EU-Defizitverfahren gegen Frankreich: Kein Szenario wie in Griechenland

Frankreich reißt die EU-Schuldenregel von 3 Prozent – und muss nun rasch kräftig sparen. Das ist angesichts innenpolitischen Lage nicht einfach.

Fries des französischen Parlaments.

Wie weiter nach der Wahl? Fries des französischen Parlaments in Paris Foto: Stephane Mahe/reuters

Eine hohe Arbeitslosigkeit, stark gesunkene Haushaltseinkommen vor allem bei den Ärmsten der Armen, mehr Tuberkulosefälle, HIV-Infektionen, Depressionen und Suizide, fast doppelt so viele Totgeburten wie üblicherweise: So sah es in Griechenland nach der Finanzkrise infolge des strengen EU-Spardiktats aus. Damals verlor das Land rund ein Viertel seiner Wirtschaftskraft. Jetzt startet die EU-Kommission ein neues Defizitverfahren gegen sieben Länder: Belgien, Frankreich, Italien, Ungarn, Malta, Polen, Slowakei. Sie verstoßen, so begründet es die Kommission, gegen die EU-Schuldenregeln.

Ein Land sticht dabei besonders heraus: Frankreich. Ende 2023 weist das Land mit rund 3,1 Billionen Euro die höchste absolute Staatsverschuldung innerhalb der Europäi­schen Union auf – das entspricht 110 Prozent der Wirtschaftsleistung (BIP). Zum Vergleich: In Deutschland sind es 63 Prozent des BIP und im Durchschnitt der Eurozone 88 Prozent. Frankreichs Defizit stieg 2023 auf 5,5 Prozent, Fi­nanz­ex­per­t:in­nen erwarten für dieses Jahr zwar einen leichten Rückgang auf 5,3 Prozent. Aber nur 3 Prozent sind in der Eurozone erlaubt.

Das klingt einigermaßen dramatisch, und es steht die Frage im Raum: Droht Frankreich ein ähnliches Szenario wie seinerzeit Griechenland? Der soziale Absturz großer Bevölkerungsgruppen und ein katas­trophales internationales Image?

Wohl kaum. Frankreich muss jedoch rasch Maßnahmen ergreifen, um das Defizit zu reduzieren. Das ist ein Balanceakt angesichts der brisanten innenpolitischen Lage. Präsident Emmanuel Macron hat nach dem Sieg der Rechtspopulisten bei den Europawahlen die Nationalversammlung aufgelöst, Neuwahlen sind am 30. Juni und 7. Juli geplant, der Rechtsruck scheint kaum noch abzuwenden.

Vom Stabilitätsfaktor zum Unruhestifter

Damit einhergehen könnte eine schädliche Wirtschafts- und Sozialpolitik, doch bleibt der Aufstand der Unternehmensbosse aus. Und schon jetzt geben viele Chefs kleiner Unternehmen, darunter Handwerksbetriebe, dem RN ihre Stimme.

Frankreich, einst Stabilitätsfaktor in der EU, wird jetzt womöglich zum Unruhestifter. Folgt man den Worten des RN-Vorsitzenden Jordan Bardella, wird er sich nicht um einen Sparkurs scheren. Bardella verspricht den Unternehmen nicht nur sinkende Steuern und geringere Abgaben auf Lohnerhöhungen. Er will auch die Erhöhung des Rentenalters von 62 auf 64 Jahre zurücknehmen. Vor allem auf eines dürfte sich Brüssel vorbereiten: den Versuch, die EU auszuhöhlen und die europäische Integration rückgängig zu machen.

Das alles klingt beunruhigend. Aber ein Szenario wie seinerzeit Griechenland droht Frankreich nicht. Dafür ist die EU insgesamt wirtschaftlich zu stark.

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Ressortleiterin Meinung. Zuvor Ressortleiterin taz.de / Regie, Gender-Redakteurin der taz und stellvertretende Ressortleiterin taz-Inland. Dazwischen Chefredakteurin der Wochenzeitung "Der Freitag". Amtierende Vize-DDR-Meisterin im Rennrodeln der Sportjournalist:innen. Autorin zahlreicher Bücher, zuletzt: "Und er wird es immer wieder tun" über Partnerschaftsgewalt.

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