piwik no script img

Publizist über Wahlen in Venezuela„Der Chavismus ist sehr geschwächt“

Bei den Präsidentschaftswahlen in Venezuela im Juli könnte die Opposition gewinnen, wenn die Wahl fair läuft, meint der Publizist Andrés Cañizález.

Präsidentschaftskandidat Edmundo González Urrutia in Caracas, 16. Mai Foto: Edmundo Gonzalez/ap
Katharina Wojczenko
Interview von Katharina Wojczenko

taz: Herr Cañizález, zur Präsidentschaftswahl in Venezuela am 28. Juli treten 37 Parteien mit 12 Kandidaten an. Nicolás Maduro will natürlich Präsident bleiben, aber das ist doch mal Auswahl?

Andrés Cañizález: Das sind zum größten Teil Kandidaten einer loyalen Opposition, Leute, die nicht offen für den Chavismus kämpfen, aber eben auch keinen Wechsel anstreben. Die echte Opposition erkennst du an den vielen Steinen, die ihr in den Weg gelegt wurden. Kann die derzeit populärste Person in Venezuela kandidieren? Nein, María Corina Machado wurde von dem Rechnungsprüfungsamt disqualifiziert, das von Maduros Regierung abhängt.

privat
Im Interview: Andrés Cañizález

Publizist, Medien- und Politikwissenschaftler und assoziierter Forscher der Universidad Católica Andrés Bello in Venezuela. Er lebt in Barquisimeto.

Wie viele echte Op­po­si­ti­ons­kan­di­da­t:in­nen gibt es denn Ihrer Einschätzung nach?

Einen. Edmundo González Urrutia.

Präsidentschaftswahlen in Venezuela

Kandidat:innen: Am 28. Juli sollen in Venezuela Präsidentschaftswahlen stattfinden. Seit Kurzem sind die Kandidat:innenlisten offiziell geschlossen. Der großen Hoffnungsträgerin der Opposition, María Corina Machado, war schon im Oktober letzten Jahres mit dubioser Begründung die Kandidatur verboten worden. Ihre Nachfolgekandidatin Corina Yoris konnte sich nicht bei der Wahlbehörde registrieren. Doch dann kam kurz nach Ablauf der Frist noch ein Oppositionskandidat auf die Liste.

Wahlbeobachtung: Eigentlich sollten auch 85 EU-Wahlbeobachter:innen den Ablauf der Wahlen begutachten. Ende Mai jedoch lud Venezuela die Mission unter Protest gegen von der EU verhängte Sanktionen wieder aus. Allerdings hält die EU nur personenbezogene Sanktionen aufrecht, die weder staatliche Unternehmen noch öffentliche Güter betreffen.

Edmundo González Urrutia war mal Botschafter in Argentinien und Algerien, ist 74, Generalsekretär des Oppositionsbündnisses – was weiß man denn sonst über ihn?

Wir lernen Herrn González gerade erst kennen. Er war immer politisch engagiert, aber immer im Hintergrund, hatte nie ein relevantes Amt inne. Die sozialen Netzwerke hat er nicht benutzt, sodass er wenig Angriffsfläche bietet. Er ist ein ruhiger Mensch, will eine Rückkehr zur traditionellen Politik vor Chávez. In Venezuela wohnen heute vor allem ältere Menschen, weil die Jungen ausgewandert sind. Er spricht sie an.

Wie ist denn die Lage der Opposition in Venezuela derzeit?

Nach Jahren der Zersplitterung ist es den oppositionellen Kräften in Venezuela erstmals wieder gelungen, ihre Differenzen zu überwinden und sich zu einigen. Das ist neu.

Und der Chavismus, die Bewegung um Nicolás Maduro?

Der Chavismus ist sehr geschwächt, auch gibt es im Inneren verschiedene Strömungen. Aber er hat immer noch die Kontrolle. Nicolás Maduro ist weiter an der Macht. Aber wenn die Wahlen stattfinden und einigermaßen fair ablaufen,würde Maduro verlieren.

Sehen Sie dafür eine Chance?

Venezuelas Regierung ist ein autoritäres Regime. Aber es bemüht sich um internationale Anerkennung. Das liegt daran, dass die Regierung mehrere Jahre in internationaler Isolation verbracht hat nach den Wahlen von 2018, bei denen Maduro praktisch keinen Gegenkandidaten hatte. Maduro braucht diesen demokratischen Anstrich, um sich als legitimer Präsident anerkennen zu lassen. Deshalb besteht er auch auf der Anwesenheit internationaler Wahlbeobachter:innen.

Werden die Wahl­be­ob­ach­te­r:in­nen etwas finden?

Am Tag der Wahl wird die Regierung keinen Betrug begehen müssen. Der Betrug wird nicht am Wahltag stattfinden, sondern vorher. Die Disqualifizierung der wichtigsten Oppositionsführerin ist Teil davon. Denn diese Frau hat zum Beispiel gar keine öffentlichen Gelder verwaltetet (das Rechnungsprüfungsamt wirft ihr Korruption unter der Guaidó-Interimsregierung vor – obwohl sie dieser nicht angehörte; Anm. d. Red.).

Wird Nicolás Maduro wieder Präsident?

Vor ein paar Monaten hätte ich noch gesagt: Maduro wird wiedergewählt werden. Heute habe ich Zweifel. Ich weiß noch nicht, was passieren wird. Das liegt am Druck der Opposition, der Unzufriedenheit in Venezuela mit der Maduro-Regierung und am Verhalten der internationalen Akteure.

Warum lehnen laut Umfragen 80 Prozent der Ve­ne­zo­la­ne­r:in­nen Maduro ab?

Ein Großteil der Unzufriedenheit hat mit der Wirtschaftskrise zu tun. Viele junge Leute denken darüber nach, das Land zu verlassen. Im Moment warten viele ab, was bei den Wahlen passiert. Ich denke, wenn Maduro gewinnt oder sich nachträglich aufzwingt, wird die Auswanderung deutlich ansteigen.

Laut der Prognose des Internationalen Währungsfonds soll das reale Bruttoinlandsprodukt 2024 um 4 Prozent wachsen. Spüren die Menschen in Venezuela eine Verbesserung?

Innerhalb der Städte, vor allem in Caracas, gibt es Blasen, in denen mehr konsumiert wird, in denen es mehr Produkte gibt. Das betrifft eine Mittelschicht, die es geschafft hat, im Ausland zu arbeiten oder an Dollars zu kommen. Entweder durch Überweisungen von Verwandten, die ausgewandert sind, oder weil sie einen dollarisierten Arbeitsplatz haben. Ihr Unternehmen bezahlt in Bolívar, aber zum Dollarkurs. Studierende arbeiten zum Beispiel als Communitymanager für Venezolaner, die ins Ausland gegangen sind. Sie zahlen ihnen dann lächerliche 50, 80 Dollar monatlich. Aber im Vergleich zu Mindestlohn und Rente von umgerechnet 3,57 Dollar ist das eine Menge. Damit Sie sich das vorstellen können: 15 Eier kosten 2,75 Dollar. Dazu gibt es eine Klasse, die sich bereichert hat, weil sie viele Geschäfte mit der Regierung macht. Aber für die meisten hat sich die Situation nicht verbessert. Den Bauern- und Arbeiterfamilien auf dem Land geht es so schlecht wie noch nie.

Hat Oppositionskandidat González Vorschläge, um die Lage zu verbessern?

Bisher ist noch nichts bekannt. Wir sind aber an einem Punkt angelangt, an dem die Leute genug haben und jeden wählen werden, solange nicht Maduro rauskommt.

Welche Ausgänge halten Sie für möglich?

Es kann passieren, dass die Wahlen noch abgesagt werden. Es könnte sein, dass Maduro verliert und die Ergebnisse nicht anerkennt und die Kandidaten inhaftieren lässt. Da der Chavismus die Macht über die Institutionen besitzt, kann er viele Mittel für diese Strategie einsetzen. Oder es kommt zu einem zweiten Guatemala (er meint Präsident Bernardo Arévalo; Anm. d. Red.), indem sich die etablierte Macht verkalkuliert und jemand, der nicht der Favorit war, am Ende gewinnt. Aktuell habe ich den Eindruck, dass genau so etwas passieren könnte.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • In Analysen zur politischen Entwicklung Venezuelas wird oft auf die Unzufriedenheit und das Wahlverhalten in den Mettopolen fokussiert. Canizales spricht hier aber auch vom ökonomischen Abstieg und der Armut der Bevölkerung auf dem Lande.



    In früheren Analysen zur (relativen) Stärke des Chavismus in Venezuela war immer die Rede davon, dass es gerade die Landbevölkerung war, die das Regime an der Macht gehalten hat, wohingegen die Mittelschicht und die Studenten in den Städten die Opposition unterstützt haben.



    Folgt man nun Canizales Ausführungen, scheint sich dieses Verhältnis jetzt gedreht zu haben und kann bei den kommenden Wahlen durchaus zu einem Sieg der Opposition beitragen.



    Liege ich da richtig?

    • @Abdurchdiemitte:

      Es geht erst einmal nicht um Stadt oder Land. Zufrieden mit Maduro sind diejenigen, die von seiner Politik profitieren, z.B. die Nachbarschaftskomittees, alle mit Zugang zu USD in Regierung und Armee sowie dollarisierten Einkommen (z.B. die im Artikel erwähnten Studenten).

      Unzufrieden sind alle, die zu keiner dieser "Eliten" gehören. Der Unterschied zwischen Stadt und Land ist, dass es auf dem Land fast immer leichter ist zu überleben, wenn Einkommen weniger wert werden. Das ist und war auch in anderen Ländern und Jahrhunderten so.

      Inzwischen ist die Armut in Venezuela aber auch auf dem Land so stark, dass es in den unteren Schichten auch auf dem Land ums Überleben geht. Für die stellt sich jetzt die Frage: Regierung abwählen oder auswandern.

  • Der Putin Vertraute Maduro hat wie so viele alte Freunde der Sowjets sein eigentlich reiches Land endgültig in den Abgrund gewirtschaftet. Da kann man nichts Gutes mehr erwarten.