Pistorius' Pläne zur Wehrpflicht: Rekrutierung mit Fragebogen

Braucht Deutschland eine Wehrpflicht? Unsere Kolumnistin findet die Pläne von Verteidigungsminister Pistorius nicht schlecht. Mit Vorbehalten.

Ein Soldat mit Fernglas.

„Wer ist eigentlich da?“, fragt Verteidigungsminister Pistorius. Im Bild einer der letzten Wehrpflichtigen im Jahr 2011 Foto: Arno Burgi/dpa

Das wirkt doch erst einmal ganz überzeugend, wie der Verteidigungsminister Boris Pistorius das mit ­dieser Wehrnichtpflicht machen will. Das ganze Gerede über die Spitzenpersonaltaktik ringsherum – ob nun Olaf Scholz den Minister zwischendurch klein gemacht hat und was das über wessen Kanzlertauglichkeit zu sagen hat – darf dann auch mal zurückgestellt werden. Es war ja relativ klar, dass es bis zur nächsten Bundestagswahl nur einen Einstieg in ein „Unsere Truppe muss wachsen“-Programm geben konnte.

Wenn die Union nun herumheult, sie hätte doch etwas Größeres mitgetragen – also das volle Pflichtprogramm inklusive Grundgesetzänderung –, so hätte ich mich da jedenfalls auch nicht drauf verlassen. Jetzt aber soll eben ein ganzer Jahrgang Post bekommen, und die Jungs müssen antworten und sich gegebenenfalls mustern lassen, niemand wird zum Waffendienst gezwungen.

Damit müssten doch ein paar Tausend Leute mehr für die Bundeswehr zu gewinnen sein als bisher, zumal, wenn zum Beispiel ein Führerschein dabei herausspringen sollte, was angesichts der letzthin komplett irre gewordenen Fahrschulkosten für viele junge Menschen ein echtes Argument sein könnte.

Erst mal müsse man ja überhaupt herausfinden: „Wer ist eigentlich da?“ sagte Pistorius am Mittwoch im ZDF. Auch über die Reservisten gebe es leider gar keinen Überblick. Auf die mehreren Hunderttausend Ex-Gedienten hat der Minister auch ein Auge geworfen und hofft, einen gewissen Teil von ihnen dazu bewegen zu können, sich mal wieder bei der Bundeswehr zu melden. Womit aber auch deutlich wird, dass die ganze Personalgewinnungsaktion zunächst in genau das ausarten dürfte, was die Bundeswehr besonders gut kann: sich in bürokratischen Vorgängen verzetteln.

Brauchen wir mehr Soldaten wegen Russland?

Die Adressen der 18-Jährigen scheinen zwar bereits da zu sein, sie werden ja jetzt schon angeschrieben, nur eben mit Werbung und nicht mit Fragebogen. Ich gehe aber manche Wette ein, dass ein Gutteil der bevorstehenden Berichterstattung davon handeln wird, dass wegen der nicht gegebenen Digitalisierung diverser Unterbehörden leider soundsoviel Zehntausend Menschen nie erreicht wurden oder keiner musternden Lokalität zugeordnet werden konnten – oder wie auch immer.

Wobei ich mit solchen Spekulationen nicht über den ernsten Hintergrund der Sache hinwegalbern möchte. Es ist überaus plausibel, dass wir mehr SoldatInnen brauchen als heute, um einer Bedrohung aus Russland etwas entgegenzusetzen.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Nur leidet die Diskussion darüber, was zur Abwehr eines skrupellosen Aggressors wie Wladimir Putin zu unternehmen sei, seit dem ersten Kriegstag enorm an einem Gegensatz, der sich unter solchen Umständen wohl immer auftut: zwischen dem beliebig riesengroß vermutbaren Risiko einerseits und den eingeübten bundesdeutschen Verwaltungsrealitäten andererseits. Das eine, das Kriegsszenario, ist so fürchterlich, dass das andere, der vertraute, zivil geprägte politische Handlungsspielraum, stets läppisch dagegen wirkt. Und doch müssen dazwischen argumentative Brücken gebaut werden.

Heißt aber auch: Viel, viel mehr müsste noch erläutert werden. Warum zum Beispiel lautet die Zielgröße für die Bundeswehr jetzt 203.000, wie setzt sich diese Zahl zusammen? Was sollen all die neu zu gewinnenden SoldatInnen können, damit die Republik sich wehrhafter fühlen darf? Die Gefahr ist natürlich groß, dass hier allzu deutlich wird, wie viele wilde Schätzungen und gröbste Vermutungen dabei im Spiel sind. Aber auch daran muss eine demokratische Öffentlichkeit sich dann vermutlich gewöhnen.

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Chefredakteurin der taz seit Sommer 2020 - zusammen mit Barbara Junge in einer Doppelspitze. Von 2014 bis 2020 beim Deutschlandfunk in Köln als Politikredakteurin in der Abteilung "Hintergrund". Davor von 1999 bis 2014 in der taz als Chefin vom Dienst, Sozialredakteurin, Parlamentskorrespondentin, Inlandsressortleiterin. Zwischendurch (2010/2011) auch ein Jahr Politikchefin bei der Wochenzeitung „der Freitag“.

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