Neues Protestcamp an der FU Berlin: Wer campt auf dem Campus?

Seit Donnerstag protestieren Studierende und Aktivisten vor dem Henry-Ford-Bau gegen Israels Krieg in Gaza. Uni und Polizei halten sich zurück.

Aktivist:innen an der FU Berlin.

Propalästinensisches Camp an der FU Berlin am 20. Juni Foto: Fabian Sommer/dpa

BERLIN taz | Umringt von 100 Einsatzkräften der Polizei, Medienvertretern und Schaulustigen schlagen die Protestierenden am Donnerstagabend ihre Zelte vor dem Henry-Ford-Bau der Freien Universität Berlin auf. Nach der Räumung des ersten Protestcamps, hat das studentische Palästina-Komitee erneut dazu aufgerufen, vom 20. bis zum 27. Juni auf dem Campus zu campen. Damit soll gegen den „anhaltenden Genozid im Gazastreifen“ und „die Komplizenschaft der deutschen Regierung in den Kriegsverbrechen Israels“ demonstriert werde.

Das Protestcamp sei damit auch eine direkte Antwort auf den neuen Paragrafen im Berliner Hochschulgesetz, der die Exmatrikulation von Studierenden aufgrund ihrer politischen Aktivitäten ermöglichen soll, teilte das Palästina-Komitee mit. Caro und Cecilia, die beiden Spre­che­r:in­nen des Komitees, befürchten keine weitere Räumung des Camps. FU-Präsident Günter M. Ziegler hatte angekündigt, die FU wolle das Protestcamp tolerieren, wenn Antisemitismus, Gewaltaufrufe und Sachbeschädigungen unterbleiben. Die vom Protestcamp besetzte Rasenfläche ist öffentlich und vom Demonstrationsgesetz geschützt. Sie fällt in den Zuständigkeitsbereich der Polizei. Caro, die Sprecherin, sagt: „Wir sind angemeldet“.

Die Polizei hat Protestauflagen verordnet: Verboten ist unter anderem, zur „Vernichtung des Staates Israel und seiner Bewohner:innen“ aufzurufen oder terroristische Organisationen wie die Hamas, die Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) und ihr nahestehende Organisationen wie den Neuköllner Verein Samidoun zu glorifizieren. Bei der anfänglichen Verlesung bauen die meisten Protestierenden geschäftig ihre Zelte auf. Als zwei interessierte Studierende bei einigen nachfragen, wie sie denn im Verlauf der kommenden Woche Antisemitismus und Rassismus erkennen und verhindern wollen, bekommen sie die irritierte Antwort: „Wir sind doch keine Antisemiten“.

Auch Caro und Cecilia zeigen sich irritiert über die Frage: Sie stellten sich schließlich gegen „jede Form der Unterdrückung“. Mit großer Sorge sähen sie aber, wie sie unter „Generalverdacht“ gestellt würden, antisemitisch zu sein. Das Protestcamp sei schließlich auch aus einem Grund vor dem Henry-Ford-Bau errichtet worden: Der Bau, benannt nach „einem bekannten Antisemiten“, symbolisiere „den Kampf gegen historische Ignoranz und Antisemitismus“. Das Protestcamp nimmt damit die Forderung auf, das Gebäude umzubenennen. Eine antisemitismuskritische Forderung, die Tradition hat an der FU – bisher jedoch von israelsolidarischen Hochschulgruppen formuliert wurde.

Um sicherzustellen, dass keine „Israel- oder judenfeindlichen Aussagen“ getätigt werden, seien laut Polizeisprecher Halweg 10-15 Einsatzkräfte „Tag und Nacht vor Ort“. Kontrollieren werden sie dennoch nicht, wer sich am Protest beteiligt. Auch Caro und Cecilia ist es „wichtig, nicht zu kontrollieren“, wer Teil des Protestcamps ist. Sie seien ein „intersektionaler Protest“ nach dem Vorbild internationaler Studierendenproteste wie die an der Columbia-Universität in New York und richteten sich an alle, die „gegen Repression und für das Ende des Genozids sowie ein freies Palästina“ sind.

Gegen ein schärferes Hochschulgesetz

Demonstriert wird auch gegen eine Verschärfung des Hochschulgesetzes, der am Montag im Wissenschaftsausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses zugestimmt wurde. Die Universitäten sollen demnach Stu­den­t:in­nen aus ordnungsrechtlichen Gründen exmatrikulieren können, etwa wenn diese sich strafbar gemacht haben. Berlins Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra (SPD) hatte in der Anhörung zur Gesetzesänderung gesagt, dass bei der Besetzung der FU im Mai zwei Drittel der Be­set­ze­r:in­nen keine Uni-Mitglieder gewesen seien. Grundlage dieser Aussage seien „Einschätzungen aus einem internen Lagebild der Senatsverwaltung, zu denen wir keine weiteren Ausführungen machen können“, teilte die Wissenschaftsverwaltung auf Nachfrage der taz mit.

Wer also schlägt die Zelte an der FU dieses Mal auf? Es sind Studierende: Sie kommen aus Vorlesungen, der vorher stattgefundenen studentischen Versammlung, tragen FU-Rucksäcke oder geben auf Rückfrage ihr Studienfach und Institut an. Einige von ihnen sind Teil der trotzkistischen Online-Plattform Klasse gegen Klasse, die beide Protestcamps an der FU auf ihrer Website beworben und darüber berichtet haben.

Kurz nachdem die Zelte stehen, erscheinen auch bekannte Gesichter der anti-israelischen Proteste der letzten Monate. Unter ihnen Aktivistin Yasemine Acar, die vom Tagesspiegel kürzlich als „die Stimme des Israelhasses“ bezeichnet wurde. Zuletzt hatte sie auf einer palästinasolidarischen Demonstration den pro-israelischen Gegenprotesten zugeschrien: „Wo sind sie denn eure Frauen, die angeblich vergewaltigt wurden?“ Auch Udi Raz, israelische Aktivistin und Vorstandsmitglied bei der Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost, ist vor Ort.

Bleibt es friedlich?

Am Rande des Protestcamps stehen vier jüdische Studierende der FU, sie wollen sich anhören, was über Israel gesagt wird, wollen im Zweifelsfall widersprechen. Udi Raz erkennt einen von Ihnen und läuft demonstrativ mit erhobener Kamera auf ihn zu, filmt ihm ins Gesicht. Der jüdische Student winkt irgendwann ab und sagt: „Ich bin hier mit den Clowns“ und zeigt auf den Protest. Udi Raz nimmt die Kamera herunter, eilt zu einem Polizisten und erstattet Anzeige wegen Beleidigung. Yasemin Acar leistet Raz beistand. Einige Minuten später verlesen Caro und Cecilia das Awareness-Konzept des Camps. Sie verkünden: „Wir kooperieren nicht mit der Polizei. Wenn es Zwischenfälle gibt, klären wir das intern, wir stellen keine Anzeigen.“

Weiter Zwischenfälle gibt es an diesem ersten Abend des Protestcamps nicht. In den kommenden Tagen soll hier kollektiv nach dem Vorbild einer „People’s University“, zusammen mit allen, die am Camp teilnehmen, unabhängig ihres Zugangs zur Universität, ein Katalog mit Forderungen erstellt werden. Das Palästina-Komitee will sich damit an die Universitätsleitung wenden, um „einen dringend benötigten Diskurs zu fördern“.

Ob sich die Leitung der FU auf diesen Diskurs einlässt, hängt an zwei Fragen, die in der kommenden Woche beantwortet werden müssen: Wer kommt ins Camp? Und: Bleibt es friedlich?

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