Die tazzigsten EU-Richtlinien: Wenn die EU am Frühstückstisch sitzt

Von Plastikdeckeln, über Mindestlohn bis zum Bootslack und Maßnahmen gegen Burnout: Die EU hat Regeln für alle Lebenslagen. Eine Auswahl aus taz-Sicht.

Graffiti mit EU-Schriftzug in Frankfurt

Europa im Alltag: EU-Graffiti in Frankfurt/Main Foto: Boris Roessler/dpa

Lasst die Plastikdeckel dran!

„Lass mich dran“, rufen zahlreiche Plastikdeckel und warnen: Bitte nicht abreißen, das gehört so! Was bereits viele Hersteller an Milchkartons und Wasserflaschen freiwillig verändert haben, ist ab dem 3. Juli diesen Jahres in Deutschland verpflichtend: die „Tethered Caps“.

Die festen Plastikdeckel sollen an Tetrapacks und Plastikflaschen befestigt sein, die ganz oder zu Teilen aus Kunststoff bestehen und ein Volumen von bis zu drei Litern besitzen. Die Deckel sind Teil der EU-Richtlinie 2019/904 vom 5. Juni 2019 zur „Verringerung der Auswirkungen bestimmter Kunststoffprodukte auf die Umwelt“. Dank ihr gibt es seit 2020 keine Plastiktüten an Supermarktkassen, Plastikbesteck und -strohhalme sind seit Juli 2021 verboten. Damit soll weniger Plastikmüll unter anderem in den Meeren landen.

Laut Untersuchungen an europäischen Stränden am Mittelmeer, der Nord- und Ostsee sowie dem Atlantik sind 80 bis 85 Prozent des Meeresmülls in der EU Kunststoffe – bei der Hälfte handelt es sich um Einwegkunststoffartikel. Einen Teil davon machen Plastikdeckel aus: An der Nordsee im Durchschnitt auf 100 Meter Strand sind das 43 Deckel.

Neben der Umweltbilanz hofft die EU auch den Recyclingprozess durch die festen Deckel zu verbessern. Denn die Flasche und ihre Kappe bestehen aus verschiedenen Kunststoffen, mit unterschiedlichem Gewicht. Die Kappen sind leichter und werden daher teilweise falsch aussortiert und nicht wieder verwertet. Spielen die Plastikdeckel überhaupt eine relevante Rolle für die Plastikverschmutzung?

Für Philip Heldt, Referent für Ressourcenschutz bei der Verbraucherzentrale, geht die Richtlinie nicht weit genug: „Die Kappen sind nur ein Detail. Insgesamt verbrauchen wir noch viel zu viele Einwegprodukte, die unsere Umwelt zumüllen.“ Man müsse den Fokus stärker auf Mehrwegangebote und ­sparsame Produktverpackungen legen. Anastasia Zejneli

Wider das Ausbrennen

Wann wohl die ersten Prognosen aus Italien kommen würden, war eine der Fragen, die die diensthabenden Re­dak­teu­r:in­nen am Tag der Wahl zum EU-Parlament umgetrieben hat. Spät, sehr spät, lautete die Antwort. Und natürlich ist die zuständige Redakteurin dann noch im Dienst. So wie sie am Vormittag schon im Dienst war und so wie sie am Vormittag des Folgetags im Dienst sein würde. Klar, wirklich gesund kann das nicht sein.

Das Bewusstsein dafür, wie gefährlich andauernder Stress am Arbeitsplatz sein kann, ist über die Jahre kontinuierlich gestiegen. Die „Rahmenrichtlinie 89/391/EWG über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit“ jedenfalls konnte das nicht verhindern. Die gilt schon seit 1989. Da nannte sich das, was sich später als Europäische Union verfasst hat, noch Europäische Wirtschaftsgemeinschaft.

Gemäß der Richtlinie sind Arbeitgeber dazu verpflichtet, Risiken zu bewerten, diese den Mitarbeitenden mitzuteilen und sich über Präventionsmaßnahmen Gedanken zu machen. So mancher Qigong-Kurs, der in einem Unternehmen zur Entspannung der Angestellten angeboten wird, mag auf diese gute, alte Richtlinie zurückgehen. Die gilt in Zeiten, in denen Ar­beit­neh­me­r:in­nen über ihre mobilen Endgeräte eigentlich immer zu erreichen sind, als überholt.

Schon 2021 hat das EU-Parlament die Kommission deshalb aufgefordert, eine neue Richtlinie auf den Weg zu bringen. Darin soll das Recht darauf verankert werden, nicht rund um die Uhr erreichbar sein zu müssen. „Wir können Millionen von Arbeitnehmern in Europa nicht im Stich lassen, die durch den Druck ständiger Erreichbarkeit und durch übermäßig lange Arbeitszeiten erschöpft sind. Jetzt ist es an der Zeit, ihnen zur Seite zu stehen und ihnen zu geben, was sie verdienen: das Recht, nicht erreichbar zu sein“, wird dazu Alex Agius Salbida von der maltesischen Partit Laburista zitiert, der Berichterstatter des EU-Parlaments für dieses Thema.

Am Ende soll es darum gehen, die in der EU festgesetzte Höchstarbeitszeit von 48 Stunden in der Woche durchzusetzen. Die Europäische Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen hat dazu eine Untersuchung vorgestellt, nach der Angestellte, die regelmäßig von zu Hause aus arbeiten, diesen Grenzwert häufig überschreiten.

Wie meinte doch eine Kollegin neulich am Ende eines langen Arbeitstages beim Verlassen des Büros? „Ich mach den Rest dann von zu Hause aus fertig.“ Andreas Rüttenauer

Auf der Suche nach Alternativen zum beliebten Bootslack

Viele Freizeitkapitäne erlebten im Frühjahr bei der Saisonvorbereitung eine böse Überraschung: Im Handel gab es kaum noch Dosen der beliebten Farbe VC17 M. Das ist ein sogenanntes Antifouling und war der an Binnengewässern effizienteste und leicht zu verarbeitende Unterwasseranstrich für Boote. Kommen diese nach der Winterpause wieder ins Wasser, setzen sich ohne einen solchen Anstrich Mikroorganismen an den Rümpfen fest und bilden eine Schleimschicht. Bald folgt der Bewuchs von Algen und Muscheln. Das verlangsamt die Fahrt der Boote und kann Rümpfe beschädigen.

Deshalb wird VC17 M aufgetragen. Sein für Mikroorganismen und Pflanzen giftiges Kupfer verhindert Bewuchs. Durch Oxidation verwandelt sich der kupferfarbene Anstrich schon nach kurzer Zeit im Wasser zu dunkelgrau. VC17 M enthält auch Teflonverbindungen, sogenannte PTFE. Die werden bei der Fahrt durchs Wasser abgetragen, dort aber nicht abgebaut, und können so in die Nahrungskette gelangen.

Ein Fall für die Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates Nr. 528/2012. Diese sogenannte Biozid-Verordnung regelt Verkauf und Verwendung von Biozidprodukten in ganz Europa, Details in Deutschland regelt die Biozidrechts-Durchführungsverordnung (ChemBiozidDV) von 2021.

Die finnische Agentur für Sicherheit und Chemikalien (TUKES) hatte im Rahmen eines BPR-Verfahrens (Biozidal Product Regulation) der EU auf Risiken des beliebten VC17 M hingewiesen. Die 2007 gegründete Europäische Chemikalienagentur (ECHA), eine von der EU-Kommission unabhängige Behörde mit Sitz in Helsinki, leitete daraufhin 2023 ein Verbotsverfahren von VC17 M ein, das viele Segler und Motorbootfahrer aber zunächst nicht mitbekamen. Bereits zum Jahreswechsel stellte der niederländische Farbenkonzern AkzoNobel, Markführer bei VC17 M, dessen Produktion ein.

Im März, wenn die meisten Boote für die neue Saison gestrichen werden, war VC17 M fast überall ausverkauft. Es setzte ein Run auf Restbestände an. Gab es noch irgendwo die blau-weißen Dosen mit dem roten Streifen, hatte sich ihr Preis oft verdoppelt. Bis zum 30. April 2024 durften Händler noch Lagerbestände verkaufen, bis zum 2. November 2024 darf die Farbe von Privatpersonen noch verstrichen werden. Danach nur noch von professionellen Werften und nur noch für Fahrten auf dem Atlantik. Mittelmeer, Ostsee und Binnengewässer sind tabu.

Jetzt suchen Freizeitkapitäne nach Alternativen. Zwar versprechen Hersteller Ersatzprodukte, aber die haben sich bislang noch nicht durchgesetzt. Auch kann nicht jedes Antifouling einfach auf VC17 M aufgetragen werden. Vertragen sich unterschiedliche Farbchemikalien nicht, muss die alte Schicht zuvor restlos abgeschliffen werden. Eine mühsame giftige Drecksarbeit.Sven Hansen

Wie niedrig darf der Stundenlohn sein?

Wie viel ist eine Arbeitsstunde wert: 14 oder 15 Euro? Oder doch nur 12,82 Euro? In Deutschland wird über die Höhe des gesetzlichen Mindestlohns gestritten. Gewerkschaften, Grüne und Linke, ja selbst Olaf Scholz, wollen eine Untergrenze von 15 Euro. CDU und FDP sind gegen eine solche politische Festlegung. Denn es gibt ja noch die Mindestlohnkommission, und die hat festgelegt, dass der Mindestlohn von derzeit 12,41 im nächsten Jahr um – Haltet euch fest! – 41 Cent auf 12,82 steigt. Na gut, die ArbeitgeberInnen haben das Ar­beit­neh­me­rIn­nen­la­ger einfach überstimmt.

Doch warum streiten? Eigentlich gilt schon seit 2022 die EU-Richtlinie über „angemessene Mindestlöhne“ (2022/2041). Die besagt, dass der Mindestlohn rund 50 Prozent des durchschnittlichen Bruttolohns oder 60 Prozent des Medianlohns in dem jeweiligen Land entsprechen sollte. In Deutschland wären das rund 14 Euro. Die Mitgliedsländer sollen die Richtlinie bis Mitte November umsetzen. Es könnte so einfach sein: Deutschland macht mit, und von der SpargelstecherIn bis zur ErdbeerverkäuferIn sind alle zufrieden.

Aber so einfach ist es nicht. Denn die Richtlinie gibt leider nur Richtwerte vor; ob und in welcher Höhe ein gesetzlicher Mindestlohn gilt, liegt weiterhin in der Hand des jeweiligen Landes. Für die SPD-Europaabgeordnete Gabi Bischoff steht dennoch fest: „Deutschland muss die Mindestlohn-Richtlinie umsetzen.“ In den Niederlanden und Irland sei der Mindestlohn zuletzt um über 12 Prozent erhöht worden – in Deutschland waren es 3,4 Prozent, so Bischoff zur taz. Kroatien, Zypern und Estland nähmen die Richtwerte der Mindestlohn-Richtlinie als Maßstab für die Bestimmung der Höhe des Mindestlohns. Bulgarien habe den Wert von 50 Prozent des Durchschnittslohns gesetzlich festgeschrieben. Bischoff findet: „Aus europäischer Sicht hinkt die Debatte in Deutschland ziemlich hinterher.“ Anna Lehmann

Ende einer Brückentechnologie

Am Samstag, dem 1. September 2012, ist die vierte Stufe des europäischen Glühlampenausstiegs in Kraft getreten. Seitdem sind fast alle Glühlampen zwar nicht ganz verboten, aber sie können, brennt ein Glühfaden durch, nur noch durch energiesparende Kompaktleuchtstofflampen, Halogen- oder LED-Lampen ersetzt werden. Mit der wohlklingenden Änderungsverordnung 2023/2049/EU wird die Energiesparlampe nun zur Brückentechnologie. Auch sie darf seit dem vergangenen Jahr in den Ländern der Europäischen Union nicht mehr in Umlauf gebracht werden.

Das Ende kommt nach zahlreichen Einzelschritten. Die Ökodesign-Richtlinie 2005/32/EG setzte den Startschuss für das deutsche „Gesetz über die umweltgerechte Gestaltung energieverbrauchsrelevanter Produkte“. Unterschiedliche Generaldirektionen der Europäischen Kommission überarbeiteten die verschiedenen Richtlinien und Verordnungen des Glühlampenausstiegs seitdem immer wieder.

Das habe zu Verwirrung geführt, sagt Christoph Mordziol vom Umweltbundesamt der taz. „Die Regelungen waren nicht aufeinander abgestimmt.“ Auch deshalb ließe sich nicht genau sagen, wie viel Energie durch die eine oder andere Verordnung wirklich eingespart wurde. Der wichtigste Schritt steht aber noch bevor: In Büros, Parkhäusern, U-Bahnhöfen und Gewerberäumen müssen Leuchtstofflampen seit 2023 durch noch einmal deutlich sparsamere LED-Lampen ersetzt werden. Das Energiesparpotenzial dabei übertreffe selbst das des Glühlampenausstiegs von Privathaushalten bei Weitem.

Allerdings bringe es auch einige Schwierigkeiten mit sich: Leuchtenkästen seien darauf ausgelegt, Licht auf eine bestimmte Art und Weise zu verteilen, die mit flächig strahlenden LEDs nicht kompatibel sei. Auch seien diese nur eingeschränkt sockeltauglich – „rausdrehen, reindrehen, damit ist es nicht getan“. Gewerbetreibende sollten sich deswegen früh Hilfe beim Umrüsten suchen. Raoul Spada

Smart ausgesperrt

In der Software des vernetzten Türschlosses muss ein Fehler sein. Anders ist es nicht zu erklären, dass ein Unbefugter die Tür öffnete, die Wohnung in aller Ruhe durchwühlte und mitnahm, was sich zu Geld machen ließ. Klingt nach Science-Fiction? Vielleicht. Aber vernetzte Türschlösser gibt es längst und je weiter sie sich verbreiten, desto häufiger kann es zu Problem kommen. Dann können Unbefugte rein, oder Befugte müssen draußen bleiben.

In immer mehr Gegenständen steckt Software: In den aktuellen Generationen von Autos, Waschmaschinen und Stromzählern, und ohnehin in Geräten wie Staubsaugerrobotern und Smartphones oder in der Ausstattung für die vernetzte Haussteuerung von Thermostat bis Rollladen. Weil unsere Alltagsgeräte zunehmend mit Software ausgestattet werden, erneuert die EU auch die Produkthaftungsrichtlinie 2022/0302 – die alte würde im kommenden Jahr 40 werden.

Die wichtigste Neuerung: Auch Software gilt als Produkt. Der Hersteller soll haftbar sein, wenn durch sie eine Sache oder eine Person zu Schaden kommt. Ver­brau­cher­schüt­ze­r:in­nen begrüßen, dass auch anerkannte Beeinträchtigungen der psychischen Gesundheit als Schaden gelten sollen. Auch eine bisher geltende Schadensmindestgrenze von 500 Euro für eine Rückerstattung soll wegfallen.

Doch leicht wird es Ver­brau­che­r:in­nen trotzdem nicht gemacht. Zwar muss unter bestimmten Bedingungen der Hersteller beweisen, dass es kein Fehler in seinem Softwareprodukt war, der zu dem Schaden geführt hat – und nicht di­e:der Betroffene, also dass ein Fehler die Ursache war.

Doch diese Erleichterung gilt erst im Gerichtsverfahren. Um dorthin zu kommen, brauchen Ver­brau­che­r:in­nen also weiterhin umfangreichen technischen Sachverstand oder eine entsprechende Beratung und die dafür benötigten finanziellen Mittel. Wirksam werden sollen die Regeln nach einer Übergangsfrist im Jahr 2026 – genügend Zeit, um sich gründlich mit dem smarten Türschloss zu beschäftigen. Svenja Bergt

Jede Menge Kabel

Eine Schublade voller Kabel, das eine für die Digitalkamera, das andere für die Kopfhörer, das dritte für den Laptop und dann noch eins fürs Handy – damit soll bald Schluss sein. Ab Herbst 2024 dürfen in der EU nur noch mobile Elektrogeräte verkauft werden, die über ein USB-C-Kabel aufgeladen werden können.

Auf das einheitliche Ladekabel drängt das EU-Parlament schon seit mehr als 10 Jahren, doch erst 2021 legte die Europäische Kommission einen entsprechenden Vorschlag vor. 2022 verabschiedete das EU-Parlament die Richtlinie 2022/2380, der Bundestag setzte sie im Frühjahr 2024 um. Ab diesem Herbst ist der USB-C Anschluss Pflicht für Mobilgeräte. Im Jahr 2026 sollen außerdem Laptops folgen.

Die Maßnahme soll Elektroschrott reduzieren, jährlich 11.000 Tonnen davon fallen laut Bundeswirtschaftsministerium alleine durch die verschiedenen Ladegeräte an. Ver­brau­che­r*in­nen sollen außerdem Geld sparen, laut Schätzungen der EU geht es um jährlich 250 Millionen Euro. Die Richtlinie enthält zudem Regeln für die Etikettierung von Elektrogeräten. Hersteller müssen künftig deutlicher kennzeichnen, wie Geräte aufgeladen werden können. Ver­brau­che­r*in­nen sollen somit leichter erkennen, ob sie für ein neues Gerät ein neues Ladekabel benötigen.

Besonders ein Hersteller hatte lange gegen die Vereinheitlichung der Ladebuchse lobbyiert, nicht ohne Grund wird die Richtlinie von manchen auch „Anti-Apple-Gesetz“ genannt. Während andere Hersteller schon längst auf USB-C-Anschlüsse umgerüstet haben, verkaufte der iPhone-Hersteller seine Handys bislang mit seinem eigenen „Lightning-Kabel“. Auf die Einnahmen aus dem Verkauf dieser Kabel muss Apple künftig verzichten, ebenso auf Geld aus „Lightning-Lizenzen“, die jeder, der ein Lightning-Kabel oder anderes Zubehör herstellt, an Apple bezahlen muss. Die neue europäische Ladekabeleinheit hat auch Auswirkungen auf den Weltmarkt: Das neuste iPhone, das Apple im September 2023 auf den Markt brachte, wird weltweit mit einer USB-C-Ladebuchse verkauft. Luisa Faust

Kicken ohne Gummikugeln

Die Reaktionen fielen so aus, wie so oft, wenn eine neue Regel aus Brüssel diskutiert wird. Es wurde Panik gemacht. Wer Schlagzeilen las wie „Geplantes Kunstrasenverbot bedroht Amateur-Fußball“ musste es mit der Angst zu tun bekommen. Ist Europa gerade dabei, das Ende von Deutschland als Fußballnation zu besiegeln? Bevor das später als REACH-Verordnung bekannt gewordene Regelwerk „zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe hinsichtlich synthetischer Polymermikropartikel“ (Nr. 1907/2006) Ende des vergangenen Jahres in Kraft getreten ist, waren die Befürchtungen in den deutschen Amateurklubs, deren Teams meist auf Kunstrasen spielen, jedenfalls groß.

Jene Kunststoffkügelchen, die meist aus alten Autoreifen hergestellt werden, sollen dafür sorgen, dass Spielerinnen und Spieler beim Tackling mit der Arschbacke auch mal ein paar Meter über den Rasen rutschen können, ohne sich allzu schwere Abschürfungen zuzuziehen. Die meisten Gemeinden und Klubs können mit der Verordnung jetzt, wo sie gilt, ganz gut leben.

Zum einen war schon seit 2019 klar, dass die EU gegen die Verbreitung von Mikroplastikpartikeln in der Umwelt etwas unternehmen möchte. Zum anderen muss das Gummigranulat erst in acht Jahren von den Sportanlagen verschwunden sein. Bis dahin müssen die meisten Plätze eh einer Sanierung unterzogen werden. Und für die Gummikügelchen gibt es längst auch schon Ersatzprodukte. Die einen probieren es mit Kork. Andere setzen auf Sand. Wieder andere warten noch ab, bis es eine umweltverträgliche Lösung gibt, die den Eigenschaften der Gummikügelchen irgendwie ähnlich sind.

Die grünen Kunstrasenhalme selbst sind von der Verordnung nicht betroffen. Und so sind die rund 24.000 Quadratmeter Plastikrasen, die in Berlin vor dem Brandenburger Tor verlegt worden sind, um der Fanmeile in der Hauptstadt ein grasgrünes EM-Outfit zu verpassen, vollkommen EU-konform. Andreas Rüttenauer

Wenn die EU am Frühstückstisch sitzt

Wer heute einen üblichen Supermarkt-Honig kauft, kann sich beim Lesen des Etiketts schnell veralbert fühlen. Denn ein typischer Satz darauf lautet: „Mischung von Honig aus EU-Ländern und Nicht-EU-Ländern.“ Damit ist nicht gemeint, dass eine Imkerin ihre Bienen genau an der Grenze von beispielsweise Österreich und der Schweiz fliegen lässt und man daher nicht so genau sagen kann, ob die Honigquelle in- oder außerhalb der EU liegt. Sondern: Was genau im Glas ist, will der Hersteller nicht verraten. Das schöne ist: Spätestens zum Sommer 2026 wird der Satz verschwinden.

Bei Honigmischungen müssen dann die Herkunftsländer und ihr jeweiliger Anteil angegeben werden. Ver­brau­che­r:in­nen können also sehen, was hier gegebenenfalls zusammengerührt wurde – und auf dieser Basis ihre Kaufentscheidung treffen. Wobei der Deutsche Imkerbund kritisiert, dass es noch ein kleines Schlupfloch gibt: So können die EU-Mitgliedsstaaten entscheiden, ob bei ihnen nur die vier größten Anteile angegeben werden müssen. Das ist möglich, wenn diese zusammen mehr als die Hälfte der Mischung ausmachen.

Die Honig-Regelung ist Teil der im April verabschiedeten Novelle 2023/0105. Diese enthält vier Richtlinien, die gerne bei ihrem Kosenamen genannt werden: Frühstücksrichtlinien. Neben Honig geht es nämlich auch um Konfitüre, Saft und Trockenmilch. So gibt es für Konfitüren künftig Mindestmengen für den Obstanteil.

Und bei Saft werden neue Kennzeichnungskategorien eingeführt, die der steigenden Nachfrage nach zuckerreduzierten Getränken gerecht werden sollen. Anders als beim Honig könnten die Saftbeschriftungen aber auch für mehr Verwirrung sorgen. Denn der Unterschied zwischen „zuckerreduziertem Fruchtsaft aus Konzentrat“ und „konzen­triertem zuckerreduziertem Fruchtsaft“ wird wohl den wenigsten auf den ersten Blick klar sein. Dann zum Trinken vielleicht doch lieber Wasser. Oder einen Bee’s Knees Mocktail – mit regionalem Honig. Svenja Bergt

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