Bezahlkarte für Geflüchtete: Alles eine Frage der Obergrenze

Bremen schert aus dem Kurs der Länder bei der Bezahlkarte aus und will bis zu 120 Euro Barauszahlung zulassen. Niedersachsen streitet noch darüber.

Stofftiere im Angebot liegen in einem Sozialkaufhaus.

Bargeld ist auch Teilhabe, denn in vielen Sozialkaufhäusern können Geflüchtete gar nicht mit der Bezahlkarte bezahlen Foto: Martin Gerten/dpa

HAMBURG/HANNOVER taz | Von einem „gefährlichem Sonderweg“ ist da am Montag auf einmal die Rede, von sich verstärkenden „Pull-Faktoren“ und davon, dass Bremen nun das „Schlaraffenland der Republik für illegale Migration“ werde. Auslöser für diese Zwischenrufe aus den Reihen der Bremer CDU und FDP ist eine Ankündigung aus der vergangenen Woche.

Da hatte sich die Konferenz der Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten mit der bundesweiten Einführung einer Bezahlkarte für Asylsuchende befasst und sich darauf geeinigt, dass Geflüchtete mit der Bezahlkarte maximal 50 Euro Bargeld pro Person und Monat abheben dürfen. Bremen, Thüringen und Rheinland-Pfalz ist das zu wenig. Sie sehen regionale Voraussetzungen nicht ausreichend berücksichtigt und schlagen einen „Bargeldkorridor von 50 bis 120 Euro“ vor. Der rot-grün-rote Bremer Senat werde, so teilte er am Freitag mit, den Bargeldbetrag auf maximal 120 Euro festlegen.

„Wenn in den niedersächsischen Umlandgemeinden in Zukunft nur 50 Euro Bargeldauszahlung möglich sind, in Bremen aber mehr als das Doppelte, ist doch klar, wo sich Asylbewerber dann registrieren lassen“, teilte Heiko Strothmann, Landesvorsitzender der Bremer CDU, am Montag mit. Und Ol Humpich, Sprecher für Soziales der Bremer FDP-Fraktion, haute in eine ähnliche Kerbe: „Statt den Flüchtlingszustrom zu begrenzen, verstärkt die Senats-Entscheidung die Pull-Faktoren und macht unser Bundesland zum Schlaraffenland der Republik für illegale Migration.“

Wie viel Milch und Honig in diesem Schlaraffenland fließen, also schlicht die Frage, wie hoch die Leistungen für die Asylsuchenden in Deutschland sind, hängt von der jeweiligen Lebenssituation ab. Ein alleinstehender Erwachsener beispielsweise bekommt gemäß Asylbewerberleistungsgesetz maximal 256 Euro pro Monat für den notwendigen Bedarf, etwa für Unterkunft, Essen und Kleidung. Zusätzlich gibt es höchstens 204 Euro für den persönlichen Bedarf. Der aktuelle Streit dreht sich darum, wie viel nach Einführung der Bezahlkarte künftig in bar zur Verfügung steht.

Bremer FDP und CDU kritisieren Bezahlkarte

Die Bezahlkarte, so vor allem die Argumentation auch aus dem konservativen politischen Lager in Bremen, soll Anreize für „illegale Migration“ unterbinden, indem sie beispielsweise verhindert, dass Geflüchtete Sozialleistungen ins Ausland überweisen. Die wenigen Statistiken, die es dazu gibt, zeigen allerdings, dass es ohnehin nur um geringe Beträge geht.

Auch die von FDP-Mann Humpich angesprochene Rolle der „Pull-Faktoren“, wonach Menschen nicht nur vor Krieg, Armut oder Verfolgung fliehen, sondern sich von Orten angezogen fühlen, von denen sie sich bessere Lebensbedingungen oder die Aussicht auf mehr Geld versprechen, ist wissenschaftlich umstritten.

In Niedersachsens Regierung rumort es

Niedersachsen trägt anders als Bremen die beschlossene Bargeldbeschränkung von 50 Euro pro Monat und Person mit. Wohl auch, weil Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) den Beschluss mit durchgefochten hat. Es rumort deswegen nun in der rot-grünen Koalition. In den Augen etlicher Grüner widerspricht das dem Geist des Koalitionsvertrages, in dem man sich ausdrücklich auf einen Abbau von Diskriminierungen und eine möglichst rasche gesellschaftliche Teilhabe von Geflüchteten geeinigt hatte.

Zu mehr als einer Protestnote scheint es aber nicht zu reichen: Man halte das beschlossene Limit für falsch. „Bei der Umsetzung der Karte muss jetzt umso mehr auf Diskriminierungsfreiheit und Alltagstauglichkeit geachtet werden“, heißt es in einer Pressemitteilung der Grünen Fraktionsvorsitzenden Anne Kura fatalistisch.

Zuvor hatte der Ministerpräsident ein Machtwort gesprochen: „Ich kannte die Kritik der Grünen und sie kannten meine Position. Im Ergebnis wird der bundeseinheitliche Betrag von 50 Euro auch in Niedersachsen zur Anwendung kommen. Auch dies ist intern geklärt“, wird Weil in der Pressemitteilung der Staatskanzlei zitiert. Deutlicher kann man nicht Basta sagen.

Flüchtlingsrat gegen das System

Der Flüchtlingsrat Niedersachsen hat diese Position scharf kritisiert. Wie die Grünen hätte er das Hannoversche Modell präferiert, wo die Bezahlkarte einfach nur als Zahlungsmittel ohne irgendwelche Beschränkungen und Kontrollen eingesetzt wird. Womit sich die Stadt immer noch sehr viel Verwaltungsaufwand und die Geflüchteten das monatliche Schlange stehen ersparen.

Beschlossen hat das Bundeskabinett im März die von den Ländern geforderte Gesetzesänderung, nach der sie Leistungen für Asyl­be­wer­be­r*in­nen statt in bar auch auf Bezahlkarten auszahlen dürfen. Am 16. Mai ist die Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes in Kraft getreten.

Die Bezahlkarten sollen, so begründeten die Länder ihre Forderung, den Aufwand für die Behörden minimieren. Außerdem könnte Geflüchtete kein Geld mehr an Fluchthelfer zahlen oder in die Heimatländer schicken.

Wie viel Geld Geflüchtete in bar abheben dürfen, sollen Länder und Kommunen regeln. In Hamburg, wo die Bezahlkarte Socialcard heißt, können Erwachsene 50 Euro pro Monat abheben, in Hannover den ganzen Betrag.

Die Beschränkungen bei der Bargeldauszahlung sieht er in einer langen Tradition der Demütigung und Ausgrenzung, die ab 1994 mit Sachleistungen und Gutscheinsystemen praktiziert wurde. Ob damit tatsächlich je eine Abschreckungswirkung erzielt wurde, ist umstritten. 2012 erklärte ein Gerichtsurteil es für verfassungswidrig, Asylbewerbern ein anderes Existenzminimum zu Grunde zu legen als anderen Sozialleistungsempfängern und beendete die Beschränkung auf Gutscheine und Sachleistungen.

Zumindest in einem Punkt scheint die Kritik bei den Ministerpräsidenten angekommen zu sein: Weil kündigte an, dass die Bezahlkarte – anders als ursprünglich geplant – vereinzelt Lastschriftverfahren ermöglichen soll, etwa für Handyverträge, den ÖPNV oder Vereinsbeiträge. Ohne Überweisungsmöglichkeit wären Geflüchtete hier sonst ausgeschlossen oder müssten auf die teureren Varianten wie Einzeltickets, Prepaidkarten und ähnliches ausweichen. Mit der Umsetzung wird Niedersachsen allerdings wie die meisten anderen Bundesländer auch noch den Ausgang des bundesweiten Vergabeverfahrens abwarten müssen. Bis dahin wird noch weiter über die Ausgestaltung gerungen werden.

Widerstand gegen Bezahlkarte geht weiter

Der Widerstand dagegen geht weiter. In Bremen wurde bereits vor drei Monaten die Petition „Nein zur Bezahlkarte in Bremen“ gestartet und in Niedersachsen hat ein Bündnis aus mehr als 40 Initiativen und Organisationen vor wenigen Tagen ebenfalls eine Petition gegen die Bezahlkarte begonnen, die in ihren Augen lediglich populistische Symbolpolitik ist.

Niedersachsens Innenministerin Daniela Behrens (SPD) hat bereits angekündigt, die Bezahlkarte sobald wie möglich landesweit einheitlich einführen zu wollen. Künftig sollen die Geflüchteten diese schon in der Landesaufnahmebehörde erhalten.

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