Dominikaner über das Klosterleben: „Ich habe keine Angst vor Pöbelei“

Pater Laurentius Höhn ist Dominikanermönch und weiß, dass die Kirche schwere Fehler gemacht hat. Verstecken will er seine Ordenskleidung aber nicht.

Pater Laurentius in Ordenskleidung hinter Pflanzen

Pater Laurentius im Innenhof seines Ordens in Vechta Foto: Paula Markert

taz: Herr Höhn, als es um das Foto von Ihnen ging, sagten Sie: Ich komme in Zivil und packe mein Habit, also die Ordenskleidung, in die Tasche. Sind Sie ungern im Habit in der Öffentlichkeit?

Laurentius Höhn: Ich persönlich nicht, aber ich weiß zu unterscheiden, dass es Momente gibt, wo der Habit unpraktisch ist oder wo er abschrecken kann. Aber ich trage jetzt seit über 36 Jahren diesen Habit und ich trage ihn gern. Ich habe auch keine Angst, dass ich angepöbelt werde.

Das war die Frage, die ich nicht so direkt stellen wollte.

Nein, ich habe da keine Angst. Ein Berliner Mitbruder, der viel Habit trägt, sagte, es sei dort überhaupt kein Problem: Man würde da schon mit Imamen verwechselt und allein deshalb nicht beargwöhnt. Der Code ist nicht mehr bekannt. Ich meine, wer trägt heute alles einen Rosenkranz?

Der Mensch

Pater Laurentius Höhn, geboren 1968 als Stefan Höhn in Berlin, trat 1987 in den Dominikaner­orden ein mit Stationen in Vechta, Hamburg, Worms und Mainz. Er war als Schul- und Jugendseelsorger und Ge­meindepriester tätig. Seit 2017 ist er als Novizenmeister für die Ausbildung des Klosternachwuchs zuständig, zunächst in Worms, jetzt in Vechta.

Die Dominikaner

Der Orden wurde im frühen 13. Jahrhundert vom heiligen Dominikus gegründet und galt wegen der Betonung der Predigt als Intellektuellenorden. Berüchtigt waren die Dominikaner wegen ihrer Beteiligung an der Inquisition. Wichtige Entscheidungen werden im Orden gemeinsam von allen Brüdern getroffen. Derzeit gibt es weltweit etwa 6.000 Dominikaner, die jeweils Ordensprovinzen zugeordnet sind. In der deutsch-österreichisch-ungarischen Provinz sind es rund 140.

Das heißt, Sie werden selten als Stellvertreter der katholischen Kirche wahrgenommen – mit all dem, was das seit einiger Zeit eben auch bedeutet?

Richtige Ablehnung habe ich noch nie erlebt. Nur einmal, das war gerade die Zeit, als die Missbrauchsgeschichten hochkamen, war ich auf der Straße und wurde von einem Fenster aus als Kinderficker bezeichnet.

Wie haben Sie reagiert?

Das war ja etwas feige, aus dem Fenster im zweiten Stock. Ich war erschrocken und bin weitergegangen. Ich bin nicht der Typ, der da den Disput sucht – da kann man nur verlieren, glaube ich. Ich halte mich dafür auch nicht souverän genug, da ist man ja schon emotional betroffen. Es gibt aber auch Leute, die kommen und sagen: Toll, dass es euch noch gibt. So wie ich im Habit auftrete, das sage ich auch meinen Novizen, repräsentiere ich den ganzen Orden, und wenn ich mich darin schlecht benehme, färbt das ab.

Was genau repräsentieren Sie?

Ich repräsentiere eine Suche oder eine Lebensform, die ich mit Begeisterung immer noch mache. Es gibt auch Ernüchterung, aber es ist erst mal mein Weg. Ich sehe es nicht als fundamentalistische Missionierung, aber wenn Menschen mich seriös fragen, bin ich gerne bereit, dazu Rede und Antwort zu stehen oder eben auch zu werben für diesen Weg. Aber sachte.

Sachte?

Die Zeit der Frontmissionare, für die außerhalb der Kirche kein Heil ist, ist vorbei. Wir sind in Deutschland angekommen bei 25 Prozent Katholiken und 25 Prozent Protestanten. Die Kirche hat mal klein begonnen, vielleicht wird es wieder klein enden. Aber ich glaube ja auch nicht an die Kirche, ich glaube an Gott. Kirche macht auch Fehler, sie macht viele Fehler derzeit.

Welche Fehler macht sie?

Menschen in kirchlichen Strukturen haben zu lange verschleiert, dass Priester, Bischöfe, Amtsträger, also gerade die Männer in der Kirche, zum Teil kriminell mit Nähe und Distanz umgingen. Wir müssen die staatlichen Organe dazuholen bei der ganzen Aufklärung. Dass innerhalb der Kirchen versucht wurde, eigene Schutzräume aufzubauen, das kommt ganz schlecht an. Und vielleicht auch die Moral.

Pater Laurentius in Ordenskleidung in einem Büro.

Pater Laurentius im Büro des Dominikanerordens Foto: Paula Markert

Inwiefern?

Wir sind manchmal inkonsequent. Nehmen wir das Thema Homosexualität. Im Grunde sagt die Kirche heute, wenn sie sich auf die Naturwissenschaft als Trägerin von Wahrheit einlässt, dass es Menschen mit homosexueller Veranlagung gibt. Aber diese Menschen können es nach geltender kirchlicher Lehrmeinung nicht ausleben, weil ausgelebte Sexualität ihr zufolge immer noch auf die Weitergabe des Lebens hin orientiert ist, was natürlich positiv ist. Man könnte aber im Sinne Christi als dem Anwalt für gelingendes Leben vielleicht sagen: Die geschlechtliche Liebe kann auch ohne diesen Gedanken positiv bejaht werden, sonst wird dem Menschen etwas verweigert, was zu seiner Verwirklichung gehört. Das wäre eine liberale Position. Aber Konservative sagen: Das steht anders in der Bibel. Vertreter von Kirche und Theologie sind da in einer großen Diskussion sehr polarisiert. Mich überfordert dies manchmal. Ich kümmere mich um meinen kleinen Schrebergarten und bin mit dem ganz glücklich, auch wenn das feige klingen mag für manche.

Ihr Schrebergarten ist die Ausbildung der Novizen, also der künftigen Mönche. Da nehmen Sie doch ziemlich direkt Einfluss auf die Zukunft.

Noch bis September, dann endet meine Amtszeit. Ich habe da in manchen Ausbildungsjahren idealistische junge Mitbrüder mitbekommen, die mit viel Feuer kommen und die theologisch und kirchenpolitisch anders ticken als ich.

Nämlich?

Zum Teil konservativer, etwa was die Rolle der Frau in der Kirche angeht. Ich kann mir das Priesteramt der Frau durchaus theologisch gut begründet, wohl verstanden als Entscheidung der Kirche, nicht als revolutionären Akt, vorstellen. Ich bin ja nun schon 28 Jahre Priester, ich habe viele Menschen kennengelernt, die aus Verzweiflung die Kirche verlassen haben oder frustriert sind. Ich bin umsichtiger, kreativer geworden, die Botschaft an die Menschen zu bringen.

Eigentlich läuft der Weg doch eher andersrum.

Ich glaube, es gibt beides. Es gibt einen Neokonservatismus beim Ordensnachwuchs und sicher auch beim Priesternachwuchs. Das ist per se auch in Ordnung, wenn es nicht fundamentalistisch wird. Ich bin ja auch nicht derjenige, der Berufung „macht“, Berufung kommt ja von Gott.

Wie funktioniert der Eintritt in ein Kloster?

Zuerst kommt das Postulat, das ist ein halbes Jahr, ein erstes Mitleben in einem Konvent, noch ohne Habit. Dann ein Jahr Noviziat. Das Gemeinschaftsleben muss passen, die Novizen müssen mit den Gelübden klarkommen. Danach wird die Profess, also das Ordensgelübde, auf zwei Jahre abgelegt. Es ist noch nicht die endgültige Bindung. Zu Zeiten des Dominikus haben die Leute den Habit bekommen und sofort waren sie wohl für ihr Leben gebunden. Das ist heute nicht mehr denkbar. Die Leute, die zu uns kommen, werden durchgecheckt: Wir machen Präventionskurse, man muss psychologische Gespräche führen.

Was sind das für Präventionskurse?

Das klingt jetzt wieder so verteidigend. Aber die Kirche macht ganz viel. Menschen, die heute in den kirchlichen Beruf gehen wollen, müssen Präventionskurse gegen sexuellen Missbrauch machen: Was ist das? Was gehört dazu? Wohin muss man sich wenden, wenn man da was feststellt bei sich oder bei anderen? Die Postulanten bei uns führen ein mehrstündiges Gespräch mit einem Psychologen oder Psychiater. Der prüft, ob es etwas Auffallendes gibt, und die Postulanten willigen ein, dass mir das Ergebnis mitgeteilt wird. Wir machen in dem Bereich sehr viel, aber die Amtskirche ist da spät sensibel geworden. Ich bin 1987 in den Orden eingetreten, drei Wochen nach meinem Abi, da gab es das alles noch nicht.

Drei Wochen nach dem Abi – war das ein guter Zeitpunkt oder war das früh?

Ich bereue es nicht. Ich war fertig mit dem Abi und ich hatte auch keine Beziehung. Vielleicht war ich ein bisschen naiv, ich weiß noch, wie meine Mutter geweint hat, als ich auszog. Ich wollte Journalist werden oder Schauspieler oder Ordensmann – etwas mit Wort und mit Bühne, das war so mein Ding.

War es Zufall, dass es das Kloster wurde und nicht Bühne oder Journalismus?

Weil es nicht so nach Berufung klingt? Ich war ja schon lange mit dem Dominikanerkloster in unserer Nachbarschaft vertraut, meine Eltern waren dort in der Gemeinde aktiv. Berufung geht ja auch irdische Wege über Menschen. Ich hatte einen sehr guten Heimatpfarrer, und das Kloster machte eine sehr gute Jugendarbeit. Ich war da beim „Kloster auf Zeit“ und bekam das Leben dort mit: dass die Leute auch mal fernsehgucken und mal ein Bier trinken. Dass es gottverbundene Menschen mit Ecken und Kanten sind. Wobei ich eine Woche nach der Ein­kleidung austreten wollte.

Warum?

Der Habit passte nicht, ich fühlte mich fremd und nicht berufen. Dann saß ich in der Kapelle und bin nach fünf Minuten Stille ganz ruhig rausgegangen. Seitdem bin ich nie wieder an den Punkt gekommen, auszutreten. Ich hatte keine Erscheinung, der Heilige Geist hat mir nicht als Taube ins Ohr gepickt. Oder vielleicht doch irgendwie. Ich glaube fest, dass Gott mich diesen Weg geführt hat, aber sehr unspektakulär. Es ist ja sicher nicht einfach so ein Fingerschnipp, „Laurentius, komm“ gewesen, das heißt, da hieß ich ja noch Stefan. Bis zur ewigen Profess hat es bei mir sieben Jahre gedauert.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Waren Sie unsicher, ob es der richtige Weg ist?

Man hat natürlich im Studium wieder viele Leute kennengelernt, auch Theologinnen. Doch zu unserem Gelöbnis gehört, dass ich auf Familie verzichte, ich verzichte auch auf gelebte Sexualität. So etwas muss man prüfen.

Was haben Sie noch gelobt?

Gehorsam und Armut. Ich komme aus einem Arbeiterhaushalt. Als ich in den Orden eintrat, gab’s plötzlich für mich fast täglich Nachtisch und Vorsuppe, das war neu für mich, da bin ich materiell quasi aufgestiegen. In meinem Noviziats­jahrgang war ein Hotelierssohn, der ist vom Materiellen her eher abgestiegen. Gehorsam ist gelegentlich auch etwas Schweres: dass ein anderer mir sagt, ich möchte jetzt, dass du das machst. Ich bin gerade in dieser Situation, weil ich jetzt eine neue Stelle bekomme.

Können Sie Wünsche äußern?

Ja, ich kann zum Beispiel sagen, dass ich gerne an einem ganz anderen Ort oder im Ausland tätig sein will. Wir reden von dialogischem Gehorsam. Da gibt es zwei Lösungen: Man kann sehr hartnäckig sein oder – was einfacher für den Oberen ist – einer Entscheidung nach gegenseitigem Zuhören zustimmen, auch wenn das vielleicht nicht hundertprozentig der eigenen Idee entspricht, aber vielleicht dem Willen Gottes.

Ist das nicht eine Zumutung?

Man muss im Ordensleben viel mit Verzicht umgehen können, Verzicht aber nicht als Strafe Gottes, sondern als Freiheit, etwas anderes zu tun. Das ist ja auch die Begründung fürs Zölibat der Weltpriester: Ich heirate nicht, ich kümmere mich nicht um eine Familie, damit ich freier sein kann für die Verkündigung an viele Menschen. Sicherlich gibt es ebenfalls gute Gründe, um zu überlegen, den Zölibat, den es ja nicht immer gab, auf freiwillige Basis zu stellen.

Was ermöglicht Ihnen diese Lebensform­ Kloster?

Dass wir uns gegenseitig auch bestärken, Sozialkontrolle im guten Sinne. Ich verzichte auf Partnerschaft, aber ich verzichte nicht auf Gemeinschaft. Früher haben wir mal gesagt, Kloster kommt von claudere, abgeschlossen. Heute sagen wir eigentlich: Konvent, von convenire, einem Zusammenkommen mit Mitbrüdern, die ein gleiches Ideal wie ich probieren zu leben, und das bestärkt mich total.

Aber Sie entscheiden nicht selbst, mit wem Sie da zusammenleben.

Genau, und es ist auch keine Freundesclique. Ich würde sagen, ich habe Freunde, aber ich habe keinen Freund im Orden. Das mag hart klingen, ist aber gar nicht schlimm. Es gibt auch Menschen, mit denen ich mehr über meinen Glauben rede als mit Mitbrüdern. Wir sind manchmal eine heilige, aber sehr nüchterne Zweck­gemeinschaft.

Eine alternde Zweckgemeinschaft.

Ich bin jetzt auch langsam schon im höheren Segment gelandet, hier im Haus bin ich jetzt der zweitälteste Profess. Wir haben hier in Vechta noch einen ganz guten Altersdurchschnitt, aber klar, es gibt viele Gemeinschaften, wo man mit Mitte 50 die Jugend ist. Wir Dominikaner sind weltweit versetzbar. Wenn bei uns mal ein Kloster schließen muss, dann werden wir woanders hingehen, dann werde ich in einem anderen Land oder ­einer anderen Stadt leben. Ich bin ein Wandermönch, das ist mein zehntes Kloster hier. Ab Herbst werde ich ein Sabbatical in Frankreich machen, danach werde ich wieder meine Koffer packen. Das ist irgendwann natürlich anstrengend, weil man nicht jünger wird.

Das religiöse Leben ist keine Gleichung von Minus und Plus, aber trotzdem gefragt: Was gewinnen Sie durch den Verzicht auf eine bestimmte Art von Bindung?

Schon eine neue Freiheit, das ist nicht nur eine Floskel. Ich habe keine Familie, meine Eltern sind gestorben, ich habe nur noch meinen Bruder. Ich habe Zeit, mich mit dem Evangelium auseinanderzusetzen und zu überlegen, wie kann ich diese Botschaft an diese Welt weiter­geben? Ob das immer gelingt, ist eine andere Frage. Ich habe hier einen Gesprächskreis angefangen, Bonhoeffer und der Krieg, und dafür fünf Stühle zu Beginn aufgestellt. Es kamen 26 Leute.

Tatsächlich sind Sie so beschäftigt, dass es nicht so leicht war, einen Gesprächstermin zu finden­.

Ja, ich bin manchmal ein bisschen hektisch. Wenn man Spaß daran hat, etwas anzubieten, kann man auch mal in die Schnappatmung fallen. Ich merke, dass ich manchmal zu wenig kontemplativ bin, mir nicht eine halbe Stunde nehme, mich still hinzusetzen und zu betrachten. Der große Mystiker Meister Eckhart hat in etwa gesagt: Weg mit den Bildern! Die weiße Wand bringt dir mehr als 1.000 Ikonen. Aber ich schau mir lieber die Ikonen an als die weiße Wand.

Wie muss man sich Ihren Alltag vorstellen, ist der stark durchgetaktet?

Ich stehe um sieben auf, dann gibt es das Morgengebet, und danach kommt die Tätigkeit. Bei mir ist das meistens Unterricht für die Novizen, dann Mittagsgebet und das Mittagessen. Danach Siesta und dann freies Tun, also studieren oder etwas ausarbeiten oder für Termine unterwegs sein, und dann ist abends die Messe, Abendgebet und danach Abendbrot. Manchmal sitzen wir noch zusammen und trinken ein Glas oder sehen einen Film. Das sind die Fixpunkte, geistlich und kulinarisch, aber dazwischen gibt es viel Freiheit. Das ist für die Novizen auch spannend, die müssen sich selbst organisieren. Ich sage dann immer: Guckt, dass ihr etwas für euren Körper tut, macht Sport, und guckt, wie ihr euer Studium organisiert.

Was ist für Sie wichtig ihnen beizubringen?

Dass sie nicht falsch idealisieren, dass sie nicht eine Momentaufnahme absolut setzen. Nur Gott ist absolut. Wir Menschen sind gebrechlich und verwundbar. Die Novizen sollen schon moralisch denken, aber nicht zu eng. Die Liebe kommt vor der Moral. Sie sollen auch lebenstauglich sein. Früher war die Klosterküche tabu, wir waren da nur zum Abwaschen nach dem Essen. Jetzt sollen sie kochen können und wissen, was ein Pfund Kartoffeln kostet.

Wie sehr hat sich das Noviziat verändert, seitdem Sie selbst Novize waren?

Wir hatten nur zweimal die Woche Ausgang, das klingt jetzt fast wie Knastrunde. Ich habe das gut überlebt. Aber die Novizen dürfen jeden Tag raus und müssen auch nicht Bescheid sagen. Ich gehe nie in deren Zimmer, wir treffen uns an einem neutralen Ort zum Gespräch. Und noch eins: Hier in Vechta ist ja gerade Daniela Klette, die mutmaßliche Terroristin, in Haft. Ich bin geprägt von der RAF-Zeit, natürlich kenne ich Schleyer und Mogadischu. Wenn ich das den Novizen erzähle, gucken sie mich mit großen Augen an. Aber ich denke, wir leben auch immer mit der Geschichte und es ist mir für die Novizen wichtig, dass wir Geschichte würdigen und uns in Beziehung zu ihr setzen, eine Haltung zu ihr einnehmen. Ich stand mal bei den Kartäusern als Wanderer vor der Tür, da las ich am Eingangstor: „Wir Mönche beten für euch, deswegen könnt ihr uns nicht besuchen.“ Ich respektiere das, aber es ist nicht meine Botschaft.

Was ist denn Ihre Botschaft?

Wir beobachten die Zeit, die ist, und hoffen, dass wir sie glaubwürdig und gottesfürchtig mitgestalten oder kritisieren können. Wenn der Papst sagt, der Raubtierkapitalismus tötet, dann kann das ein ökologisch gesinnter Mensch unterschreiben, sofort. Die Metaphysik ist das eine, aber es gibt ja auch eine Gestaltung hier auf Erden. Jesus hat in einem patriarchalen System gelebt, aber er ist ganz neu umgegangen mit denen, die am Rand standen.

Gerade wird oft über die Orden geschrieben, dass mit ihnen eine jahrtausendelange Tradition zu Ende geht.

Es gibt einige Orden, denen es sehr schlecht geht. Orden waren früher nicht selten ein Aufstiegssystem. Doch das System der Wohlfahrt oder der Bildung ist heute völlig säkularisiert, das muss nicht mehr im Orden geschehen. Bei uns sind die Zahlen auch gesunken, aber ich glaube nicht, dass der Orden zu Ende ist, bevor ich sterbe. Wir denken manchmal ein bisschen zu eurozentrisch, zu deutsch. In Vietnam ist der meiste Ordenssachwuchs von uns Dominikanern. Die katholische Kirche wächst nicht in Deutschland, aber sie wächst weltweit Und die vielzitierte „Volkskirche“ – was meint dieses Wort eigentlich genau?

Und?

Volkskirche heißt, das Volk ist getauft. Aber praktiziert es deswegen seinen Glauben im Kirchgang? Im 19. Jahrhundert sind viele Menschen aufs Feld gegangen, die waren auch nicht alle sonntags in der Kirche. Wir haben manchmal so eine, gerade auch von rechten Parteien betonte Erwartung, dass früher alles besser war, auch im Glauben. Aber das ist Quatsch mit Soße. Jede Zeit ist gleich nah zu Gott.

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