Künast kündigt Rückzug an: Kämpferin mit Kodderschnauze

Als Landwirtschaftsministerin hat Renate Künast viele Konflikte ausgefochten. Nun hat die Grüne ihren Rückzug aus dem Bundestag für 2025 angekündigt.

Renate Künast demonstriert hinter einem Transparent

Keine Re­vo­lu­tion im Stall, eher in den Köpfen: Grünen-Politikerin Künast will Platz für Jüngere machen Foto: Stefan Boness

BERLIN taz | Eigentlich wollte Grünen-Politikerin Renate Künast am wichtigsten Tag ihrer politischen Karriere in die Sauna gehen. Dann klingelte im Januar 2001 abends das Telefon, Kanzler Gerhard Schröder und sein grüner Vize Joschka Fischer wollten sie zur Landwirtschaftsministerin küren. Es war der Höhepunkt der BSE-Krise, das Land war wegen des Rinderwahnsinns in Panik. SPD-Minister Karl-Heinz Funke hatte bräsig alle Risiken durch die Seuche verharmlost und musste zurücktreten. Die vom Kanzler ausgerufene Neuausrichtung der Agrarpolitik brauchte ein neues Gesicht. Künast übernahm den Job.

Im parteiinternen Gerangel mit der in Landwirtschaftsfragen viel kompetenteren Bärbel Höhn behielt sie die Nase vorn. Und dies, obwohl die Juristin Künast, wie die taz lästerte, nur schwerlich „ein holsteinisches Rindvieh vom viet­na­me­sischen Wasserbüffel unterscheiden“ konnte. Aber die taffe kleine Berlinerin mit der Kodderschnauze war beliebt, sie war für kurze Zeit auch Bundesvorsitzende der Grünen.

Im Bundestag hielt sie nach der Amtsübernahme eine berühmte Rede: „In unsere Kühe kommt nur Gras, Heu und Wasser rein.“ Das war zwar Unsinn, weil Hochleistungskühe schon damals Kraftfutter, Silage und Aminosäuren bekamen, sie gab aber eine neue Richtung vor. Vor allem: Schluss mit verseuchtem Tiermehl im Futter. Künast änderte die Koordinaten der Agrarpolitik, setzte Pflöcke ein.

Sie rief erste ehrgeizige Ziele für die Biolandwirtschaft aus, die sie großzügig förderte. Die Vokabel „Agrar­wende“ legte eine steile Karriere hin, die Massentierhaltung wurde jetzt überall angeprangert. Bäuerliche Landwirtschaft erschien als Alternative zur Agrarindustrie in einem neuen Licht. Ernährung und Verbraucherschutz gehörten jetzt zum Portfolio der Ministerin mit entsprechender Namensänderung für das Ressort.

Der Bauernverband schäumte natürlich. Er befand sich wegen BSE zwar noch in der Defensive. Doch das änderte sich schnell. Unvergessen sind ­Künasts Auftritte auf den Deutschen Bauerntagen. Bauernboss Gerd Sonnleitner und seine Gefolgsleute organisierten generalstabsmäßig das Niederbrüllen der Ministerin. Trillerpfeifen und Protesttafeln wurden im Saal verteilt. Sobald Künast vors Mikrofon trat, gab ein rotgesichtiger Funktionär das Zeichen und das Fußvolk pfiff und buhte, dass die Wände wackelten. Protestschilder wurden hochgehalten, die abends in der „Tagesschau“ wieder auftauchten.

Erfolgreicher Kampf gegen Hatespeech im Netz

Künast blieb, anders als die heutige Ampelkoalition, standhaft und zog ihre Linie durch. Bessere Tierhaltung, weniger Gift, strenges BSE-Management und: Bio, Bio, Bio. Erstmals wurde ein verbindliches Bio-Zeichen eingeführt, um Green­washing und Trittbrettfahrer zu entlarven.

Intern kämpfte sie gegen die alte Clique der ­Agrarindustrie im eigenen Haus. Das Bauernsterben und den Krieg der Landwirtschaft gegen die Natur konnte auch Künast nicht aufhalten. Ihr großes Verdienst war das Aufbruchssignal. Keine Revolution im Stall, eher in den Köpfen. Künast beförderte das im Zuge der BSE-Krise entstandene neue Narrativ für eine andere, naturverträglichere Landwirtschaft, für einen anderen Umgang mit den Nutztieren.

Nach dem Ende von Rot-Grün im Bund agierte Künast als Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, 2010 kandidierte sie erfolglos für das Amt der Regierenden Bürgermeisterin von Berlin. Dann wurde es ruhiger um die in Recklinghausen geborene Politikerin.

Aber noch einmal verbuchte sie einen politischen und juristischen Erfolg, als sie sich gegen Hatespeech im Netz zur Wehr setzte. ­Künast war in Facebookposts unter anderem als „geisteskrank“ und „Drecksschwein“ beschimpft worden. Nachdem ihre Klage zunächst abgewiesen worden war, korrigierte das Berliner Kammergericht diese Entscheidung und gab Künast nach langem juristischem Streit endlich recht.

Nun will Renate Künast Platz für Jüngere machen. Ihrem Berliner Kreisverband hat die 68-Jährige in einem Brief mitgeteilt, 2025 nicht mehr für den Bundestag zu kandidieren.

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