Antisemitismus von links

Olaf Kistenmachers Studie zur Judenfeindschaft in der KPD der Weimarer Republik erzählt auch viel über den gegenwärtigen Israelhass

Von Philipp Lenhard

Im Zuge der antiisraelischen Proteste an den Universitäten ist das Problem des linken Antisemitismus wieder in den Fokus einer breiteren Öffentlichkeit gerückt. Während so mancher Konservative die Linke pauschal des Antisemitismus bezichtigt, verweisen viele Linke geradezu spiegelbildlich darauf, Judenhass sei ausschließlich ein rechtes Phänomen und die Gleichsetzung von Israelkritik mit Antisemitismus unerhört.

Anstatt dieses Spiegelspiel mitzuspielen, hat der Historiker Olaf Kistenmacher kürzlich einen instruktiven Band vorgelegt, der sich der „anarchistischen und kommunistischen Kritik der Judenfeindschaft in der KPD zur Zeit der Weimarer Republik“ widmet. Das ist äußerst bescheiden formuliert, denn eigentlich geht es um viel mehr, nämlich eine Aufarbeitung und Offenlegung antisemitischer Traditionslinien in der Linken. Zwar ist Kistenmacher nicht der Erste, der sich dem Thema widmet, doch gerade weil er sich auf einen relativ kurzen Zeitraum konzentriert, ist seine Analyse erfrischend prägnant.

Wie in seiner 2016 erschienenen Dissertation basiert Kistenmachers Untersuchung auch im vorliegenden Band – neben vielen anderen ­Quellen – auf einer systematischen Auswertung der KPD-Zeitung Rote Fahne. Beim linken Antisemitismus handele es sich nicht um gelegentliche Ausrutscher, sondern um ein grundlegendes Problem kommunistischer Theorietradi­tio­nen. Insofern ist Kistenmachers Studie zwar historisch, hat aber ebenso mit unserer unmittelbaren Gegenwart zu tun.

Wenn die Rote Fahne schon 1925 den Zionismus als „­Kettenhund des englischen Imperialismus“ geißelte, so war das bereits ein Ausdruck genau jener antiimperialistischen Ideologie, die auch heute noch trotzkistische, stalinistische und postkolonialistische Israelfeinde in den Gaza-­Encampments beseelt. Der Antizionismus der Komintern ging so weit, zeigt Kistenmacher, dass sogar die antijüdische Gewaltserie im Mandatsgebiet Palästina, der 1929 insgesamt 133 vor allem nichtzionistische Juden zum Opfer fielen, von der Roten Fahne als Aufstand „gegen die Hintermänner des Zionismus“ gerechtfertigt wurde. „Die Schläge, die die arabischen Eingeborenen gegen die zio­nis­ti­sche Bourgeoisie und den zionistischen Faschismus in Palästina“ führten, so die KPD-Zeitung, seien gleichzeitig „Schläge gegen England“ und damit legitim.

Olaf Kisten­macher: „Gegen den Geist des Sozialismus“. ça ira-Verlag, Wien 2024, 156 Seiten, 23 Euro

Kistenmacher thematisiert neben diesem Antiimperialismus auch einen antisemitischen Antikapitalismus, der in einer Fetischisierung der Arbeit gründe. Zugleich zeigt er auf, dass solche ideologischen Verirrungen immer schon auch von links kritisiert wurden. Eingeschränkt positiv hebt der Autor Rosa Luxemburg, Clara Zetkin und Leo Trotzki hervor, denen er zumindest ein temporäres Pro­blem­bewusstsein bescheinigt. Noch größer ist aber seine Bewunderung für anarchistische Autoren wie Franz Pfemfert, Emma Goldman, Alexander Berkman und Rudolf Rocker. Am interessantesten ist sicherlich die detaillierte Auseinandersetzung mit unbekannteren Autoren wie etwa dem tschechoslowakischen Kommunisten Otto Heller, der 1931 das Buch „Der Untergang des Judentums“ veröffentlichte, oder mit Joseph Berger, einem führenden Funktionär der Kommunistischen Partei Palästinas (PKP).

Eine zentrale Erkenntnis des Buches lautet, dass der linke Antisemitismus – insbesondere der gegen Israel gerichtete – nicht auf die Erinnerungs- und Schuldabwehr nach dem Holocaust reduziert werden darf, sondern „an Vorstellungen anknüpfen“ kann, „die lange vor dem Zweiten Weltkrieg bestanden“. Insofern hilft Kistenmachers Buch auch, die gegenwärtigen Ereignisse besser zu verstehen. Es bleibt zu hoffen, dass auch jene, die heute gegen den „Apartheidstaat Israel“ und den „zionistischen Siedlerkolonialismus“ wettern, sich einmal selbstkritisch mit der Geschichte des linken Antisemitismus befassen. Kistenmachers Buch könnte ein guter Einstieg dafür sein.