Die Wahrheit: Wozu ist man Ringer?
Unterwegs nach und in Köln, dieser Zentrale des rheinischen Frohsinns, den es in aller Lakonie und unter allen Umständen zu umschiffen gilt.
W ozu ist man Ringer?“ Fragte der mittelalte Mann, eher klein und gedrungen, langhaarig, Karohemd, kein Mitglied der Deonutzerfraktion, ehe er kurz vor dem Endbahnhof Köln den beiden älteren Frauen die Koffer aus der Gepäckablage des ICEs wuchtete.
Ja, dachte ich, wozu ist man Ringer, würde ich mich das nicht täglich fragen, wenn ich einer wäre, denn nur für den einen kleinen Zufall mit kleinen alten Damen, deren Siebensachen zu handhaben sind, ist man ja wohl nicht extra Ringer geworden.
Vielleicht will man für die Verbesserung der Welt ringen, sie hätte es gerade nach der Europawahl bitter nötig. Immerhin plakatiert die Partei Volt „Ohne Vielfalt gäbe es hier nur Kartoffeln“, wie erfreulich, aber dann ist es doch nur der Lieferdienst Wolt, der solche Sachen in die Welt klebt, während die Partei Volt lieber „Mehr Eis!“ verlangt. Na, jedenfalls keine Kartoffeln.
Ich denke, dass in der bunten Stadt Köln vielleicht auch weiterhin alles in Ordnung ist, aber dann entdecke ich Rattengiftköder, ausgelegt um ein Einkaufszentrum. Die Tierchen nagen schon an der Stadt, nachts, wenn keiner guckt.
Aus meinem ruhigen Hotelzimmer blicke ich statt auf Fassaden nur auf Gebäuderückseiten. Vielleicht gibt es Köln einmal von vorn und einmal von hinten, mit Rattenfallen. Vor einem geschlossenen Rolltor hocken zwei Männer auf der Schwelle und versuchen umständlich, ihre Crackpfeifen flott zu kriegen. Jetzt weiß ich, warum das Hotelpersonal die Vorhänge in meinem Zimmer zugezogen hatte.
Später begegne ich bei meinem Weg durch die Stadt der „Dompropst-Ketzer-Straße“ und freue mich, dass die Kölner doch Humor haben, auch wenn sie so katholisch sind. Aber selbstverständlich gab es den Herrn wirklich. Er soll kirchliche Autorität mit rheinischem Frohsinn verbunden haben, eine teuflische Mischung.
Als Pendant zu Dompropst Ketzer erweist sich der Antiquar Siegfried Unverzagt, dessen Geschäft mit seinen dauerhaft heruntergelassenen Rollläden dem Heldennamen widerspricht und, sorry, eine gewisse Verzagtheit ausstrahlt.
An der Rheinpromenade rauscht derweil eine unappetitliche braune Brühe aus den Hochwassergebieten durch, die ganze Bäume mit sich führt. Wer’s länger anschauen will, muss in der Gegend rumstehen, weil es die Kölner mit den Bänken nicht so haben. Kostenlose Sitzgelegenheit an der Promenade, das wäre ja dumm, wenn man stattdessen auch Gastronomie aufbauen kann.
Und so überfährt mich beinahe eine Party-Rikscha. Die zeichnet sich dadurch aus, dass man nicht mehr selbst besoffen hässliche Partyhits rumgrölen muss, falls man drauf steht, sondern der Pedalknecht vor einem das gleich miterledigt. Er singt sogar extrafalsch, ob das mehr kostet?
Wozu bin ich Ringer, murmele ich. Gleich morgen melde ich mich an. Irgendwo. Es muss schließlich mal besser werden.
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