Von der Leyen soll Präsidentin bleiben: Schachern für die Mehrheit

Vor dem EU-Gipfel steht bereits fest: Ursula von der Leyen soll Kommissionspräsidentin bleiben. Das erfreut nicht alle.

Ursula von der Leyen und Giorgia Meloni geben sich die Hand

Ziemliche neue beste Feinde? Giorgia Meloni neben Ursula von der Leyen beim G7-Treffen im italienischen Bari Mitte Juni Foto: Michael Kappeler/dpa

BRÜSSEL UND ROM taz | Auf Ursula von der Leyen folgt – Ursula von der Leyen. Die CDU-Politikerin soll auch in den kommenden fünf Jahren die EU-Kommission führen und damit die mächtigste Frau in Europa bleiben. Darauf haben sich, rund zwei Wochen nach der Europawahl, sechs Staats- und Regierungschefs der EU geeinigt. Sie wollen ihr Personalpaket beim EU-Gipfel am Donnerstag in Brüssel präsentieren.

Zu dem Deal, den Bundeskanzler Olaf Scholz, Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron und vier weitere EU-Politiker im Namen der drei großen Parteienfamilien (Konservative, Sozialdemokraten und Liberale) ausgehandelt haben, zählen noch zwei weitere Top-Jobs: Der Portugiese António Costa soll ständiger Ratspräsident werden, die Estin Kaja Kallas bekommt den Job der EU-Außenbeauftragten.

Costa gilt als jovialer und ausgleichender Politiker; der frühere portugiesische Regierungschef soll künftig die EU-Gipfel vorbereiten und Kompromisse suchen. Kallas eilt hingegen der Ruf voraus, besonders kompromisslos zu sein – vor allem, wenn es um Russland und den Krieg in der Ukraine geht. Sie soll die Interessen der Balten und der Osteuropäer vertreten, Costa dürfte mehr für Südeuropa sprechen.

Mit dem Ergebnis der Europawahl hat dieses Paket wenig zu tun, die Posten wurden nach parteipolitischem Proporz vergeben. Von der Leyen steht für die konservative Europäische Volkspartei EVP, Costa für die Sozialdemokraten, Kallas für die Liberalen. Die Rechtspopulisten der „Europäischen Konservativen und Reformer“ (EKR) wurden nicht berücksichtigt, obwohl sie stärker geworden sind.

EU weiter auf Kurs halten

Ist das demokratisch? Und kann das gut gehen? Das ist die Frage, die den bereits zweiten EU-Gipfel nach der Europawahl beherrschen dürfte. Beim ersten Spitzentreffen vor zehn Tagen waren sich die EU-Chefs noch nicht einig geworden. Die Konservativen hatten mehr Macht gefordert und damit Scholz und seine Genossen vor den Kopf gestoßen. Es herrschte dicke Luft, die Entscheidung wurde erst mal vertagt.

Beim zweiten Anlauf stehen die Chancen besser. Denn die Sechsergruppe verfügt unter den 27 Mitgliedsstaaten über die nötige qualifizierte Mehrheit. Sie sehen sich nicht nur als Cheerleader für von der Leyen, sondern auch als Speerspitze der „Pro-Europäer“, die Populisten und Nationalisten widerstehen und die EU weiter auf Kurs halten.

Doch zumindest zwei Verhandlungsführer – Macron und der niederländische Premier Mark Rutte – sind angeschlagen. Macron hat die Europawahl in Frankreich gegen die Nationalisten krachend verloren und hat deshalb Neuwahlen ausgerufen, die der EU große Sorgen bereiten. Und Rutte wurde am Mittwoch zum neuen Nato-Generalsekretär ernannt. Er kann schwerlich noch für die Niederlande sprechen.

Giorgia Meloni ist verärgert, dass sie zu keinem Zeitpunkt zu dem Personalpaket konsultiert wurde

Außerdem wäre da noch die italienische Regierungschefin Giorgia Meloni. Ihre „Fratelli d’Italia“ (Fdl) haben bei der Europawahl hinzugewonnen, ihre Parteienfamilie – die EKR – wurde gestärkt. Meloni ist deshalb mehr als verärgert, dass ihre Regierung bei den Verhandlungen über die europäischen Top-Jobs keinerlei Rolle spielte und zu keinem Zeitpunkt konsultiert wurde. „Wir sind EU-Gründerstaat, wir sind die dritte Volkswirtschaft, der zweitgrößte Industriestandort, das nach Bevölkerung drittgrößte Land“, sagte sie in einer Regierungserklärung zum anstehenden EU-Gipfel am Mittwochvormittag.

Vor allem aber rechnete die Postfaschistin vor, dass in Deutschland, Frankreich und Spanien die Regierungen die europäischen Parlamentswahlen verloren hätten, während sie selbst einen klaren Sieg verbuchen konnte. „Eine fragile Mehrheit“ schicke sich da an, in Europa die Entscheidungen zu treffen, in exklusiven „Kaminrunden“, angeblich vorbei an den Bürgern, die ein „konkreteres und weniger ideologisches Europa“ wollten. Schluss müsse sein mit „jenen Führungsklassen in Europa“, die weiter versucht seien, „den Staub unter den Teppich zu kehren und in ihren alten, enttäuschenden Logiken weiterzumachen“, kommentierte die Ministerpräsidentin den Personaldeal scharf.

Melonis Position auf dem EU-Gipfel unklar

Nachdem Scholz, Macron und Sanchez so ihr Fett wegbekommen hatten, ließ Meloni offen, wie sie sich auf dem EU-Gipfel positionieren will. Als mögliches Szenario gilt italienischen Medien zufolge, dass sie sich bei der Abstimmung über die Top Jobs der Stimme enthält und so ihren Dissens manifestiert.

Das würde den Deal erst mal nicht platzen lassen, aber es gibt noch ein weiteres Problem: Das Europaparlament muss von der Leyens zweiter Amtszeit als Kommissionschefin zustimmen. Konservative, Sozialdemokraten und Liberale verfügen zwar rechnerisch über eine knappe Mehrheit. Doch da es in der Straßburger Kammer keine Fraktionsdisziplin gibt und von der Leyen viele Gegner hat, könnte es eng werden.

Und da kommt Meloni ins Spiel. Während die italienische Ministerpräsidentin und von der Leyen monatelang untereinander gedeihliche Beziehungen aufgebaut haben, könnte Meloni der Kommissionspräsidentin jetzt in den Rücken fallen. Denn Meloni ist Vorsitzende der rechtskonservativen EKR. Und es stellt sich die Frage, wie deren 83 Abgeordnete, darunter 24 von Melonis „Fratelli d’Italia“ (FdI), im Juli votieren werden, wenn von der Leyen sich der Abstimmung im EP stellen muss.

Deshalb geht der europäische Machtkampf weiter. Die Grünen würden gern mit von der Leyen gehen, fordern dafür aber ein klares Nein zu Rechts-Bündnissen. Doch die CDU-Politikerin hält sich alle Optionen offen. Sie könne sich durchaus vorstellen, mit einzelnen Politkern der rechts-konservativen EKR zusammenzuarbeiten, hat sie im Wahlkampf gesagt. Auch mit Meloni wolle sie weiter kooperieren.

Am Ende könnte sie sich mithilfe der Grünen wählen lassen – und mit Stimmen der Rechten. Dann hätten die „Pro-Europäer“ zwar ihre Wunschbesetzung bekommen – doch die viel beschworene Brandmauer gegen Rechts wäre gebrochen.

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