kommentar von Susanne Schwarz

Das reformierte Klimaschutzgesetz sieht nach mehr aus, als es ist. Und es verschiebt Verantwortlichkeiten. Das ist ein Skandal.

Viele Straßen sind in Babenhausen im bayerisch-schwäbischen Landkreis Unterallgäu überflutet, am 1.6.2024 Foto: Nikolas Schäfers/dpa

D ie Bundesregierung genehmigt sich selbst mehr Beliebigkeit beim Klimaschutz. Dabei gibt es allein in Deutschland jeden Sommer Tausende Hitzetote, Flutwellen zerstören das Hab und Gut vieler Menschen, die Wälder erholen sich kaum noch zwischen den Dürreschocks. Kli­ma­schüt­ze­r*in­nen ziehen deshalb gegen die Reform des Klimaschutzgesetzes vor das Bundesverfassungsgericht. Gut so.

In der Theorie ist die Welt noch in Ordnung: Das Klimaschutzgesetz sieht auch nach seiner Reform nicht vor, dass Deutschland mehr CO2 in die Atmosphäre entlässt als zuvor geplant. Aber dass einzelne Mi­nis­te­r*in­nen nachsteuern müssen, wenn ihre Zuständigkeitsbereiche zu klimaschädlich sind, entfällt. Die Regierung will zusammen für die Klimaziele einstehen – aber dabei verschwimmen die Verantwortlichkeiten.

Und der Plan, die Klima-Arbeitsverweigerung etwa von Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) durch Übererfüllung in anderen Bereichen auszugleichen, hat einen Denkfehler: Dass es beispielsweise bei der Industrie zuletzt noch CO2-Spielraum gab, hängt mit der Wirtschaftsflaute zusammen. Geht die Produktion von Glas, Stahl und Co wieder hoch, ist der positive Klimaeffekt dahin. In der Praxis will sich die Ampel also auf einer Flexibilität ausruhen, mit der sie nicht sicher rechnen kann. Letztlich müssen die Emissionen von Unternehmen und von uns allen auf null.

Die Verwässerung des Klimaschutzgesetzes ist der eine Skandal. Der zweite: dass sich die Regierung nach der neuen Version des Gesetzes richtet, bevor die überhaupt gilt. Zwar hat der Bundespräsident die Reform gerade unterschrieben, sodass ihr Inkrafttreten nun sicher, aber bis Montag eben noch nicht eingetreten ist. Bis dahin hätten Verkehrs- und Bauministerium nach bisheriger Rechtslage wegen gerissener CO2-Grenzwerte Sofortprogramme vorlegen müssen, haben das aber nicht getan. Nun könnte man sagen, dass Sofortprogramme nur aus Formgründen auch nichts gebracht hätten. Aber dass sich die Regierung an geltendes Recht hält – so viel Formalität darf schon sein.

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Susanne Schwarz
Leiterin wirtschaft+umwelt
Jahrgang 1991, leitet das Ressort Wirtschaft + Umwelt und schreibt dort vor allem über die Klimakrise. Hat ansonsten das Online-Magazin klimareporter° mitgegründet.
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7 Kommentare

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  • Über die FDP kann man sicher geteilter Meinung sein, eine Auszeit ist möglich.

    Die deutlichste Quittung werden aber die Grünen bekommen, deren Politik und Gedankenwelt sich immer weiter von der Bevölkerung entfernt.

    Die Europawahl hat es schon vorweggenommen, der Einfluss wird schwinden und es wird sich zeigen, ob sie noch Regierungspartei sein werden.

  • Man kann sich nicht mehr des Eindrucks erwehren, dass die fdp zwar gut und gerne überall draufhaut - bei den Grünen, in Europa, bei den Armen und und und - aber liebend gerne Extrasüppchen kocht, wenn es ihr in den Kram passt.



    Ich wünsche ihr eine schöne 4- jährige Auszeit vom Parlament ab Herbst nächsten Jahres !!

  • "Wichtig ist, dass es in die richtige Richtung geht.", schreibt Ramto.



    Genau das wäre gut, ist aber leider nicht der Fall. Stattdessen herrscht inzwischen ein sowohl-als-auch. Es wird zweigleisig gefahren. Das verunsichert auch Teile der Wirtschaft, die bereits fortschrittlicher waren. Schließlich kann man nicht ins Blaue hinein investieren, will nicht auf dem falschen Pferd in die verkehrte Richtung galoppieren.



    Beliebigkeit trifft es.



    Aber gaaanz viel persönliche Freiheit.

  • DAS Musterbeispiel für eine rhetorische Frage.

  • Die aktuelle "Anstalt", in der ZDF-Mediathek zu finden, war zu diesem Thema Klima prägnant wie bitterböse.

    Diese Rechtsmissachtung durch einen früher mal aufrechten Volljuristen wie Wissing wirft ein verheerendes Bild auf die ehemalige Rechtsstaatspartei FDP unter LIndner.

  • Können Sie sich eigentlich vorstellen, dass es Millionen von Menschen gibt, die Klimaschutz für wichtig und richtig halten, nicht aber die Radikalität und Kompromisslosigkeit, mit der Sie und andere Protagonisten das Thema über alles andere stellen und den Menschen das Leben in vielen Bereichen unnötig erschweren?

    Es ist nicht überragend wichtig, dass Deutschland irgendwelche Kennzahlen bis zu einem Zeitpunkt X, z.B. 2030, erreicht. Wichtig ist, dass es in die richtige Richtung geht. Auf diesem Weg befindet sich das Land bereits und es ist auch schon einiges erreicht worden. Auch das darf mal gesagt werden.

    Wer aber die Menschen auf diesemWeg nicht mitnimmt, wird keinen Erfolg haben und bei der nächsten Wahl seine Quittung bekommen.

  • Ich halte diese Änderung des Klimaschutzgesetzes nicht für einen Skandal, sondern für genau richtig. Man sollte schließlich bedenken, dass sowohl das generelle Ziel als auch die Sektorziele reine Wunschziele sind und nicht auf Machbarkeit geprüft sind, also wie und wann mit welchen technischen Mitteln und zu welchen Kosten für wen usw. sie machbar sind.



    Außerdem sollte man berücksichtigen, dass Deutschland mit seinen nun nur noch 1,5% Anteil an den globalen Emissionen extrem wenig Einfluss auf die Entwicklung des zukünftigen Klimas hat, so dass man doch im Falle der Nichteinhaltung von Sektorenzielen dies gut sein lassen sollte, solange das Gesamtziel im Fokus bleibt. Wenn natürlich das Gesamtziel nicht erreichbar wird, muss man die Vorgehensweise und die Zielsetzung nochmal überprüfen. Dann hat man beste Chancen alles richtig zu machen.