Großdemo der Mietenbewegung: Auferstanden, um zu Enteignen

Während die Politik kaum Ideen zur Lösung der Wohnungsfrage hat, steckt die Bewegung in einer Schockstarre. Schafft die Demo am Samstag Abhilfe?

Foto: Christian Mang

BERLIN taz | Der Aufruf der Mietenbewegung am Samstag zu ihrer ersten Großdemonstration seit Jahren soll das Ende einer Bewegungsflaute markieren. Aus der Versenkung auferstanden ist das Bündnis gegen Verdrängung und Mietenwahnsinn: 150 Initiativen unterstützen die Forderung nach einer „radikalen Wende“ in der Wohnungspolitik.

„Die Mietenkrise ist in den letzten Jahren kein Stück besser geworden, sondern hat sich sogar verschlimmert“, sagt Bündnissprecher Jonas Schelling. Die derzeitige Politik von Senat und Bund löse die Krise nicht, sondern sei ein „Totalversagen“. Konkret fordert das Bündnis die Einführung eines bundesweiten Mietendeckels, die Umsetzung des DW-Enteignen-Volksentscheids sowie das Verbot von Eigenbedarfskündigungen und Zwangsräumungen.

In den drei Kernforderungen zeigt sich auch das Dilemma, das die Mietenbewegung in den vergangenen Jahren in die Lethargie getrieben hat: Der schwarz-rote Senat hat einer Wohnungspolitik gegen die Interessen von Großunternehmen eine grundlegende Absage erteilt. Gleichzeitig kassierten Gerichte wohnungspolitische Hoffnungsträger wie den Mietendeckel und das Vorkaufsrecht.

Und nicht zuletzt herrscht auf Bundesebene politischer Stillstand. „Die FDP blockiert sämtliche Versuche, die Mietrechtsreform umzusetzen“, erklärt Ulrike Hamann, Geschäftsführerin vom Berliner Mieterverein die Problemlage. Zudem sei es auf Bundesebene sehr viel schwieriger, die Mieterschaft zu mobilisieren.

Mietenwahnsinns Demo am 01.06.2024

Start: 14:00 Uhr, Potsdamer Platz

Frust bremst Bewegung

„Die Mietenbewegung war in einer politischen Krise“, sagt auch Bündnisprecher Jonas Schelling. Aufgrund der politischen Rückschläge gibt es sehr viel Frust. Seit dem Herbst 2021 ist es der organisierten Mie­te­r:in­nen­schaft nicht mehr gelungen, nennenswert Druck zu erzeugen. Proteste blieben klein, Initiativen schliefen ein, neue Ideen blieben aus. Der zuvor über Jahre aktivste Teil der sozialen Bewegungen in Berlin war plötzlich wie ausgeschaltet. Zu Ende ging dieser Bewegungszyklus ausgerechnet in dem Moment ihres größten Erfolgs: dem gewonnenen Enteignungsvolksentscheid.

Bis dato war das Thema der steigenden Mieten und des Widerstands dagegen über Jahre das Bestimmende der Stadt. Zur ersten Mietenwahnsinn-Demo 2018 waren 25.000 Menschen erschienen, im April 2019 folgten dann schon 40.000. Überall sprossen Initiativen aus dem Boden, vielfach Hausgemeinschaften, die über das Vorkaufsrecht gerettet werden wollten. Viele bedrohte Orte wurden mittels großer Kampagnen verteidigt, trotz schneller Räumungen immer wieder neue Häuser und Wohnungen besetzt.

Und tatsächlich bewegte sich etwas: Die Deutsche Wohnen kündigte aufgrund des Drucks der Enteignungsinitiative eine freiwillige Zurückhaltung bei Mieterhöhungen an, über das Vorkaufsrecht wurden massenhaft Häuser gerettet und der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen wurde ein Riegel vorgeschoben. Als politischer Durchbruch dieser Zeit unter linker Führung im Stadtentwicklungsressort galt der Mietendeckel.

Dieser war bereits wieder gekippt, als im September 2021 nochmal 20.000 Mie­te­r:in­nen auf die Straße gingen und kurz darauf – viel umjubelt – der Volksentscheid gewonnen wurde.

Senat ist kein Partner

Alles, was danach folgte, war ernüchternd. Die Rückkehr zur politischen Ambitionslosigkeit unter Schwarz-Rot, in Einklang mit den Verwertungsinteressen der hofierten Immobilienlobby, raubte der Bewegung jede Energie. „Die aktuelle Regierung ist kein Partner“, bringt es der Friedrichshain-Kreuzberger Baustadt Florian Schmidt (Grüne) auf den Punkt.

Statt auf Bestandsschutz setze Schwarz-Rot vor allem auf Neubau. Dieser würde „das Wohnraumproblem nie ernsthaft lösen“, sondern bleibe immer nur ein Tropfen auf dem heißen Stein.

Nicht zufällig gewählt ist der Termin der Demonstration zehn Tage vor dem „Tag der deutschen Immobilienwirtschaft“, einer Lobbyveranstaltung, auf der Branchenriesen für weniger Regulierung und mehr Förderungen bei Neubauvorhaben werben.

Hofiert wird die Veranstaltung von Politprominenz wie Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), Finanzminister Christian Lindner (FPD) und Bauministerin Klara Geywitz (SPD). Das Bündnis bezeichnet die Veranstaltung als „Symbol fehlgeleiteter Wohnungspolitik im Interesse der Vermieter und Spekulanten“.

Krise verschärft sich immer weiter

Die Folgen davon werden unterdessen immer dramatischer: In den vergangenen Jahren verschlechterte sich die Situation auf Berlins Wohnungsmarkt dramatisch. Kostete ein Qua­dratmeter bei Neu- und Wiedervermietung im vierten Quartal 2021 durchschnittlich noch 10,30 Euro und damit kaum mehr drei Jahre zuvor, sind es inzwischen 14,93 Euro.

Doch es gibt auch positive Entwicklungen. Zuletzt konnte das Tuntenhaus nach einer starken Kampagne mit den Überbleibseln des Vorkaufsrechts gerettet werden. Die Initiative DW Enteignen will mit einem neuen Volksentscheid und einem eigenen Gesetzesentwurf die Vergesellschaftung von Wohnraum erzwingen; in Mariendorf-Ost organisierten Mie­te­r:in­nen erfolgreich einen Heizkostenstreik. „Wichtig ist es, politische Rahmenbedingungen zu ändern und uns gleichzeitig in der Nachbarschaft bei konkreten Kämpfen mit dem Vermieter gegenseitig zu unterstützen“, sagt Bündnissprecher Schelling.

Für die Demo am Samstag ist Schelling optimistisch: „Wir haben ein sehr breites Bündnis.“ Neben Mieten-Initiativen sind auch Gewerkschaften und die Klimabewegung mit Gruppen wie Fridays for Future und XR mit einem eigenen Block vertreten. „Wenn die Mie­te­r:in­nen sich überall in der Stadt organisieren, dann wird die Wohnungspolitik eine andere sein.“

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