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Gesetz gegen Ab­trei­bungs­geg­ne­rGegen Scham und Schuldgefühle

Der Bundestag hat beschlossen, dass sogenannte Gehsteigbelästigungen vor Beratungsstellen künftig strafbar sind. Paragraf 218 wurde nicht gestrichen.

Gehsteigbelästigungen vor Beratungsstellen sollen künftig strafbar sein Foto: Sebastian Gollnow/dpa

Schwangere, ­denen auf dem Weg zu ­Beratungsstellen Bilder mit zer­stückelten Föten entgegengehalten werden oder die Spaliere lautstark betender Personen passieren müssen: Das soll es künftig nicht mehr geben. Am Freitag hat der Bundestag ein Verbot dieser sogenannten Gehsteigbelästigungen beschlossen.

In einem Bereich von 100 Metern um gynäkologische Praxen und Beratungsstellen ist es AbtreibungsgegnerInnen künftig untersagt, Schwangere dabei zu beeinträchtigen, die Beratung wahrzunehmen, diese absichtlich zu erschweren oder ihnen „durch Ansprechen wissentlich die eigene Meinung aufzudrängen“, heißt es in dem Gesetz. Auch Inhalte, die auf „unmittelbare emotionale Reaktionen von Furcht, Ekel, Scham oder Schuldgefühle“ zielen, dürfen nicht mehr gezeigt werden. Passiert das doch, kann es mit bis zu 5.000 Euro geahndet werden.

Während Union und AfD im Plenum behaupteten, das Problem werde von den Ampelfraktionen „erfunden“, sagte Denise Loop (Grüne): „Der Spießrutenlauf von Schwangeren hat ein Ende.“ Man stärke Schwangere in ihrer selbstbestimmten Entscheidung über einen möglichen Schwangerschaftsabbruch. Carmen Wegge (SPD) sagte: „Wir machen mit diesem Gesetz etwas, das selbstverständlich sein sollte: Wir stehen an der Seite von Frauen in diesem Land.“

Céline Feldmann vom Deutschen Juristinnenbund begrüßte den „bundeseinheitlichen Schutz“: Bislang habe enorme Rechtsunsicherheit geherrscht, da Behörden und Gerichte der Länder uneinheitliche Regelungen getroffen hätten. „Zum ersten Mal gibt es nun einen einheitlichen präventiven Schutz über Schutzzonen, zudem repressiven Schutz über das Ordnungswidrigkeitenrecht.“

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Paragraf 218 noch nicht gestrichen

Der Berufsverband der Frauenärzte erklärte, viele seiner rund 15.000 Mitglieder berichteten immer wieder über Anfeindungen. Man fürchte, dass die beschlossenen Sanktionen „nicht ausreichen“: Praxen seien nicht nur von analogen, sondern auch „von massiven digitalen Belästigungen betroffen“. Sogenannte LebensschützerInnen würden nicht nur auf dem Gehsteig, sondern auch per Brief, E-Mail und Anzeige die Beratungsstellen und Praxen belästigen.

Gehsteigbelästigungen zu verbieten, ist eines von mehreren Vorhaben der Ampelkoalition, um reproduktive Rechte zu verbessern. Diese ermöglichen es, selbstbestimmt über den eigenen Körper und die eigene Sexualität zu entscheiden. Zu Beginn der Legislatur hatte die Ampel den Paragrafen 219a gekippt, der es Ärz­t*i­nnen verboten hatte, auf ihren Webseiten über Schwangerschaftsabbrüche zu informieren. Zudem wurde das Selbstbestimmungsgesetz verabschiedet, das es trans, inter und nonbinären Personen erleichtert, den eigenen Geschlechtseintrag und Vornamen ändern zu lassen.

Offen ist, ob in dieser Legislatur noch ein Vorstoß kommt, den Paragrafen 218 aus dem Strafgesetzbuch zu streichen. Der verbietet Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland und stellt sie nur unter bestimmten Bedingungen straffrei. Eine von der Bundesregierung eingesetzte Ex­per­t*in­nen­kom­mis­si­on war im April zu dem Schluss gekommen, dass diese Regelung aus völker-, verfassungs- und europarechtlicher Perspektive „nicht haltbar“ sei. Sie empfiehlt die Legalisierung von Abbrüchen mindestens in den ersten drei Monaten.

Von Seiten der Regierung ist bisher nichts in diese Richtung passiert. Und das, obwohl sowohl SPD als auch Grüne eine Legalisierung in ihren Wahlprogrammen versprochen hatten. Die SPD-Fraktion hingegen hat kürzlich ein Positionspapier beschlossen, das auf die Streichung des Paragrafen zielt, und kündigte an, mit der FDP-Fraktion ins Gespräch gehen zu wollen. Je nach Ergebnis wäre eine parlamentarische Initiative möglich.

Auch die Gruppe der Linken fordert ein Ende des Abtreibungsverbots. Zwar begrüßte deren Abgeordnete Gökay Akbulut das Verbot der Gehsteigbelästigungen – das viel größere Problem aber sei der Paragraf 218: „Es kann nicht sein, dass der kleinste Koalitionspartner FDP sowohl Grüne als auch SPD vor sich hertreibt“, sagte Akbulut. Die Gesellschaft sei viel weiter, eine Mehrheit habe sich für die Legalisierung ausgesprochen. Schwangerschaftsabbrüche gehörten zu einer guten Gesundheitsversorgung. „Der Paragraf 218 muss in dieser Legislatur endlich gestrichen werden.“

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19 Kommentare

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  • Eine Streichung des Paragraphen 218 ist nicht notwendig. Eine Anpassung wäre vollkommen ausreichend.

    • @DiMa:

      Doch, denn ein Schwangerschaftsabbruch ist keine Straftat mit Ausnahmen, sondern Gesundheitsversorgung, die nur ausnahmsweise eine Strafbarkeit begründen kann.

      Kein Mensch hat einen Anspruch auf die Nutzung des Körpers eines anderen Menschen- es wäre an der Zeit dies auch auf Frauen anzuwenden. Insofern ist die jetzige Regelung menschenrechts- und verfassungswidrig.

      • @Croissant:

        Ganz genau so kann man das im § 218 ja formulieren.

        Das immer wieder angeführte Argument der angeblichen Verfassugswidrigkeit halte ich für merkwürdig, da die aktuelle Formulierung des § 218 eins zu eins auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts zurück geht (einschließlich Beratungspflicht und Fristen).

        • @DiMa:

          Nö, eine derartige Formulierung wäre systemwidrig, denn die Gesundheitsleistungen sind kein Regelungsegenstand des StGB.

          Ihr Vorschlag würde weiterhin eine grundsätzliche Strafbarkeit mit Ausnahmen bedeuten und das wissen Sie auch.

          Diese Enstscheidung ist selbst offensichtlich verfassungswidrig, da Männer und Frauen hiermit ungleich behandelt werden.

          Unter juristischen Gesichtspunkten gibt es wahrscheinlich keine andere Entscheidung,die derart unlogisch und schlecht begründet ist wie diese.



          Allein schon die Idee einer verfassungsrechtlichen aber keiner strafrechtlichen Rechtswidrigkeit sollte jeden Juristen aufhorchen lassen.



          Es ist nämlich Bullshit.

          • @Croissant:

            Die Gesundheitslesitungen nimmt man einfach in das passende SGB auf und schon passts. Dafür braucht es kein eigenes Gesetz.

            Auch das mit der grundsätzlichen Strafberkeit kann mit entsprechender Formulierung ausgeschlossen werden: "Keine Abtreibung im Sinne dieser Norm liegt vor..."

            Männer und Frauen werden nicht ungleich behandelt. Beide kommen als Täter in Frage.

            Die derzeitige Regelung geht auf das Verfassungsgericht zurück. Die angebliche Verfassungswidrigkeit bliebt ein Rätsel.

            Auch in der DDR blieb der Straftatbestand einer unzulässigen Abtreibung erhalten.

            • @DiMa:

              Schon wieder eine Deflektion. Es geht hier um die Streichung des 218 und nicht um die genaue zukünftige Verortung der Regelung einer Gesundheitsleistung.

              Ihr ursprünglicher Vorschlag enthielt eine schlicht deklaratorische Norm, die strafrechtsfremd wäre, also nomotechnisch nicht ganz durchdacht.

              Ihr jetztiger Vorschlag beinhaltet keinen Ausschluss grundsätzlicher Strafbarkeit, sondern betont diese gerade- eine Abtreibung wäre noch immer grundsätzlich strafbar, es sei denn es liegen die Voraussetzungen dieser vorgeschlagenen Norm vor.

              Wenn Frauen ihren Körper zur Verfügung zu stellen haben und Männer nicht, werden sie eben nicht gleich behandelt.

              Und eben dieses Verfassungsgericht ist kläglich daran gescheitert, Frauen wie Menschen zu behandeln und beschlossen eine ansonsten nirgendwo anerkannte Plicht, ihren Körper zur Austragung der Schwangerschaft zur Verfügung zu stellen.



              Dies wird man allerdings bald korrigieren.

              Da müssen Sie schon genauer schauen und präziser argumentieren, da die Gesetze der DDR nämlich keine Strafbarkeit der Schwangeren selbst kannten und nicht von einer grundsätzlichen Strafbarkeit ausgingen.

    • @DiMa:

      "Eine Streichung des Paragraphen 218 ist nicht notwendig."

      Ein angepasster Paragraph 218 auch nicht. Es kann doch nicht sein, dass diese intime, persönliche Entscheidung generell - mit Ausnahmen - illegal ist, wenn man sie auch generell - mit Einschränkungen - zulassen könnte.

      • @Systemknecht:

        Ihr Blickwinkel auf 218 ist eingeengt. Ohne 218 könnte beispielsweise auch ein Dritter, gegen dennWillen der Schwangeren (zB mittels Tablette) straffrei eine Abtreibung herbeiführen.

        • @Opho:

          Kann unter Körperverletzung geregelt werden. Ein immer wieder auftauchendes Scheinproblem.

          • @Croissant:

            Dann haben wir praktisch einem seltsamen 218 durch die Hintertür, denn Hauptadressat des 218 ist derjenigen der die Abtreibung vornimmt. Aber wir sind hier schon bei mehreren gesetzlichen Anpassungen und schaffen neue Unklarheiten.

            • @Opho:

              Der Sinn des 218 ist haupsächlich eine Stigmatisierung der durch die Frau selbst vorgenommene Abtreibung, ein moralisches Signal, dass Embryonen und Föten seltsamerweise ein Anspruch auf Nutzung des weiblichen Körpers haben, sonst nichts.

              Eine erzwungene Abtreibung stellt die Frau als Opfer in den Mittelpunkt und würde dann auch so im Rahmen der Körperverletzungsdelikte funktionieren.



              Insgesamt-völlig egal, wenn man ehrlich ist.

    • @DiMa:

      Wo kommen wir hin, wenn wir DDR-Gesetze als Vorbild nehmen?!

      • @Peter Herrmann:

        So weit müssen wir in der Geschichte ja nicht zurück gehen. wir hatten ja schon das Schwangeren- und Familienhilfegesetz (1992). Nur war dieses halt verfassungswidrig.

        Im Übrigen galten neben dem Gesetz über die Unterbrechung der Schwangerschaft die §§ 153 bis 155 StGB (DDR) fort (mit ausdrücklichem Verweis), so dass auch in diesem Falle der § 218 StGB fortbestehen würde.

  • Die doch sonst allenthalben nach "Freiheit" kreischende Pseudo-Partei FDP ist bemerkenswert still. Liegt das vielleicht daran, dass deren Klientel es sich durchaus leisten kann, Abbrüche in Privatkliniken durchführen zu lassen? Da stört niemand. Das könnte erklären, warum man wieder mal Freiheit nicht für den Pleb, sondern nur für die (ab)gehobene Klasse fordert.

    • @Perkele:

      Vielleicht weil die FDP auch Rechtsstaatlichkeit hochhält und die Frage, ob diese Ideen verfassungskonform sind unklar ist. Das Gutachten drückt sich mit einigen Scheinfeststellungen vor dem Problem.



      Wieso soll die FDP überhaupt eine Pseudo-Partei sein?

  • Dieses Gesetz ist, meines Wissens nach, einer der ersten Fälle, in denen die Versammlungsfreiheit rund um private Einrichtungen erheblich eingeschränkt wird, weil einem die geäußerten Meinungen nicht gefallen. Gehsteigbelästigungen sind geschmacklos und daneben, das stelle ich nicht in Frage. Aber Leuten „durch Ansprechen wissentlich die eigene Meinung aufzudrängen“ als Vergehen darzustellen, ist für mich doch ehrlich gesagt bestürzend. Dies ist der Kern einer politischen Demonstration - ein Wahlkampfstand tut nichts anderes als dies.

    Wenn jetzt diese Art der Versammlung verboten werden darf, warum nicht auch z.B. eine Klimademonstration vor einem Großunternehmen? Oder eine Demo gegen Rechts vor einer Firma, die Rechtsextremisten unterstützt? Oder eine Pro-Palästina-Demo vor der israelischen Botschaft? Das halte ich insgesamt für eher undemokratische Aussichten.

    • @Agarack:

      " ... die Versammlungsfreiheit rund um private Einrichtungen erheblich eingeschränkt wird, weil einem die geäußerten Meinungen nicht gefallen."

      Strohmann! Es geht ja nicht um die geäußerte Meinung, es geht um die Art und Weise. Dass Menschen generell in prekären und intimen Situationen nicht belästigt werden dürfen, hoffe ich nicht diskutieren zu müssen.

      Davon abgesehen, anderen „durch Ansprechen wissentlich die eigene Meinung aufzudrängen“ ist doch generell weder erlaubt, noch akzeptabel. Wenn dieses Verhalten im Rudel gezeigt wird, sollte es nicht unter dem Deckmantel der Versammlungsfreiheit verteidigt werden.

    • @Agarack:

      Die Vergleiche hinken. Es geht bei den Gehsteigbelästigungen eben nicht um eine politische Demonstration, sondern darum, Individuen zu bedrängen. Es ist auch keine Gegendemonstration, da die bedrängten Personen ja nicht politisch handeln, wenn sie zum Arzt gehen.

      • @Helmut Fuchs:

        Das sehe ich genauso.

        Die betroffenen Frauen gehen da einen einen schweren Gang und müssen sich dann auch noch von bigotten Fanatikern anpöbeln lassen.

        Finde ich gut, dass das abgestellt wird.