Mit Kroaten bei Türkei gegen Holland: Revanche für die Krbava-Schlacht
Schlimm, schlimm, schlimm – so musste es ja zugehen beim vom Wolfsgruß geprägten EM-Spiel. Stimmt halt nur nicht, fand auch der Besuch vom Balkan.
K roaten, insbesondere Dalmatiner sind aus historischen Gründen nicht gut auf Türken zu sprechen. Sie sagen: „Euch Deutschen haben die Türken 60 Jahre das Klo geputzt. Gegen uns haben sie 500 Jahre Krieg geführt.“
Letztes Wochenende hatte ich zwei U-30-Jungs aus Dalmatien zu Gast. Extra fürs EM-Viertelfinale waren sie angereist, der eine saß dafür zum ersten Mal im Flugzeug, der andere würde zum ersten Mal in einem Fußballstadion sein und beide zum ersten Mal in Berlin. Auf dem Weg zum Olympiastadion standen wir dicht gedrängt in einem stickigheißen S-Bahn-Waggon, in dem alle in riesige Türkei-Flaggen gehüllt waren, Wangen und Waden in Rot-Weiß bemalt hatten und irre laut riefen: „Türkiye! Türkiye!“
„Holland! Holland“, riefen dagegen vier Oranje-Jungs in den Brüllpausen und brachten damit alle zum Lachen, auch sich selbst.
Den sonst sehr coolen Gesichtern meiner U-30-Dalmatiner allerdings sehe ich an, dass sie sich unter den „Türkiye!“-Fans nicht so richtig wohlfühlen. Ich spreche den Typ an, der direkt vor mir steht und immer am lautesten brüllt: „Werden die Holländer das überleben?“ „Wir sind alle total gechillt“, antwortet er in einem überaus verkehrsfähigen Ton, berichtet, dass er aus Bielefeld kommt und scherzt mit einem kleinen Mädchen, das auf Kniehöhe zwischen uns steht. „Und wenn der Wolfsgruß gezeigt wird?“ „Chill, Schwester. Immer wird alles gegen uns gewendet. Nur weil wir Türken sind. Wir wollen Spaß haben. Wie alle anderen auch.“ Bommbommbomm haut er seine Hand gegen die Waggondecke: „Türkiye! Türkiye!“ „Holland! Holland!“, antwortet die orangene Mitte. Lachend verlassen wir alle den Zug.
Respektvolle Distanz
Meine U-30-Dalmatiner und ich haben das Wochenende in Kreuzberg verbracht, die Crack-Zombies in meinem Kiez fand der eine „ekelhaft“, der andere „Großstadtprogramm“. Dass der Kiez so türkisch geprägt war, hatten sie nicht geahnt, sagten zu jedem Kreuzberger Kebabverkäufer und jeder anderen Kreuzberger Kuriosität „çok güzel“, blieben aber sichtbar auf respektvoller Distanz. Bald forderten sie dann auch, endlich mal ein paar echte Brandenburger, Bratwürste und Biere zu Gesicht zu bekommen – dafür waren sie ja schließlich hergekommen.
Fanmeile, Späti, Curry 36, Zoologischer Garten und das rein vegetarische Angebot in der taz-Kantine – „Danke, Doris, wir haben jetzt genug Deutschland gesehen“, lautete schnell ihr Fazit.
Am Samstag dann auf dem Weg zwischen Bahn und Stadion setzen wir uns ins Olympia-Eck, das von „Türkiye!“-Fans belegt ist, hier und da wird das Wolfszeichen gezeigt. Ich gehe aufs Klo und hoffe, dass meine U-30-Dalmatiner in der Zwischenzeit nicht irgendwelche Türken dazu auffordern, die Schlacht auf dem Krbava-Feld von 1493 nachzustellen, um die historische Niederlage der Kroaten zu rächen.
Als ich vom Klo zurückkomme, traue ich meinen Augen nicht: Die beiden haben neue Biere vor sich, liegen sich mit zwei „Türkiye!“-Fans in den Armen, scherzen, machen Selfies, tauschen Handynummern aus.
Als das Spiel zu Ende ist, sind meine beiden U-30-Dalmatiner dann doch sehr glücklich über den Sieg der Oranjes. Wir stehen zwei Stunden vor dem U-Bahnhof in einem orangenen Block, aus dem hier und da Türkei-Fahnen wehen. Hier sind sich alle einig: ein großer Abend.
Erst am nächsten Morgen sehen wir die Reaktionen auf unsere Social-Media-Posts aus dem Stadion. „Oha“, „Krass“, „Passt auf euch auf“. Wo ich hinklicke, sehe ich Häme und Abscheu gegen „Türkiye!“ – gerade auch von den Linken in meiner Bubble.
Meine U-30-Dalmatiner schütteln den Kopf. „So ein Quatsch. Das Einzige, was gestern nicht ‚çok güzel‘ war, waren die Zombies vor deiner Haustür.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
US-Präsidentschaftswahl
50 Gründe, die USA zu lieben
Höfliche Anrede
Siez mich nicht so an
Klimaziele der EU in weiter Ferne
Neue Klimaklage gegen Bundesregierung
Grundsatzpapier des Finanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution
Resolution gegen Antisemitismus
Nicht komplex genug