Fußball-Bühnenstück in Hannover: Belanglose Fußball-EM-Werbung
Am Schauspiel Hannover kommt mit „Unsere Elf“ eine „etwas andere Nationalhymne“ auf die Bühne. Aber alles bleibt zu sehr im Anekdotischen.
Wie Einpeitscher flankiert das Ensemble die Zuschauer:innen, klatscht rhythmisch, grölt „Deutschland!“ und beginnt die Nationalhymne zu singen. Und am Ende der Sequenz die Frage: „Das geht nicht, oder?“
Das unprätentiöse Deutschlandgefühl scheint seit der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 ja wieder gesellschaftsfähig und begehrt derzeit erneut rumorend auf. Für die karnevaleske Note obsessiver Fußballlust starten auch wieder Vorbereitungen, um Eigenheime, Autos und Körper mit schwarz-rot-goldenem Tüddel zu kostümieren.
Denn am 14. Juni beginnt die Fußball-Europameisterschaft. Andererseits möchten natürlich nur wenige in den Verdacht kommen, deutsch-chauvinistische AfDler zu sein, gruppendynamisch aufgepumpt schlechtes Benehmen gutzuheißen oder Fußball als eine der letzten Oasen männlicher Selbstverwirklichung feiern zu wollen.
Um das Gefühl von Masse und Euphorie also nicht den Rechtsaußen zu überlassen und Vorfreude auf das brachial vermarktete Sportereignis zu schüren, hat der Bund 13,2 Millionen Euro für ein bundesweites Kulturprogramm bereitgestellt, aber mal nicht die üblichen Lasershows, Public-Viewing-Aufläufe oder schlagerseligen Popkonzerte organisiert. Vielmehr reisen nun Fußballfilme auch durch norddeutsche Kinos.
Fußballoper mit Bundesförderung
Das Hamburger Opernloft entwickelt eine „Fußballoper“. Die Kunsthalle Hannover nimmt mit der Ausstellung „Myth of Normal“ das Verhältnis von Körper und Gesellschaft in den Blick. Das Theater Bremen beleuchtet in „No rain“ die Gesangskultur von Zuschauermengen. Und das Schauspiel Hannover bringt „Unsere Elf“ zur Uraufführung, das mit der oben beschriebenen Szene beginnt.
Natürlich ist das 22-beinige Team des Recherchetheaters von Tuğsal Moğul mit Fußballtrikots kostümiert und spielt auf einer Fußballplatzbühne. Entwicklungen der deutschen Nachkriegsgeschichte möchte der Autor/Regisseur in Erzählungen rund um die deutsche Nationalmannschaft spiegeln. Denn sie ermöglicht Identifikation und kann zum Stolz vieler Bürger:innen werden, weil sie eben die Nation irgendwie abbildet, also auch zunehmend divers aufgestellt ist.
Dramatisches Futter liefern Interviews, die Moğul mit Nationalspieler:innen von einst und jetzt geführt hat. Monologisch erspielt sich das Ensemble die Ausführungen in liebevoll zart-ironischer Art. Zwischendurch wird kurz mal beiläufig gesungen oder Klapping getanzt: eine Choreografie aus Street Dance und typischen Kicker-Moves. Sieht aus wie Training ohne Ball. Hübsch sportiv.
Und was ist zwei Theater-Halbzeiten lang zu erfahren? Schnellsprecher Christof Kramer erinnert sich an seinen Knock-out im WM-Finale 2014 und der aufbrausende DDR-Trainer Ede Geyer berichtet über Fußball in Zeiten der Wende.
Die Spielerin und Trainerin Silvia Neid widmet sich dem harten Kampf um die Anerkennung des Frauenfußballs und der erste deutsche PoC-Nationalspieler Erwin Kostedde spricht über seine Rassismus-Erfahrungen, während Felix Magath nur noch mal seine beleidigte Eitelkeit kundtut, vom Coach Franz Beckenbauer beim WM-Finale 1986 ausgewechselt worden zu sein.
Wohl jeder Fußballfan kennt diese Geschichten. Auch all die erwähnten Rituale – der eine Fußballer zieht sich immer den rechten Schuh zuerst an, der andere wechselt Unterhosen nur nach Niederlagen. Auch bekannte Chauvi-Sprüche und ausländerfeindliche Gesänge werden in Hannover zu Gehör gebracht.
Zusätzlich gibt es Anspielungen auf kürzlich geführte Diskurse: Hätten alle die One-love-Binde bei der gekauften Advent-WM in Katar tragen müssen? Aber all das einfach nur zu erwähnen, ist keine hochkulturelle Beleuchtung des Fußballs oder fußballerische Erkundung gesellschaftlicher Veränderungen.
Leider wird es mit der Bebilderung nicht besser. Als der Deniz-Aytekin-Darsteller übers strebsame Hocharbeiten als Gastarbeiterkind zum allseits anerkannten Bundesligaschiedsrichter plaudert – wird er mit Plastikbierflaschen und Beschimpfungen beworfen sowie von einem Fackelträger bedroht. Das Theater hat keine Auseinandersetzung mit konfliktbehafteten Herkunftsgeschichten und gebrochenen Identitäten hinzuzufügen.
Sommermärchen und NSU
Und so ist es konsequent, dass zur Erinnerung an die EM-Sommermärchen-Inszenierung 2006 zwar erwähnt wird, „zu diesem Zeitpunkt mordet der NSU bereits seit sechs Jahren wahllos Migranten“ – dann aber nichts als der nächste Themenwechsel folgt. Alles bleibt im Anekdotischen.
Da Fußball nicht nur die schlimmsten, auch die besten Eigenschaften zum Vorschein bringen kann, die in Menschen schlummern, stellt sich das Ensemble final zum Mannschaftsfoto auf und behauptet die vereinende Kraft des Sports als sozial grenzübergreifendes Gemeinschaftserlebnis. Moralisch ist das vorbildlich, als Werbeveranstaltung für die EM okay, als Theaterabend zum nostalgischen Abnicken nett, aber inhaltlich eher belanglos.
Wieder am Mi, 29. 5., 19.30 Uhr, Schauspielhaus Hannover; weitere Aufführungen: 6. 6., 11. 6., 14. 6.
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