Politische Konflikte in EM-Stadien: Vereint im Herzen Europas?
Die Vorrunde hat auch gezeigt, wie viel Europa gerade trennt. Kroatische, serbische, albanische Fans trugen die politischen Spannungen ins Stadion.
Einen Moment lang waren ganz große Geschütze aufgefahren: Serbien drohte, sich aus der EM zurückzuziehen. Auslöser waren kroatische und albanische Fans, die sich in gemeinsamen Mordfantasien ergingen: „Ubi, ubi, ubi Srbina“ – „Töte den Serben“.
Auf diese Ekelhaftigkeit forderte der serbische Verband harte Uefa-Strafen und stellte in Aussicht, andernfalls abzureisen. An den meisten Schlandisten, die von der völkerverbindenden Kraft der Euro schwärmten, ging die Episode wohl vorbei. Kurz darauf hatten sich die Gemüter wieder etwas beruhigt. Der Generalsekretär des serbischen Verbandes antwortete auf die Frage, ob ein Ausstieg eine echte Option sei, mit dem etwas schrägen Dementi: „Genau genommen nein“.
Es war der Höhepunkt in einem Karussell nationalistischer, rassistischer und kriegsverherrlichender Hassparolen, mit denen kroatische, serbische und albanische Fans – und nur gelegentlich die als Streber belächelten Slowenen – die wachsenden Spannungen in Südosteuropa auch ins Stadion trugen.
„Vereint im Herzen Europas“, lautet ein Slogan dieser Euro. Doch neben herzigen Tänzen und der neu entdeckten deutschen Schottlandsehnsucht zeigte die Vorrunde vor allem, wie viel dieses Europa gerade erneut trennt. Hitlergrüße auf Fanfesten, martialischer Ostfront-Hass („Putin chuilo“, übersetzt etwa: „Putin ist ein Arschloch!“, und „Russland Hure“-Rufe etwa von polnischen und georgischen Fans sowie „Putin, Putin“- und „Fuck Nato“-Rufe der Serben), rechtsextreme Wolfsgrüße bei türkischen Fans und ein Plakat der Identitären Bewegung beim Österreich-Spiel.
Postjugoslawien im Vordergrund
Vielleicht nicht ganz überraschend angesichts des Teilnehmerfeldes – Russland ausgeschlossen, Israel nicht qualifiziert – blieb es um die beiden Invasionen, die Europa spalten, dennoch verhältnismäßig ruhig. In den Vordergrund spielte sich das fragile Postjugoslawien.
Eine Liste ohne Anspruch auf Vollständigkeit, unter anderem dank einer Fleißarbeit des Publizisten Ruben Gerczikow: Serbische Fans hissten „Keine Kapitulation“ und zeigten Kosovo als Teil Serbiens (Uefa-Strafe: 10.000 Euro), posierten mit einer Fahne der Tschetnik-Miliz, die Massaker an Bosniaken und Kroaten beging, huldigten dem Kriegsverbrecher Ratko Mladić und sangen gemeinsam mit Slowenen: „Kosovo ist das Herz Serbiens.“
Kroatische Fans huldigten Kriegsverbrecher Slobodan Praljak, trugen das Wappen der HOS-Miliz und sangen „Töte den Serben!“. Der kosovarische Journalist Arlind Saku provozierte serbische Fans mit einem Doppeladler (Akkreditierungsentzug). Albanische Fans zeigten die Fahne eines Großalbanien (Uefa-Strafe: 10.000 Euro) und Symbole der albanischen UÇK-Paramilitärs, denen viele Kriegsverbrechen vorgeworfen werden.
Sie riefen in mehreren Partien „Töte den Serben!“ (Uefa-Strafe bisher: 10.000 Euro) und hissten „Kosova is Albania“ und „FCK SRB“. Der albanische Kicker Mirlind Daku animierte die Fans zum Gesang „Fick Mazedonien“ (zwei Spiele Sperre).
Politiker und Verbände tragen auch Verantwortung
Fast alle gegen alle also. Maßgebliche Mitverantwortung daran tragen sowohl die Politiker:innen der Region, die nationalistischen Hass immer wieder für Stimmenfang aufwärmen, als auch die südosteuropäischen Fußballverbände, deren Geschäft der Nationalrausch ist und die sich kaum von eigenen Fans distanzieren.
Was das alles nun heißt? Mancher Experte fand die Zahl der Vorfälle nicht ungewöhnlich angesichts einer EM, die erstmals seit 2016 wieder an einem Ort stattfindet und an der mehrere jugoslawischen Nachfolgestaaten teilnehmen und es zudem große migrantische Communitys gibt. Andere sahen durchaus eine neue Qualität, einen Ausdruck der erneut aufflammenden Spannungen und des Rechtsrucks in Europa.
Sportlich erfolgreich jedenfalls war der Hass nicht: Albanien, Serbien und Kroatien sind allesamt ausgeschieden.
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