BSW-Parteitag in Brandenburg: Die letzten Tage der BRD

Beim Parteitag ihres Landesverbands in Brandenburg steht Sahra Wagenknecht im Mittelpunkt. Der Landtagswahl kann sie sehr beruhigt entgegen sehen.

Sahra Wagenknecht am Rednerpult

Stargast des Parteitags in Potsdam: Sahra Wagenknecht am Rednerpult Foto: Michael Bahlo/dpa

POTSDAM taz | Als Robert Crumbach zum Spitzenkandidaten gewählt ist, überreicht ihm Sahra Wagenknecht einen Blumenstrauß. Anschließend verlässt die Parteichefin den Parteitag ihres Brandenburger Landesverbands. Der 61-jährige, etwas bullig und jovial wirkende Arbeitsrichter Crumbach war früher in der SPD und wurde erst vor wenigen Wochen beim Gründungstreffen in Schwedt zum Brandenburger Landesvorsitzenden der neuen Partei gewählt. Die hat in Brandenburg gerade mal 40 Mitgliedern – viele SPD-Ortsvereine haben mehr – und nur 30 von ihnen sind an diesem Tag da und stimmberechtigt. Und anders als in Thüringen oder Sachsen sind keine ihrer Mitglieder und Kandidaten über Brandenburg hinaus bekannt – die meisten sind es noch nicht einmal in Brandenburg selbst. Dennoch kann es der Landtagswahl gelassen entgegensehen.

Denn obwohl das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ in Brandenburg bisher wenig Glanz verbreitet, steht es sehr gut da. Bei der Europawahl erzielte es fast 14 Prozent der Stimmen, in Umfragen liegt es noch darüber. Das verdankt sich natürlich der Strahlkraft seiner Galionsfigur, der Namensgeberin und Parteichefin, die auch an diesem Tag in Potsdam im Mittelpunkt steht. Als sie verspätet in dem Konferenzraum des Hotels in Potsdam eintrifft, in dem sich ihr Landesverbands schon seit dem Samstagmorgen trifft, ist sie sofort von Kameras umringt.

Ihretwegen sind auch die rund 20 Journalisten gekommen, die damit rund ein Drittel Teilnehmer des Parteitags ausmachen. Wagenknecht gibt ihnen Stoff für ihre Berichterstattung: „Wir können da alle ein bisschen stolz auf uns sein“, lobt sie zunächst ihre Unterstützer für den Erfolg bei der Europawahl. Dann legt sie los, und vergleicht die Stimmung in Deutschland mit der Schlussphase der DDR. Die Regierung in Berlin habe sich von der Bevölkerung entfremdet. Die Ostdeutschen hätten es schon einmal erlebt, wie es sei, wenn sich eine Wendezeit ankündige und wenn die Industrie wegbreche, legt sie noch einen drauf, als wären schon die letzten Tage der BRD angebrochen. Sie wolle das zwar nicht „völlig gleichsetzen“, schränkt Wagenknecht ein. Aber Deutschland sei derzeit „Schlusslicht in einer Welt voller Krisen“, und daran sei natürlich die Ampel schuld. „Wir dürfen nicht noch einmal unsere Industrie so kaputt machen“, warnt sie unter Applaus.

Brandenburg ist nur eine Etappe

Die Wahl in Brandenburg ist für Wagenknecht nur eine Etappe auf dem Weg zu ihrem eigentlichen Ziel, mit ihrer neuen Partei wieder in den Bundestag einzuziehen, das wird in ihrer Rede deutlich. „Wir wollen die Bundespolitik verändern“, betont sie in ihrer Rede mehrfach. Über Landtagswahlen könne man diese beeinflussen, sagt sie, denn deren Ergebnisse seien ein Signal für die Bundesebene. „Klar werden wir in Brandenburg nicht den Krieg in der Ukraine beenden“, räumt sie ein. Aber jede Stimme für das BSW in Brandenburg sei „eine Stimme für Frieden und Demokratie, und gegen diese wahnsinnige Kriegsrhetorik.“

Das Thema „Frieden“ ist das Thema, das die BSW-Mitglieder tatsächlich am meisten verbindet. Den Rechtsanwalt Stefan Grüll, der einst für die FDP in Nordrhein-Westfalen im Landtag saß, hat es als Westdeutschen zum BSW gebracht. Angst vor dem Krieg treibt auch die Ärztin Jouleen Gruhn um, die für das BSW an diesem Tag auf den zweiten Listenplatz gewählt wird. Sie ist Referatsleiterin im Potsdamer Gesundheitsministerium und macht sich deswegen Sorgen um ihren Sohn. „Was nützen mir günstige Wohnpreise, wenn ich an die Front geschickt werde“, fragt auch der 26-jährige Dominik Mikhalkevich, der in seinem Heimatort Brandenburg an der Havel auch Sprecher des „Bündnis für Frieden“ ist. Das ist so der Grundton.

Bei der Verabschiedung des Programms standen dagegen regionale Fragen im Vordergrund. Parteichef Crumbach zählte am Anfang des Tages die Themen auf, die vielen unter den Nägeln brennen. Karl Lauterbachs Krankenhausreform werde zu einem Kahlschlag führen, fürchtet er. Acht bis zehn Krankenhäuser in Brandenburg könnten deswegen schließen. Er fordert nicht nur, alle diese Kliniken zu erhalten, sondern auch mehr bezahlbare Wohnungen, bessere Pflegeleistungen, mehr Lehrer, kostenloses Schulessen, beitragsfreie Kitas, mehr Investitionen in Straßen und Schiene und mehr Geld für die Kommunen. Woher es kommen soll, lässt er offen. Dafür stellt er das für 2038 vereinbarte Ende des Kohlebergbaus in der Lausitz infrage. Den werde es mit dem BSW nur geben, wenn der Strukturwandel dort gelinge. Vorziehen dürfe man das Datum auf keinen Fall, auch wenn die Ampel in Berlin das gerne wolle.

Handyverbot an Grundschulen, kein Tempo 120

Das Programm für die Landtagswahlen wird recht schnell noch vor der Mittagspause abgesegnet. Zwei Änderungsanträge werden angenommen, zwei abgelehnt, das geht Ruck-Zuck. Zuvor hatte Hans-Jürgen Scharfenberg, als ehemaliger Linken-Abgeordneter im Landtag einer der wenigen Polit-Profis im Raum, ausdrücklich vor zu langen Programmdebatten gewarnt: „Die Zeit haben wir nicht“

Im Programm für die Landtagswahlen wird unter anderem ein Tempolimit 120 auf Autobahnen abgelehnt und ein Handyverbot in Grundschulen gefordert. In diese Kerbe schlägt auch Wagenknecht in ihrer Rede: Die Kinder bräuchten statt Smartphones und Tablets mehr Lehrerinnen und Lehrer, und statt Gendern sollten sie erst einmal richtig Rechnen und Schreiben lernen.

Die Wahl der Kandidaten zieht sich bis in den frühen Abend hin, sie wurden alle mit großer Mehrheit gewählt. Die Atmosphäre ist ein bisschen wie auf einem erweiterten Elternabend an einer ostdeutschen Schule, freundlich und verbindlich. Nicht alle der BSW-Kandidaten sind auch Mitglieder des BSW, dafür gibt es noch zu wenige. Drei Kandidaten werden sogar in Abwesenheit gewählt: Der eine „ein international agierender Anwalt, der auf einem Flughafen festhängt“, wie Geschäftsführer Stefan Roth erklärt, der ihn vorstellt. Ein anderer arbeitet bei der Feuerwehr und kann deshalb nicht da sein, weil an seinem Wohnort eine Fliegerbombe gefunden wurde.

Die „Linke“ spielt keine Rolle mehr

Neben einer bunten Mischung aus Anwälten, Lehrern, Unternehmern und Rentnerinnen sind unter den Kandidaten sehr viele Ex-Kommunalpolitiker der Linkspartei. Doch von dieser Partei ist kaum die Rede, sie wird nur am Rande erwähnt. Für Heiterkeit sorgt, dass Brandenburgs Linken-Parteichef Sebastian Walter Wagenknecht kürzlich zu einem „Rededuell“ herausgefordert hat. Die Linke stürzte bei der Europawahl in Brandenburg unter vier Prozent: kein gutes Omen für die Landtagswahl.

Sahra Wagenknecht kann ihr dagegen gelassen entgegensehen, beim Parteitag des „Bündnis Sahra Wagenknecht“ denken manche Kandidaten sogar schon darüber nach, welches Ministerium es nach den Wahl übernehmen könne: so optimistisch ist hier die Stimmung. Jetzt müssen nur noch 2.000 Stimmen gesammelt werden, damit die Partei zur Landtagswahl auch antreten darf.

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