Kunstfreiheit und ihre Institutionen: Tief sitzt der Argwohn
Ausstellungen sind derzeit ein politisches Kampffeld, ihre öffentliche Förderung gerät seit dem 7. Oktober ins Wanken. Wie steht es dann um die Kunst?
Es ist leider gerade so: Kunstausstellungen sind ein politisches Kampffeld. Das könnte noch radikale Kräfte auf den Plan rufen. Die Künstlerin Sophia Süßmilch erhielt letzte Woche Morddrohungen, nachdem ein CDU-Lokalpolitiker zum Boykott ihrer Ausstellung in der Kunsthalle Osnabrück aufrief, Süßmilch provoziert dort mit Motiven des Kannibalismus. Und wer weiß, was sich die AfD in Sachsen noch auf eine abgesagte Schau im Dresdener Albertinum einfallen lässt, weil eine Kuratorin dort mit dem Wording über den Massenmord an die Ovaherero und Nama nicht einverstanden war.
Die Angriffe kommen aus unterschiedlichen Richtungen. In Beschuss geraten die öffentlichen Ausstellungshäuser und Kunsträume. Sie müssen derzeit gegen viele Seiten ihre Autonomie behaupten. CDU-Lokalpolitiker, die auf eine drastische Kunst mit einem verengten Moralismus reagieren, sind da womöglich leicht abzuwehren. Viel prekärer ist die Situation öffentlicher Kunstinstitutionen, wenn es um ihre Rolle als Mittler zwischen Staat und Kunst geht.
Denn seit den antisemitischen Verfehlungen der Documenta 2022 und mehr noch, seitdem Teile des Kunstbetriebs den Terrorangriff der Hamas auf Israel für einen postkolonialen Protest umdeuten, gibt es tiefes Misstrauen in einem System der öffentlichen Kulturförderung, in dem zuvor lang eine „grundsätzliche Synchronizität von demokratischem Staat und zeitgenössischen Künsten“ vorgeherrscht hatte, wie Mark Siemons es kürzlich in der FAS beschrieb. „Beide schienen ja eine Ausrichtung auf Individualismus, Liberalität, Diversität zu teilen“. Und das tun sie offenbar jetzt nicht mehr.
Für den Staat stellt sich die Frage, wie er vermeiden kann, durch die Kunst auch antisemitische Positionen zu fördern. Dass die Berliner Justizsenatorin Felor Badenberg von der CDU anstrebt, die Verfassungstreue von Künstler:innen, die Förderanträge stellen, notfalls mit Hilfe des Verfassungsschutzes zu prüfen, zeugt dafür, wie gefährlich tief der Argwohn sitzt.
Die Nichtdefinition der Kunst
No!art nannte Boris Lurie im New York der späten 1950er Jahre seine Kunst, die behauptet, gar keine Kunst zu sein. Boris Lurie wuchs in Riga auf, er überlebte die Shoah. Seine verstörenden, rohen, wütenden Bilder legen auch Zeugnis von der Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts ab. An diesem 18. Juli wäre Boris Lurie 100 Jahre alt geworden wäre.
Aktuelle Lurie-Ausstellungen:
„Boris Lurie. Life with the Dead“: Scuola Grande San Giovanni Evangelista, Venedig, bis 24. November 2024
„Testimony. Boris Lurie & zeitgenössische Kunst aus Osteuropa“: Neues Museum Nürnberg, bis 17. November 2024
Gegen dieses Misstrauen müssen die öffentlichen Ausstellungshäuser jetzt anarbeiten. Das können sie auch gegenüber dem Staat tun, wenn sie auf der anderen Seite ihre Autonomie gegenüber dem Kunstbetrieb verteidigen, sich nicht für seinen Aktivismus instrumentalisieren lassen. Das Albertinum Dresden hat genau das versucht, als es einen Instagram-Post seiner Kuratorin Zoé Samudzi über die „gegenwärtige genozidale deutsche Außenpolitik“ als persönliche Meinungsäußerung kennzeichnen lassen wollte. Samudzi kündigte ihren Ausstellungspart auf.
Schwieriger wird es, wenn es um die Frage der Kunstfreiheit geht, um die gerade in der Debatte um Kulturförderungen so sehr gerungen wird. Der Kunstfreiheit sind die Ausstellungshäuser ihrem Selbstverständnis nach verpflichtet. Aber wann ist etwas Kunst, wann persönliche Meinung? Das ist nicht leicht auseinanderzuhalten, denn die Kunst ist aus gutem Grund nicht definiert. Das Grundgesetz sieht zwar in Artikel 5 die unbedingte Freiheit der Kunst vor, doch liefert der Gesetzgeber keine Definition darüber, was Kunst eigentlich ist.
Wenn etwa Adorno in der Minima Moralia schrieb: „Aufgabe von Kunst heute ist es, Chaos in die Ordnung zu bringen“, und ganz gegenteilig der neue Direktor des ZKM in Karlsruhe, Alistair Hudson, eine „usefulness“, eine gesellschaftliche Nützlichkeit von Kunst, einfordert, so handelt es sich jeweils nur um einen Kunstbegriff. Und der kann selbst innerhalb eines Kunstwerks variieren.
Das zeigt sich derzeit in den Hamburger Deichtorhallen, wo das US-amerikanische Kollektiv New Red Order ein autonomes Kunstwerk in künstlerischen Aktivismus umkippen ließ. Seiner politisch-humoristischen Installation, in der sich ein animierter Baumstamm und ein Biber comichaft über die Ressourcenausbeutung in den USA austauschen, fügte New Red Order kurzerhand noch ein alarmrotes Protestplakat hinzu. Der pamphletartige Text darauf zieht eine krude Verbindungslinie von der Kolonisierung Amerikas über den Holocaust zum Krieg in Gaza. Das Plakat deklarierte New Red Order als Teil des Kunstwerks. Es zu entfernen hätte bedeutet, die Kunstfreiheit zu missachten.
Kein gesitteter Debattierclub
Die Deichtorhallen nutzen nun ein institutionelles Werkzeug, das den öffentlichen Kunsträumen seit der Documenta-Debatte in die Hand gelegt wurde: Auf einem Infozettel neben der Installation von New Red Order distanzieren sie sich „ausdrücklich von den Inhalten und Ausdrücken der Künstler im Textteil der präsentierten Arbeit“. Das ist formal korrekt, aber ziemlich schmallippig.
Kontextualisierung von schwieriger Kunst ist ein häufiges Schlagwort: Warum ist das Protestplakat ein Problem? Hat New Red Order die Kunstfreiheit für seine Parolen ausgehöhlt? Mit solch Diskussionsmaterial ausgestattet, können die Ausstellungshäuser auch ein anderes Ideal verteidigen, das sie als autonomer Mittler zwischen demokratischem Staat (so lang er demokratisch ist) und Kunst anstreben: der Kunstraum als Ort des Streits.
Doch leider sind Kunstausstellungen derzeit kein gesitteter Debattierclub. Sie sind ein Kampffeld. Hier geht es um Parolen, um Boykott, um Dogmen.
Was nun den Kunstbegriff und die dazugehörige Frage nach der Kunstfreiheit angeht, so kann man beobachten, dass dieser Kampf vor allem in den öffentlichen Ausstellungshäusern stattfindet. Kürzlich war auf der Messe art basel zwar viel politische Kunst zu sehen – Faith Ringgolds Schwarzer Trauermarsch „The Wake and Resurrection of the Bicentennial Negro“ las sich dort als Anklage an den US-amerikanischen Rassismus – aber von roten Protestplakaten und Boykottaufrufen war auf einer Schau des privaten Kunstmarkts keine Spur.
Spiel mit dem Staat?
Man könnte dann glatt denken, es ginge einigen Künstler:innen in den öffentlichen Ausstellungen nicht mehr um die Kunst selbst, sondern um ein Spiel mit dem deutschen Staat, dessen Grundfesten der Kulturförderung gerade ins Wanken geraten. Für die öffentlichen Ausstellungshäuser bedeutet das viel Arbeit.
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