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Öl im Watt

Deutschlands größte Erdöllagerstätte liegt vor Friedrichskoog im Nationalpark Wattenmeer. In den 80ern errichtete der Ölkonzern Texaco dort eine umstrittene Bohrinsel. Heute baut Texaco-Nachfolgerin RWE/DEA eine Pipeline durch den Schlick – ein Milliarden-Geschäft

„Der Bauleiter kam auf mich zu. Ich habe ihm erklärt: ‚Diese Bohrinsel ist besetzt‘“, erinnert sich Helfried Lohmann, damals an der Spitze des Besetzertrupps

von der Mittelplate Armin Simon

Sie starteten im Morgengrauen, gleichzeitig von zwei Seiten. Vom Strand bei Friedrichskoog, der ins Meer hinein ragenden Landzunge auf der Nordseite der Elbmündung, kamen sie zu Fuß durchs Watt. Von der niedersächsischen Küste aus schipperten sie mit einem Kutter über die Elbe. Schlauchboot ins Wasser, rüber über den Priel, das gemeinsame Ziel der Expeditionen: die Mittelplate, eine Untiefe, bei Flut überspült, siebeneinhalb Kilometer vor der schleswig-holsteinischen Küste gelegen. Der Bauplatz der ersten deutschen Ölbohrinsel im Watt.

20 Jahre ist das jetzt her, und Harald Graeser, Sprecher der RWE/Dea AG, die gemeinsam mit der BASF-Tochter Wintershall die Bohrinsel betreibt, weiß noch gut, wovon die Rede ist. Es war ein Samstag, gegen Mittag, die Bauarbeiter waren kurz davor, ihre Sachen zu packen. Die unerwarteten Gäste spazierten durch die Einfahrt, bauten zwischen Baggern und Kränen ihre Zelte auf, kochten Suppe und hissten ihr mitgebrachtes Riesen-Transparent. „Texaco raus aus dem Wattenmeer“ – bei schönerem Wetter hätte man es selbst vom Ufer aus lesen können. Kamerateams tauchten auf, die Bilder flimmerten abends durch die Tagesschau, die BILD-Zeitung schickte extra einen Helikopter vorbei. Bei einer Infratest-Umfrage zwei Jahre später verbuchte Texaco den größten Imageverlust unter den hundert größten bundesdeutschen Industrieunternehmen.

„Der Bauleiter kam auf mich zu. Ich habe ihm erklärt: ‚Diese Bohrinsel ist besetzt‘“, erinnert sich Helfried Lohmann, damals 22, Informatikstudent in Hamburg und an der Spitze des Besetzertrupps: „Dem ist erstmal die Kinnlade runtergefallen.“

Graeser steht auf dem Deck der „Jan Cux 2“. Das Ölkonsortium hat sie für eine Pressefahrt gechartert, die Bohrinsel kommt langsam näher. Ja, da habe es mal was gegeben, sagt Graeser. Eine Gruppe Jugendlicher aus Hamburg sei „vehement“ gegen den Bau der Plattform gewesen, und die hätten die fußballfeldgroße künstliche Insel im Watt einmal besetzt. Dann habe es „ein Wetterproblem“ gegeben, die Flut sei gekommen, und schließlich habe man selbst die BesetzerInnen „retten“ und mit Schlauchbooten an Land bringen müssen.

Lohmann kann dabei nur lachen. Man habe, als die Fernsehbilder im Kasten waren, mit Texaco verhandelt, um freies Geleit, sagt er. Worauf sich der Konzern, nach anfänglichem Zögern, dann schließlich eingelassen habe.

Graeser redet lieber von heute. Etwa dass die Mittelplate „Deutschlands größtes und förderstärkstes Ölfeld“ sei, das erzählt er gerne. „Wir sagen: Es ist wichtig, die nationalen Ölreserven zu nutzen.“ Rund zwei Drittel der wirtschaftlich gewinnbaren Ölreserven der Bundesrepublik lagern hier unter dem Watt: 35 Millionen Tonnen – bei derzeitigen Preisen ein Wert von acht Milliarden Euro. Mit der neuen Pipeline kann dieser Wert künftig noch schneller in die Taschen des Konsortiums wandern.

Die Pipeline: Rund 100 Millionen Euro lässt sich das Mittelplate-Konsortium die zwei je gut zehn Kilometer langen Edelstahl-Röhren kosten, die ab nächstem Jahr einen ungestörten, wetterunabhängigen Rund-um-die-Uhr-Transport des Öls von der Bohrinsel zur Landstation in Friedrichskoog ermöglichen sollen. Weitere 50 Millionen Euro kostet die neue Bohranlage, die von der Bohrinsel aus in noch weiter entfernte Ecken des Ölfelds vordringen soll. Statt bisher 900.000 Tonnen sollen auf der künstlichen Insel dann jährlich 1,5 Millionen Tonnen Öl an die Oberfläche befördert werden.

An einen Pipelinebau quer durch das sensible Watt sei noch Anfang der 90er nicht zu denken gewesen, sagt Projektleiter Heiko Oppermann. „Dann wäre alles geballt gekommen.“

Es kam auch so schon hart genug. Die schleswig-holsteinische Landesregierung bastelte Mitte der 80er-Jahre am Nationalpark-Gesetz. In der ursprünglichen Version lag der Bohrinsel-Standort mitten in der Schutzzone I – zu Recht, wie Silvia Gaus von der Schutzstation Wattenmeer e.V. betont. Denn die Vogelinsel Trischen liegt gleich um die Ecke, zehntausende von Brandgänsen wechseln jährlich im Watt ihr Gefieder. Während der Mauser können sie nicht fliegen. „Wenn dann genau dort Öl austritt, ist das das Ende der Brandgans-Population“, warnt Gaus.

Die Landesregierung in Kiel kümmerte das wenig. Sie fürchtete Ärger mit dem Ölkonzern – und verschob die Grenze der Schutzzone. Dort, wo Texaco bohren wollte, war die „wirtschaftliche Nutzung“ des Watts auf einmal wieder erlaubt. Die Bohrinsel im Watt, so drückte es CDU-Ministerpräsident Uwe Barschel aus, sei „ein Schönheitsfehler, vielleicht sogar mehr“.

Mit einem Fehdehandschuh, überreicht auf samtenem Kissen, lief Anfang 1985 die Arbeitsgemeinschaft Hamburger Jugendverbände für Natur- und Umweltschutz in der Hamburger Texaco-Zentrale auf, bei der Bohrinsel-Besetzung wenige Monate später kündigte sie an: „Boykott-Beginn bei Bohrbeginn“. Es war keine leere Drohung. Vor bis zu 150 Tankstellen machten Umweltschützer an den Aktionstagen des „Texaco-Boykott“ – später: „DEA-Boykott“ – dem Ölkonzern die Kunden abspenstig. Der gab gleich bei vier Werbeagenturen Image-Rettungskampagnen in Auftrag. Unter allen deutschen Ölfirmen fuhr Texaco 1988 das schlechteste Ergebnis ein.

Graeser bevorzugt positive Nachrichten. Dass die Leichter, die bislang das Öl von der Mittelplate nach Brunsbüttel schleppen, lange vor anderen Öl-Transportern mit doppelter Wand und unterteilten Tanks ausgestattet worden seien, dass sie trockenfallen könnten, ohne Leck zu schlagen, dass die Tanks immer nur teilbeladen würden, um im Notfall Öl umpumpen zu können, dass überhaupt kein Abwasser ins Meer gelange, dass wissenschaftliche Untersuchungen die Auswirkungen der Ölbohrinsel überwacht hätten, Ergebnis: null. Und und und. Selbst Greenpeace-Ölexperte Christian Bussau hält sich mit Kritik zurück: „Verglichen mit anderen Ölplattformen ist die Mittelplate tatsächlich eine absolut saubere Plattform.“ Die „Mittelplate“ habe gezeigt, dass man auch in ökologisch sensiblen Gebieten Öl fördern könne, sagt Graeser. Das sei „weltweit einzigartig“.

Selbst bei der Pipeline-Verlegung müht sich die Ölfirma, den Schaden in Grenzen zu halten. Lediglich in sechs Baugruben haben Bagger den Schlick aus dem Boden gehoben, den Rest besorgen die langen Bohrer, die sich dazwischen durch den Boden fräsen. Dass die Trasse in der Bauzeit dennoch eher einer Industrieansiedlung als einem Naturpark ähnelt, verhinderte das nicht. Ende des Monats, wenn die Brandgänse kommen, soll zumindest die innere Schutzzone wieder frei von Baustellen und Hilfsgeräten sein.

Das Umweltministerium in Kiel hat sich die Position der Ölfirma zu eigen gemacht. Die Pipeline helfe, potenziell gefährliche Schiffsfahrten zu vermeiden, heißt es hier. Werde das Ölfeld schneller leer gepumpt, könne auch die Förderinsel schneller wieder demontiert werden – weswegen der Bau zu begrüßen sei.

Silvia Gaus von der Schutzstation Wattenmeer e.V. sieht das anders. Die Ölförderung sei niemals mit den Zielen des Nationalparks noch mit denen der dort ebenfalls ausgewiesenen anderen Schutzgebiete in Einklang zu bringen, eine „industrielle Nutzung“ des Nationalparks sei „nicht zu dulden“. Schon allein die nötigen Versorgungsfahrten zur Bohrinsel seien eine ständige Belästigung. Es bleibe zudem immer ein Unfallrisiko. „Wenn man 18 Jahre Glück hatte, heißt das nicht, dass es immer so ist“, sagt sie.

Ein konkretes Datum, wann sie das Wattenmeer verlassen wolle, nennt RWE/Dea bewusst nicht. „Die nächste Untersuchung zeigt das nächste Ölfeld“, prognostiziert Gaus – und mit der Pipeline dürfte es erst recht rentabel werden. Öl aus dem Watt zu fördern, sagt Graeser, ist „umso günstiger je höher der Ölpreis ist“. Und der Ölpreis ist hoch.

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