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Sachsens Linkenchef zur Krise der Linken„Kräftig eins aufs Maul bekommen“

Seine Partei solle sich wieder an die 2. Feuerbachthese von Karl Marx erinnern, fordert der sächsische Linkenvorsitzende Stefan Hartmann.

Bei der Landtagswahl dürfte es sehr knapp werden. Aber Sachsens Linkenchef Stefan Hartmann will die Hoffnung noch nicht aufgeben Foto: Matthias Wehnert/Geisler-Fotopresse/picture alliance
Pascal Beucker
Interview von Pascal Beucker

taz: Bei der Europawahl hat die Linkspartei bundesweit gerade mal noch 2,7 Prozent der Stimmen erhalten. In Sachsen hat sie 131.348 Stimmen verloren, nur in NRW waren es noch mehr. Was für eine Erklärung haben Sie für dieses Desaster?

Stefan Hartmann: Keine Frage, wir haben kräftig eins aufs Maul bekommen. Die Partei ist offensichtlich in einer Verfassung, die den Wählerinnen und Wählern nicht attraktiv erscheint. Wenn wir in allen ostdeutschen Bundesländern trotz sehr unterschiedlicher Bedingungen von jeweils zweistelligen Wahlergebnissen auf Ergebnisse um die 5 Prozent gefallen sind, dann ist die einzig logische Schlussfolgerung, dass dies am Zustand der Gesamtpartei liegt.

Der Parteivorstand in Berlin ist also schuld?

Mit Schuldfragen kann ich nicht viel anfangen. Was ich aber feststelle, ist eine augenfällige Differenz, die es zwischen unserem Abschneiden bei den Europa- und den parallelen Kommunalwahlen beispielsweise in Leipzig, Dresden oder Chemnitz gibt. Da fanden zahlreiche Wählerinnen und Wähler das Angebot vor Ort offenkundig attraktiver. Wo es uns nicht ausreichend gelingt, mit den Füßen auf der Erde Antworten für die Fragen der Leute zu entwickeln, da haben wir es schwer. Die unterschiedlichen Ergebnisse weisen übrigens auch darauf hin, dass es sehr wohl noch ausreichend Menschen gibt, die bereit sind, uns zu wählen. Es muss aber das Angebot stimmen.

Sebastian Kahnert/dpa
Im Interview: Stefan Hartmann

geboren 1968 in Erfurt, steht seit 2019 gemeinsam mit Susanne Schaper dem sächsischen Landesverband der Linken vor. Die beiden bilden auch das Spitzenduo ihrer Partei für die Landtagswahl in Sachsen im September 2024.

Auf Vorschlag Ihres Landesverbandes wurde Carola Rackete neben Parteichef Martin Schirdewan an die Spitze der Linkenliste für die EU-Wahl gestellt. Hat die Kandidatur der jungen Klima- und Menschenrechtsaktivistin das eher fossile Wählerklientel der Linkspartei im Osten überfordert?

Also da bin ich eher puristisch. Das heißt, dass nach meiner Überzeugung die Menschen zunächst einmal auf die Inhalte schauen, die eine Partei insgesamt vertritt, und danach auf das Personal, mittels dessen sie die Inhalte zu transportieren versucht. Deshalb bin ich der Auffassung, dass wir ganz grundsätzlich ein Problem mit unserer inhaltlichen Substanz haben. Das scheint mir das Hauptproblem zu sein. Ich finde zwar, dass es nicht schlecht gewesen wäre, wenn Carola Rackete besser präsentiert worden wäre. Aber das ist für mich ein nachrangiges Thema.

Nur in zwei Bundesländern, den Stadtstaaten Hamburg und Bremen, hat es die Linkspartei noch geschafft, knapp vor dem Bündnis Sahra Wagenknecht zu landen. Haben Sie das erwartet?

Schon Anfang des Jahres gab es Potenzialanalysen, die aufgezeigt haben, dass das Potential des BSW bundesweit größer ist als das der Linkspartei. Auch die Umfragen der vergangenen Monate haben vermuten lassen, dass das BSW fast überall vor uns liegen wird. Von daher habe ich das schon für möglich gehalten. Aber wenn sowas dann tatsächlich Realität wird, ist das natürlich unerfreulich.

Im Überlebenskampf

Sachsen war einst der mit Abstand größte Landesverband der PDS. Als die sich 2007 zur Linkspartei transformierte, zählte er noch rund 13.300 Mitglieder. Heute sind davon nur etwa 6.000 geblieben, wovon ein knappes Viertel aus der Linken-Hochburg Leipzig stammt. Mit Sören Pellmann kommt auch einer der drei direkt gewählten Bundestagsabgeordneten der Linkspartei aus der sächsischen Großstadt. Insgesamt zählt die Linkspartei bundesweit noch um die 50.000 Mitglieder.

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Wie in Thüringen finden auch in Sachsen am 1. September Landtagswahlen statt. In den aktuellen Umfragen liegt in beiden Bundesländern die AfD auf Platz 1, vor der CDU. Während in Thüringen die Linke mit Ministerpräsident Bodo Ramelow an der Spitze wenigstens noch auf ein zweistelliges Ergebnis hoffen kann, muss sie in Sachsen um den Wiedereinzug in den Landtag bangen. Ihr Wahlkampfmotto: „Ostdeutsch, sächsisch, links.“

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2004 erzielte die PDS mit 23,6 Prozent ihr bestes Landtagswahlergebnis in Sachsen. Bei der letzten Wahl 2019 kam die Linkspartei auf 10,4 Prozent, bei der EU-Wahl am 9. Juni auf 4,9 Prozent. In den Umfragen von Infratest dimap und INSA aus der vergangenen Woche liegt sie derzeit nur noch zwischen 3 und 4 Prozent, während die Linken-Abspaltung BSW bei beiden Instituten bei 15 Prozent rangiert. (pab)

Während die Linkspartei abgestürzt ist, hat das BSW überall im Osten zweistellige Ergebnisse eingefahren. Ist das BSW die neue PDS?

Nein, denn das muss ja inhaltlich bestimmt werden. Und dann kann das eindeutig verneint werden bei einer Partei, die sich nach der Definition ihrer sächsischen Landesvorsitzenden rechts von der SPD verortet. Eine Personenkultpartei zwischen rechter Sozialdemokratie, CDU und AfD hat wirklich nichts mit der alten PDS zu tun. Wie gesagt, ich bin Purist und schaue auf die Inhalte.

Aber offenkundig zieht das BSW ein Protestpotenzial an, das früher im Osten die PDS gewählt hätte.

Ja, das ist möglich.

Ist die Linkspartei vielleicht einfach zu brav geworden?

Unsere Orientierung darauf, eine von Konzepten untersetzte und daher machbare Politik anzubieten, mag tatsächlich in den heutigen Zeiten, in denen man einfach irgendwas möglichst laut sagen kann, dahingehend ein Hindernis sein, dass sie manchen nicht spektakulär genug erscheint. Das macht sie aber noch nicht falsch.

Welche Rolle hat aus Ihrer Sicht der Ukraine-Krieg bei der Wahlentscheidung gespielt?

Gerade in Ostdeutschland ist das Thema Frieden weiter ein zentrales. Das gilt insbesondere für jenen Teil der Bevölkerung, der für die Linke generell ansprechbar erscheint. Doch wir haben als Partei dieses Thema nur sehr nachrangig benannt. Unsere klassischen Friedenstauben-Plakate wären schon gut gewesen.

Die hätten Sie dann neben die Friedenstauben-Plakate der DKP und der AfD kleben können.

Nichtsdestotrotz haben wir die Möglichkeit, das Thema Frieden im Europawahlkampf prominenter zu vertreten, nicht genutzt. Das war nicht besonders klug, weil es viele Menschen zurecht bewegt.

Mit ihrer Haltung, einerseits Russlands Überfall scharf zu verurteilen und Putin zum Rückzug aus der Ukraine aufzufordern, andererseits jedoch militärische Hilfen für das angegriffene Land abzulehnen, scheint die Linkspartei weder die einen noch die anderen Wäh­le­r:in­nen überzeugen zu können. Befindet sich Ihre Partei da nicht in einem Dilemma?

Es geht hier um Fragen, die nicht ganz so einfach zu beantworten sind. Nach der verlorenen Bundestagswahl hätte auf Bundesebene eine Programmdebatte begonnen werden müssen, wie wir das von Sachsen aus auch erbeten hatten. So hat es übrigens die PDS gehalten, nachdem sie 2002 aus dem Bundestag geflogen ist. Damals haben wir eine sehr intensive Diskussion darüber geführt, wer wir sind und wo wir stehen. Das war enorm wichtig. Diesmal ist das leider anders. Das rächt sich. Wenn die Weltlage sich ändert, müssen alte Antworten überprüft und möglicherweise neue kollektive Antworten gefunden werden. Wenn das nicht geschieht, wird das Problem, das man hat, halt größer und nicht kleiner.

Was bedeutet das in der Konsequenz für den für Oktober geplanten Bundesparteitag?

Erstmal müssen wir die Landtagswahlen im September bestehen. Auf dem Parteitag wird es dann darum gehen, wie die Partei inhaltlich und personell neu aufgestellt werden kann.

Bis auf Thüringen liegt Ihre Partei selbst im Osten überall unter der 5-Prozent-Schwelle, in Sachsen bei 4,9 Prozent. Lohnt es sich da überhaupt noch, zur Landtagswahl anzutreten?

Auf jeden Fall. Ob das 1989 war oder 2002: Wir sind schon öfter totgesagt worden. Die Europawahl hat doch nur gezeigt, dass wir um jede Stimme kämpfen müssen. Zwei Dinge sind dabei entscheidend: Erstens müssen wir wieder lernen, die immer noch vorhandene Breite unserer Partei nicht als etwas Störendes, sondern als Stärke zu begreifen. Leipzig, wo wir mit 17,5 Prozent stark abgeschnitten haben und weit vor dem BSW lagen, ist dafür ein gutes Beispiel: Unsere Stimmkönigin war dort Jule Nagel, dicht gefolgt von Sören Pellmann. Die decken ein ziemlich breites Spektrum ab, stellen jedoch nicht ihre Differenzen in den Vordergrund, sondern ihre Gemeinsamkeiten. Beide sind für uns sehr wichtig. Der konstruktive Umgang mit Unterschieden ist entscheidend.

Und der zweite Punkt?

Wir sollten uns wieder stärker an die 2. Feuerbachthese von Karl Marx erinnern.

Wie bitte?

Nun ja,wir müssen uns darauf besinnen, Politik wieder mehr aus der Wirklichkeit heraus als aus dem Kopf zu machen. Und darum geht es genau in der 2. Feuerbachthese: das Denken nicht von der Wirklichkeit zu isolieren, was eben keine Frage der Theorie, sondern der Praxis ist.

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8 Kommentare

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  • Eine offene Grenzen Kandidatin und eine Wählerwanderung zu einer migrationskritischen Partei. Und im Interview wird das Thema einfach ignoriert. Erstaunlich wie man das hin kriegt.

  • Würden sie wirklich linke Politik machen, würden die Werte durch die Decke gehen.



    Mit Frau Rackete als Kandidatin wurden viele abgeschreckt.



    Selbst die Linken ahnen, was die Forderung " alle Menschen azfzunehmen" für Folgen hätte.

  • Die meisten linken sind keine radikal pazifisten und durch aus willig sich zu wehren. ebenso sind sie keine migranten, intelktuelle oder transgender.



    aber es wird hptsl werbung gemacht mit migrationspolitik und pazifismus.



    dazu kommt nch die besteureung der eichen, was nicht verkehrt ist, aber das wir so ähnlich rüber gebracht, wie das tempolimit bei den grünen. das verschreckt jegliche linke mitte.



    erst dann kommen mieten.

    das ist kein anti-wokismus!



    skandinavien hats gezeigt.



    anstatt also klientelpolitik zu machen, muss die linke das tun wozu sie hier ist. die grabenkämpfe überwinden, und zwar plakativ und besser als die anderen!

    alle in ein boot holen. und zwar nicht so wie die sogenannten volksparteien, sondern sie muss ideologisch all diese dinge integrieren und überbieten.



    das geht aber nicht, wenn man HPTSL minderheitenpositionen vertritt und auch nur die anspricht.



    man muss mehr den mainstream intervenieren und plakativ bekämpfen. dafür ist es wichtig, gute presse und sonstige aktionen zu haben.



    Deutsche Wohnen enteignen zeigt wie es geht.

    man darf nicht den herrschenden anti-sozialismus vergessen in DE und auch in anderen ländern, der hart von der basis zehrt.

    • @Christian Will:

      Die Linkspartei ist doch überhaupt nicht mehr in der Lage, Grabenkämpfe zu überwinden.

      Es gibt in der Partei niemanden mehr, der das will und dafür bereit ist, Kompromisse zu machen

      Theorie vor Praxis.

      Ideologisch integrieren kann die Linke nicht.

      Deshalb wählt sie doch niemand mehr.

      Was Sie beschreiben, ist nicht die Linke.

      Eher das BSW.

  • Solch klaren Worte hätte ich gerne mal vom Bundesvorstand der Linken gehört.

    • @Dirk Osygus:

      Finde ich auch.

      " Ob das 1989 war oder 2002: Wir sind schon öfter totgesagt worden."

      Er sagt wenigstens ganz klar, dass er die Linkspartei als SED -Wein in "Die Linke"-Schläuchen sieht.

      Aber als es um die spitzenkandidaren und die Wechselwähler von der Linkspartei zum BSW ging, wurde er dann doch recht dünn in der Klarheit der Worte.

  • "das Denken nicht von der Wirklichkeit zu isolieren, was eben keine Frage der Theorie, sondern der Praxis ist."

    Sorry aber genau das hat doch zur Gründung des BSW geführt.



    Und ist auch beständiger Teil vieler ihrer Statements und Veröffentlichungen seit der Gründung.

    Gibt es noch einen zweiten Teil des Interviews?

  • Der Mann hat zwar recht, aber eine Kritik an wirklichkeitsfremder Verkopftheit hätte man kaum unverständlicher bzw. prätentiöser formulieren können. Dabei hatte Marx doch mit seiner Forderung, das Denken [genauer: die Hegelsche Theorie] "vom Kopf auf die Füße zu stellen", eine griffige Formulierung für derartige Zusammenhänge angeboten.