Nahost-Konflikt im südlichen Libanon: Es ist nicht ihr Kampf

Die Angriffe Israels und der libanesischen Hisbollah werden heftiger. Dennoch harren die Menschen in der Grenzregion im Libanon aus.

Eine Rakete ist an einem Strassenrand aufgestellt

Attacke in Richtung Israel: Hisbollah-Stellung im Südlibanon Foto: Patricia Chaira/SIPA/action press

BEIRUT taz Ich habe bisher zwei Kriege durchlebt: 2006 und diesen, doch dieser ist zerstörerischer“, erzählt Aiman Aissami. Der 34-Jährige Libanese wohnt im Dorf Maimes im Südlibanon, rund zehn Kilometer von der Grenze zu Israel entfernt. „Die Waffen werden stärker. 2006 fielen die Häuser zusammen, heute wird der Beton direkt zu Staub.“

Jeden Tag, berichtet er der taz am Telefon, höre er den Lärm der israelischen Bombardierung. „Die Luftangriffe durchbrechen die Schallmauer über den Dörfern hier. In meinem Haus sind seit Kriegsbeginn drei Fenster zerbrochen.“ Er erzählt von seiner Tochter, die Panik­attacken hat wegen der täglichen Luftangriffe. Doch Aissami will trotz allem bleiben, er hat sich in Maimes eine Existenz aufgebaut: Auf zwei Hektar Land baut er Gemüse an und produziert Olivenöl; das Öl exportiert er nach Brasilien.

Seit Beginn des Gazakriegs im Oktober schießt die vom Iran unterstützte Hisbollah aus der südlichen Grenzregion des Libanon mit Raketen, Artillerie und Panzerabwehrgranaten auf Israel. Israel wiederum bekämpft mit Luft- und Artillerieangriffen die Stellungen der Hisbollah. Mindestens 473 Menschen wurden im Libanon durch israelische Angriffe getötet. Die meisten von ihnen waren Kämpfer, aber auch 93 Zivilist*innen, das hat die Nachrichtenagentur AFP gezählt. Israel gibt an, dass 15 israelische Soldaten und 11 Zi­vi­lis­t*in­nen getötet wurden. In Orten an beiden Seiten der Grenze hat der gegenseitige Beschuss Felder und Häuser zerstört. Rund 150.000 Menschen mussten ihre Häuser verlassen, davon rund 90.000 im Libanon. Aissami sagt, ganze Dörfer seien hier inzwischen menschenleer.

Die Hisbollah hat in der vergangenen Woche, nachdem einer ihrer hochrangigen Kommandeure bei einem israelischen Angriff getötet wurde, ihre Attacken noch mal verstärkt. Die Miliz greift nun tiefer im Landesinneren Israels an, setzt bewaffnete Drohnen und Raketen ein, von denen manche nicht vom israelischen Luftabwehrsystem abgeschossen werden können und bis in die nördlichen Vorote von Haifa kommen. Und Israel antwortet darauf ebenfalls mit Eskalation: Am Dienstag haben ranghohe israelische Kommandeure mitgeteilt, Pläne für eine größere Offensive im Libanon abgesegnet zu haben.

„Wir sind mit etwas konfrontiert, was wir nicht abschätzen oder erwarten können“, sagt der Olivenbauer Aissami. „Wir wissen nicht, wo und wann sie bombardieren. Früher bin ich zweimal die Woche für die Arbeit nach Beirut gefahren. Jetzt ist der Weg nicht mehr sicher.“ Erst letztens sei jemand gestorben, weil das Auto mit einer Rakete beschossen wurde. „Darin waren Zivilisten, sie hatten nichts mit dem Widerstand [der Hisbollah; Anm. d. Red.] zu tun.“

Zwar sagt die israelische Regierung, dass es die Hisbollah bis 30 Kilometer hinter die Grenze, bis zum Fluss Litani, drängen möchte. So sieht es eine UN-Resolution aus dem Jahr 2006 vor. Doch israelische Luftangriffe reichen viel weiter, bis zu 100 Kilometer hinter die Grenze ins libanesische Landesinnere: Bis Baalbek an der Grenze zu Syrien und auch nach Beirut fliegen die Geschosse. Dort wurde Anfang Januar ein Hamas-Kommandant mithilfe einer Drohne gezielt getötet.

„Die Sicherheitslage ist katastrophal und sehr angespannt“, erzählt Jasmin Lilian Diab. Sie kommt selbst aus dem Südlibanon und ist Expertin für Migration, Gender und Konfliktforschung an der Libanesisch-Amerikanischen Universität. „Die Leute haben große Angst, sich zu bewegen. Es gibt Menschen, die momentan im Süden sozusagen gefangen sind.“ Diab hat Anfang des Jahres für die Frauenrechtsorganisation der Vereinten Nationen, UN Women, analysiert, welchen Einfluss der Krieg an der Südgrenze auf Frauen und vulnerable Gruppen wie Mi­gran­t*in­nen hat.

„Für die Li­ba­ne­s*in­nen ist es etwas einfacher“, sagt sie, denn diese Familien hätten oft Optio­nen, in die Hauptstadt Beirut zu ziehen, wo viele ein Haus besäßen, und generell habe diese Gruppe eher stabile Einkommensquellen. Weniger gut sehe es für Ein­wan­de­r*in­nen aus: Sie würden sich häufig „mit freiberuflichen Tätigkeiten, Tages- oder Gelegenheitsjobs über Wasser halten.“ Das gelte vor allem für Syrer*innen, migrantische Arbeiterinnen und Frauen allgemein. Viele der Geflüchteten, mit denen sie gesprochen habe, hätten zuvor festere Einkommensquellen gehabt: in kleineren Unternehmen oder Fabriken. „Doch diese Arbeitsplätze sind wegen des Kriegs geschlossen oder laufen auf geringer Kapazität.“

Viele Geflüchtete arbeiten als Tagelöhner in der Landwirtschaft. „Doch Aufenthalte auf offenem Feld sind gefährlich. Und ein großer Teil des Landes im Süden ist mit weißem Phosphor belastet.“ Die chemische Substanz wird in Artilleriegeschossen, Bomben und Raketen verteilt und entzündet sich bei Kontakt mit Sauerstoff. Die Brandwirkung kann Menschen töten, führt zu Verbrennungen oder Atemwegsschäden.

Lilian Diab, Migrationsexpertin

„Es gibt Menschen, die im Südlibanon quasi gefangen sind“

Einsatz von weißem Phosphor

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch hat den Einsatz von weißer Phosphormunition durch israelische Streitkräfte zwischen Oktober und Juni in mindestens 17 Gemeinden im Südlibanon dokumentiert, darunter in 5 Gemeinden über Wohngebieten. Der Bürgermeister des Dorfs Boustane sagte der Menschenrechtsorganisation, dass zwei Menschen durch einen Phosphor-Angriff in ihren Häusern erstickt sind. Der Einsatz von weißem Phosphor gegen die Zivilbevölkerung ist nach humanitärem Völkerrecht verboten.

Seine Felder hat es nicht getroffen, sagt Aissami, der auch Gerste, Gurken und Tomaten anbaut. „Ein Freund hatte 500 Jahre alte Olivenbäume. Sie wurden durch den Phosphor und das damit ausgelöste Feuer einfach niedergebrannt. Selbst wenn meine Olivenhaine nicht betroffen sind, die Leute kaufen unser Öl nicht mehr, aus Angst davor, dass es belastet sein könnte. Das ist eine große wirtschaftliche Einbuße.“ Außerdem habe er drei syrische Erntehelfer gehabt, die vor dem Krieg geflohen seien.

Andere konnten nicht fliehen. Die wichtigste Stütze für diese Menschen seien gemeinschaftliche Unterstützungsnetze, sagt die Wissenschaftlerin Diab. „Ini­tiativen, Humanitäre Organisationen und kleinere NGOs organisieren Behelfsunterkünfte oder spenden Essen. Denn die Kommunen im Süden haben derzeit nur sehr begrenzte Kapazitäten.“

Der Staat ist pleite, daher fließen kaum staatliche Mittel. Es gab kein staatliches Evakuierungsprogramm und es wird auch keine Gelder für den Wiederaufbau geben. Die Behörden hätten geschlossen, sagt Diab, genauso seien Kliniken dicht, die sonst medizinische Hilfe anbieten. Auch davon seien Frauen, Queers oder Mi­gran­t*in­nen stärker betroffen. Diab zählt auf: „Wenn eine Frau einen Gewalttäter angezeigt hat, liegt die Akte jetzt auf Eis. Schwangere müssen weit fahren, um ihr Kind zu bekommen, und in Notunterkünften wird nicht nach Geschlechtern getrennt.“ Ausländische Haushaltsangestellte hätten ihr erzählt, dass sie auf das Haus aufpassen sollten, während die Familie zu Verwandten nach Beirut geflüchtet sei.

Viele Menschen fühlen sich in einen Krieg hineingezogen, der nicht der ihre ist. In dem mehrheitlich christlichen Grenzdorf Rmeisch hatte eine Gruppe von Hisbollah-Mitgliedern Ende März versucht, einen Raketenwerfer zu installieren. Laut lokalen Medien bemerkte ein Bewohner die Aktion und intervenierte. Mehrere Dorfbewohner schlossen sich an, es kam zu einer Schlägerei. Die Hisbollah-Mitglieder sollen daraufhin in die Luft geschossen haben.

„Hier in unserer drusischen Gemeinde haben wir so etwas wie einen Deal mit der Hisbollah“, erklärt Aissami. „Die drusischen Anführer Walid Dschumblat und Talal Arslan haben eine Abmachung getroffen. Sie wollen nicht, dass die Hisbollah unser Land nutzt, um irgendwelche Widerstandsoperationen durchzuführen. Das gibt uns ein bisschen Frieden.“

Der Unternehmer ist Druse, im Libanon aufgewachsen, hat einige Zeit in Brasilien gelebt und deshalb auch den brasilianischen Pass. Mit der Intensivierung der Angriffe denkt er darüber nach, auszuwandern: „Ich wollte, dass meine Kinder ihre Kindheit an dem Ort verbringen, an dem ich aufgewachsen bin. Aber ich sorge mich auch um meine Kinder“, sagt er. „Ich möchte nicht, dass sie dieses Trauma erleben. Ich denke, eines Tages werden die Erlebnisse sie psychisch einholen. Sie verstehen nicht, dass die Bombardierung nur drei bis fünf Kilometer von uns entfernt ist. Das ist momentan schon eine weite Distanz für uns, aber in einem normalen Land sollte ‚weit weg‘ eher 3.000 Kilometer bedeuten.“

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